«Echo der Zeit»-Beitrag «Seelische Begleitung auch bei Suizid» beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 19. September 2018 beanstandeten Sie die Sendung «Echo der Zeit» (Radio SRF) vom 17. September 2018 und dort den Beitrag «Seelische Begleitung auch bei Suizid».[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich darauf eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung, in der Sie die Redaktion des «Echos der Zeit» ansprachen, wie folgt:

„Konsterniert habe ich Ihren Beitrag zur Broschüre des Bernischen Synodalrates unter dem Titel ‚Solidarität bis zum Ende‘ gehört und frage mich seither, ob das die journalistische Qualität auch aller anderer Beiträge in Ihrem Sendegefäss ist. Denn in diesem Fall sehe ich hinter die Kulissen und weiss, dass sie die elementarsten Regeln journalistischer Sorgfaltspflicht ausser Acht gelassen haben und sich völlig unkritisch zu Propagandisten einer kirchenpolitischen Absicht haben machen lassen.

Sie haben den Hauptverantwortlichen für eine kirchenamtliche Schrift interviewt, ohne ihm sachgerechte kritische Fragen zu stellen. Auch nicht ansatzweise haben Sie versucht, die Meinung dieses Kirchenmannes einzuordnen in ihren politischen, sozialen und kulturellen Kontext. Vielmehr haben Sie ihm eine Plattform geboten, dass er die kritischen Stimmen, von denen er selber wohl weiss, qualifizieren konnte als weiterhin tolerierbare Relikte persönlicher Gewissensregungen. Sie selber haben das Stichwort geliefert, dass Pfarrerinnen und Pfarrer sich ‚überfordert‘ fühlen könnten, haben also eine psychologisierende Erklärungen allen sozialethischen Überlegungen vorgeordnet. Sie haben weder die klärende Frage gestellt, wer genau den Anstoss zu dieser Broschüre gegeben hat, noch haben Sie nach der genauen Argumentation der Kritiker gefragt, und schon gar nicht haben Sie eine Stimme aus dem Kreis dieser kritisch argumentierenden Pfarrer und Pfarrerinnen zu Wort kommen lassen.

Damit haben Sie das Gebot der Sachgerechtigkeit missachtet. Sie haben die Tatsachen und Ereignisse nicht so dargestellt, dass sich das Publikum eine eigene Meinung hätte bilden können.

Ich bin zwar selber in der Berner Kirche ordiniert, aber habe schon länger keine Stelle mehr in diesem Kanton. Ich habe deshalb nur von aussen mitbekommen, wie diese Sache aufgegleist worden ist. Doch diese rudimentären Kenntnisse machen es ohne weiteres möglich, das intrigante Vorgehen der Kirchenbehörde zu durchschauen. Von Ihnen als Journalisten hätte man erwarten dürfen, dass Sie Ihren Hörern die Möglichkeit bieten, solche Zusammenhänge zumindest zu erahnen und sich mit Hilfe solcher Hinweise ein eigenes, freies Urteil zu bilden.

Nur so viel: Sie haben nicht gefragt, wer genau den Anstoss zum Verfassen der Broschüre gegeben hat. Der Kollege Zeindler nennt ein Kollegium aus einer grösseren Bernergemeinde, ohne Ross und Reiter beim Namen zu nennen. Mit dem Wörtlein ‚grösser‘ suggeriert er eine grössere Bedeutung, ohne dass für die Hörer Ihrer Sendung klar werden konnte, dass auch die grösste Gemeinde in der Stadt Bern innerhalb der Kantonalkirche nur eine unbedeutende Minderheit bildet. Vor allem aber kaschiert er mit diesem Hinweis, dass es nie einen demokratisch legitimierten Auftrag an den Synodalrat gegeben hat, eine solche Broschüre zu verfassen, und also auch keine Möglichkeit einer transparenten demokratischen Meinungsbildung.

Sie haben überhaupt keine kritische Rückfrage zum Prozess der Meinungsbildung gestellt. Vielmehr haben Sie es hingenommen, ohne nachzuhaken, dass der Vertreter des Synodalrates ganz offen zugegeben hat, dass er keine Zahlen hat und nicht weiss, wie aktuelle diese Frage überhaupt ist, wie viele Pfarrerinnen und Pfarrer also überhaupt dem Wunsch nach einer seelsorgerischen Begleitung in den Suizid begegnen.

Es wäre für den Synodalrat ein leichtes gewesen, sich das dazu nötige Wissen zu beschaffen. Warum haben Sie ihm diese Rückfrage erspart?

Wenn es wirklich die Absicht des Synodalrates gewesen wäre, hilfreich auf Nöte in der Pfarrerschaft einzugehen und klärende Grundsätze herauszuarbeiten, wäre es naheliegend gewesen, das offene Gespräch in einem offenen Kreis zu suchen. Nach altreformiertem Verständnis gibt es in den evangelischen Kirchen kein Lehramt. Die Gewissen sind, wie Luther vor dem Kaiser formuliert hat, in der heiligen Schrift gebunden und in dieser Bindung frei. Wenn der Synodalrat die Pfarrerinnen und Pfarrer tatsächlich hätte unterstützen wollen, gerade auch diejenigen, die unzeitgemässe Überzeugungen vertreten, hätte er notwendigerweise auf diese Bindung an die heiligen Schriften hinweisen müssen. Das mag für Sie als Journalisten ferner liegen. Doch sollte eine minimale Allgemeinbildung ein Bewusstsein für den strukturellen Unterschied zwischen der katholischen und der reformierten Kirchenordnung verleihen, so dass Sie entsprechende Fragen hätten stellen müssen. Denn nach dem reformatorischen Kirchenverständnis hätte der Synodalrat die Mühe eines konziliaren Meinungsbildungsprozesses auf sich nehmen und Kirchgemeinderäte und Pfarrerinnen und Pfarrer einbeziehen müssen in einen solchen klärenden Austausch. Doch war es dem Synodalrat natürlich klar, dass eine solche freie Meinungsbildung niemals zu einer grundsätzlichen Empfehlung hätte führen können, sondern am Ende nur das Problembewusstsein in einer evangelischen Meinungsvielfalt gespiegelt hätte.

Die Broschüre des Synodalrates verfolgt deshalb ein anderes Ziel: Als Reaktion auf den sozialen Bedeutungsverlust der evangelischen Kirchen und die ernüchternde Erkenntnis, dass es der katholischen Kirche viel besser gelingt, sich in der massenmedialen Gesellschaft Gehör zu verschaffen, gibt es auch in unserer Kirche ein starkes Bestreben, die zentralen kirchenamtlichen Kompetenzen auszubauen und lehramtliche Auftritte der ‚Kirchenleitung‘ zu ermöglichen. Der Synodalrat nutzt die Ratlosigkeit von Kolleginnen und Kollegen, um dieses Anliegen einer verstärkten lehramtlichen Autorität voranzubringen, und stellt sich deshalb auch willig in den Dienst der Anliegen von Sterbehilfeorganisationen. Auch wenn das vielen Mitbeteiligten nicht bewusst ist, geht es in einer längerfristigen Perspektive darum, die Pfarrerinnen und Pfarrer aus der Bindung an das Schriftwort zu lösen und die letzten Relikte eines prophetischen Anspruchs zu verwischen, so dass die protestantischen Geistlichen zu leistungsfähigen Funktionären in einem zivilreligiösen Kirchenapparat werden, die mit professioneller Sachlichkeit die wechselnden Bedürfnisse der wechselnden Kunden befriedigen.

Noch im Juni fanden in der Berner Landeskirche mehrere gewohnheitsmässige Zusammenkünfte von Synodalrat und Pfarrerschaft statt. In diesem Rahmen wäre es ein leichtes gewesen, die versammelten Pfarrerinnen und Pfarrer über die bereits fertiggestellte Broschüre zu informieren. Die Vertreter des Synodalrates haben das bewusst unterlassen. Der Synodalrat wollte jede offene Diskussion verunmöglichen. Er hat sich gehütet, bei einer Zusammenkunft die Möglichkeit zu alternativen Meinungsäusserungen zu bieten und das Risiko einer von ihm nicht zu kontrollierenden Diskussion einzugehen, womöglich gar Türen aufzutun für subversive Absprachen in der Kollegenschaft. Stattdessen verschickte der Synodalrat die Broschüre einige Wochen später an die ahnungslose Pfarrerschaft, gab ihr einige Tage Zeit, eventuelle Bedenken zu äussern, und lancierte seine Broschüre dann massenmedial. Radio SRF sprang wie vorgesehen auf diesen Zug auf.

Auf die Rückfrage nach eventuellen Bedenken aus der Pfarrerschaft konnte der Vertreter der synodalrätlichen Lehrmeinung dann sagen, dass es diese natürlich gebe, konnte sie als persönliche Gewissensnöte etikettieren und so in das Licht einer paternalistischen Toleranz tauchen und behaupten, das Gros der Pfarrerinnen und Pfarrer empfinde die Broschüre als hilfreich. Wer will diese Aussage kontrollieren? Wer weiss, wie viele kritische und wie viele positiv bejahende Rückmeldungen tatsächlich beim Synodalrat eingegangen sind? Eine entsprechende kritische Rückfrage haben Sie Ihrem Interviewpartner erspart. Sein Kalkül ist aufgegangen: Der Schein einer freien Meinungsbildung war aufgerichtet. Doch in der Realität war zeitlich alles so geplant, dass sich nur in aller Hast vereinzelte Stimmen zu Wort melden konnten, die sich unmöglich verbinden und gegenseitig abstimmen konnten. Es bleibt ganz in der Macht des Synodalrates, diese vereinzelten Stimmen zu gewichten und ihre Anliegen zu deuten. Er hat alles Nötige von Macchiavelli gelernt: Teile – und herrsche...!

So war es für die Hörer Ihrer Sendung nicht möglich, auch nur ansatzweise zu erahnen, dass es nicht bloss persönliche Gewissensbeschwernisse, sondern ausdifferenzierte sozialethische Argumente sind, welche dazu führen, dass die Broschüre des Synodalrates als eine unverantwortliche Anpassung an den neoliberalen Zeitgeist gesehen wird. Vor kurzem hat Ihre Redaktion über Sterbehospize berichtet. Dabei kam auch eine Stimme zu Wort, die davon zu berichten wusste, der Druck auf Schwerkranke, doch endlich den Giftbecher zu trinken, nehme zu. Weshalb haben Sie dem Vertreter der synodalrätlichen Hilfestellung eine entsprechende Frage erspart? Statt kritisch die Tragfähigkeit seiner Position zu prüfen, haben Sie sich von einer suggestiven Sentimentalität manipulieren lassen. Wie von den innerkirchlichen Medienberatern vorgesehen, haben Sie mit dem Duktus Ihrer Fragen eine Atmosphäre aufgebaut, in der möglicherweise kritische Haltungen eingeordnet werden in die allseits vertrauten, naiven Denkschemen, nach denen sich ‚traditionalistische‘ und ‚zeitgemäss progressive‘, und in diesem Fall ‚pfarrherrlich bevormundende‘ und ‚menschenfreundlich emanzipative‘ Anliegen gegenüberstehen. So haben Sie einer unsäglichen Reduktion der faktischen Komplexität die Plattform Ihres Sendegefässes geboten. Vor allem fallen Sie damit allen Pfarrerinnen und Pfarrern in den Rücken, die sich in leidvollen seelsorgerlichen Situationen gegen die zunehmend krude Vorstellung zu stemmen versuchen, dass Leid immer sinnlos und ein Suizid deshalb Pflicht sei, wenn ein Mensch verantwortungsvoll handeln und der Welt sinnlose Belastungen, menschliche und finanzielle, ersparen wolle.

Die absurde Aussage, dass die Seelsorge an verurteilten Straftätern im Gefängnis die seelsorgerliche Begleitung eines Menschen zur Selbsttötung legitimiere, haben Sie ebenso unkritisch übernommen wie den Vergleich mit der Seelsorge an Prostituierten. Als ob es keinen Unterschied machen würde, ob man einen Menschen nach einem Tun oder vor dem Vollzug einer Tat zu ermutigen, zu ermahnen oder zu trösten versucht. Die einfachsten Regeln der Logik hätten eine Rückfrage geboten.

Gewiss: Solche Zusammenhänge kann man nicht im Echo der Zeit in fünf Minuten entfalten. Docj könnte man ohne weiteres Fragen offen halten, oder, redaktionell wirklich verntwortungsbewusst, man könnte die aktuelle Information verbinden mit dem Hinweis auf eine vertiefende, kontroverse Darstellung in einem anderen Sendegefäss.

Nun aber frage ich mich sehr beunruhigt: Haben alle Ihre gesellschaftspolitischen Sendungen dieses Niveau? In der Regel sehe ich nicht hinter die Kulissen. Nun muss ich davon ausgehen, dass Sie auch in vielen anderen Fällen nicht recherchieren, sondern nur weitergeben, was jemand für Sie aufbereitet, dass Sie also nicht journalistisch arbeiten, sondern nur mit massenmedialer Technik verstärken, was andere als die einzig mögliche Sicht der Dinge präsentiert haben möchten.

In einer Zeit, in der ein amerikanischer Präsident uns vor Augen führt, wie man die Medien für sich instrumentalisiert, lässt mich das ratlos zurück: Offenbar ist es auch für grosse, staatliche geförderte Medien nicht möglich, für eine wirklich kritische Meinungsbildung die Türen zu öffnen. Wie sollten wir da in den Herausforderungen unserer Zeit bestehen, sie gar bewältigen können?

Ich fasse zusammen: Sie haben nach meinem Urteil die elementare journalistische Sorgfaltspflicht verletzt und das Gebot der Sachgerechtigkeit übertreten. Ohne die Ihnen zur Verfügung gestellten Informationen zu hinterfragen, haben Sie die Behauptung des Synodalrates übernommen, dass es ihm um die Unterstützung der Pfarrerinnen und Pfarrer gehe, um die er gebeten worden sei. Und Sie haben mit Ihrer Wortwahl den Eindruck verstärkt, den Ihre Informationsquelle wecken wollte, dass nämlich eventuelle Kritiker über keine beachtenswerte Argumente verfügen, sondern höchstens von ganz persönlichen Gewissensüberzeugungen geleitet werden, die es zu tolerieren gelte. Beides entspricht nicht der Sachlage.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Für das «Echo der Zeit» äußerte sich dessen Redaktionsleiter, Herr Beat Soltermann:

«Besten Dank für die Gelegenheit, Stellung zu nehmen zur Beanstandung von Herrn X. Herr X kritisiert den Beitrag ‘Seelische Begleitung auch bei Suizid’ in der Sendung vom 17. September 2018. Er wirft dem ‘Echo der Zeit’ vor, <die elementare journalistische Sorgfaltspflicht verletzt und das Gebot der Sachgerechtigkeit übertreten> zu haben.

Beim Beitrag handelt es sich um ein Gespräch mit dem Theologen Matthias Zeindler. Dieser ist zudem Co-Autor des Positionspapiers ‘Solidarität bis zum Ende’, das das Gesprächsthema mit der Moderatorin war. Es ging darum zu ergründen, warum die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn das Thema ‘Sterbehilfe’ aufgreifen – und warum gerade jetzt – und welche Funktion das Positionspapier des Synodalrats dabei hat. Das ganze Gespräch ist als Audio und zudem als Transkript beigefügt.[2]

Herr X kritisiert mehrere Punkte:

Vorwurf des falschen Fokus

Thema des Gesprächs waren der neue Leitfaden und die Gründe für dessen Herausgabe. Der Leitfaden war für uns relevant, weil er ein aktuelles und relevantes gesellschaftspolitisches Thema aufgreift, mit dem die Seelsorgerinnen und Seelsorger heute in ihrem Berufsalltag konfrontiert sind. Und weil die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn als Erste in der Deutschschweiz den Pfarrerinnen und Pfarrern eine solche Orientierungshilfe für die seelische Begleitung bei Suizid anbieten. Das war der Anlass für das Gespräch – eine Entscheidung, die uns aufgrund journalistischer Kriterien als nachvollziehbar und richtig scheint.

Vorwurf des falschen Gesprächspartners

Matthias Zeindler ist seit Mai 2010 Leiter Bereich Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und seit 2011 Titularprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Zudem hat er im Auftrag des Synodalrates das Positionspapier ‘Solidarität bis zum Ende’ mitverfasst. Das sind drei Gründe, die für die Wahl von Zeindler als Gesprächspartner sprechen. Der Gesprächspartner wurde in der Ansage eingeführt, es war klar, dass er qua seiner Funktion in der Kirche wie auch als Co-Autor des Leitfadens legitimiert ist, Red und Antwort zu stehen. Natürlich kann man zu jedem Thema mit mehr als einer Person reden, doch wir fanden keine, die in diesem Zusammenhang qualifizierter gewesen wäre als Herr Zeindler. Auch wäre es denkbar gewesen, das Thema in Form eines gestalteten Beitrags aufzugreifen, in dem mehr als eine Person zu Wort gekommen wäre – vielleicht auch Herr X. Wir entschieden uns aber für die Gesprächsform. Die Wahl des Gesprächspartners und die Wahl der journalistischen Gestaltungsform liegt im journalistischen Ermessen, dem im Wesentlichen die Sachgerechtigkeit eine Grenze setzt. Diese, so sind wir überzeugt, haben wir hier respektiert.

Vorwurf der Unmöglichkeit der Meinungsbildung

Herr X wirft uns schliesslich vor, wir hätten das Gespräch nicht kritisch genug geführt, die falschen Fragen gestellt und dadurch unserer Hörerschaft verunmöglicht, sich eine eigene Meinung zu bilden. Ich habe das Gespräch mehrfach nachgehört und kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen. Die Moderatorin spricht alle heiklen Punkte an, von einer Plattform, die wir Zeindler angeblich geboten haben, kann nicht die Rede sein. Der Befragte nimmt auch zu den vom Beanstander kritisierten Punkten Stellung. Er sagt etwa explizit, dass die Reformierte Kirche den Pfarrerinnen und Pfarrern keine Anweisungen geben könne, wie sie beim assistierten Suizid zu handeln hätten. Oder, dass der Leitfaden bloss eine Orientierungshilfe sei, nicht jedoch verpflichtend. Auch wird mehr als deutlich, dass nicht alle 500 Pfarrerinnen und Pfarrer glücklich sind mit der Schrift.

Eine Ausgabe des ‘Echo der Zeit’ schliesslich dauert höchstens 45 Minuten und besteht neben der Nachrichtenübersicht aus rund acht Themen, die vertieft werden. Das zeitliche Korsett setzt Grenzen. Das anerkennt auch der Hörer, der das Gespräch beanstandet. Das Gespräch dauert (ohne Ansage) 4:12 Minuten. Der Moderatorin ist es gelungen, in diesem Zeitrahmen alle wichtigen Aspekte anzusprechen. Wir sind deshalb überzeugt, mit dem ‘Echo’-Gespräch ‘Seelische Begleitung auch bei Suizid’ in der Sendung vom 17. September 2018 nicht gegen Art. 4 oder 5 des Radio- und Fernsehgesetzes verstossen zu haben. Wir bitten Sie daher, sehr geehrter Herr Blum, die Beanstandung abzulehnen.»

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Es gibt innerhalb der Evangelisch-Reformierten Kirchen der Schweiz unterschiedliche Auffassungen, wie man aus theologischer Sicht zum assistierten Suizid stehen soll. Soll die Kirche Sterbehilfe unterstützen, weil auch solche, die ihrem Leben aus meist gesundheitlichen Gründen ein Ende setzen wollen, seelsorgerische Betreuung beanspruchen dürfen? Oder soll die Kirche Sterbehilfe ablehnen, weil auch das Leiden zum Leben gehört, und somit aus sozialethischen Gründen Suizidwillige seelsorgerisch nicht unterstützen? Da gibt es im evangelischen Lager zwei Fraktionen. Der Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn hat die eher progressive Position eingenommen und eine Broschüre ausarbeiten lassen, die den Pfarrerinnen und Pfarrern Hilfestellung leistet, wenn Begehren nach seelsorgerischer Unterstützung beim assistierten Suizid an sie herangetragen werden. Sie selber stehen im anderen Lager und bekämpfen den bernischen Synodalrat vehement.

Nun ist allerdings die Broschüre alles andere als apodiktisch.[3] Die Autoren argumentieren sehr zurückhaltend und überlassen den Entscheid, wie sich die einzelnen Pfarrerinnen und Pfarrer verhalten sollen, ihrem Gewissen und freien Willen. Entsprechend argumentiert auch Prof. Dr. Matthias Zeindler, Titularprofessor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern[4], einer der Autoren der Schrift, sehr abwägend. Die Journalistin stellt eigentlich alle Fragen, die man aus der Sicht des Publikums stellen muss. Es gibt keinen Anlass, den befragten Theologen zu grillieren. Es gibt auch keinen Grund zu mutmassen, der Synodalrat habe die rund 500 Pfarrerinnen und Pfarrer mit der Verteilung der Broschüre vor ein fait accompli gestellt. Wenn ich eine unbestellte Broschüre im Briefkasten vorfinde, habe ich drei Möglichkeiten, wie ich damit umgehe: Erstens, ich verschlinge sie förmlich, weil ich lange auf genau diese Broschüre gewartet habe, und setze die Inhalte um. Zweitens, ich durchblättere sie skeptisch, habe große Vorbehalte und lege sie weg. Und drittens, ich will davon überhaupt nichts wissen und werfe sie in den Papierkorb. Genau diese Möglichkeiten hatten die 500 Pfarrerinnen und Pfarrer. Ihr Problem aber scheint zu sein, dass Sie der ersten Gruppe den Weg gänzlich versperren möchten und dem Synodalrat vorwerfen, dass er dieser einen Freipass gibt.

Und so ist denn Ihre Beanstandung auf weite Strecken eine sehr scharfe Auseinandersetzung mit dem bern-jurassisch-solothurnischen Synodalrat. Und überall dort, wo Sie ein Argument gegen ihn vortragen, werfen Sie dem «Echo der Zeit» vor, just diese Frage dem Gesprächspartner nicht gestellt zu haben. Letztlich fetzen Sie sich mit dem Synodalrat auf dem Buckel des «Echos der Zeit».

Wenn ich mir den Beitrag mit Einleitung und Interview anhöre, dann habe ich überhaupt nicht den Eindruck, dass die Redaktion nicht sorgfältig gearbeitet hat. Die Fragen ergeben sich logisch aus der Problemlage. Der Beitrag war rundum sachgerecht. Natürlich gäbe es Alternativen: Man könnte über die Rolle der Seelsorge im Zusammenhang mit assistiertem Suizid eine Diskussion im «Club» führen mit Personen, die unterschiedliche Positionen vertreten. Man könnte in einer längeren Recherche verschiedene Problemlagen spiegeln – und verschiedene Menschen reden lassen: Pfarrer an der Front im Spital oder im Dorf, todkranke Patienten, Theologen verschiedener Richtungen usw. Nur: Der zwar vertiefende, aber dennoch kurze «Echo»-Beitrag kann beide Alternativen nicht auffangen. Meines Erachtens hat die Redaktion die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gut ausgeschöpft. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://bit.ly/2MWN1f0

[2] Vgl. Fußnote 1 sowie Beilage Transkript.

[3] http://www.refbejuso.ch/fileadmin/user_upload/Downloads/Publikationen/Broschueren/SR_PUB_Assistierter-Suizid_180917.pdf

[4] http://www.systematischetheologie.unibe.ch/ueber_uns/personen/prof_dr_zeindler_matthias/index_ger.htm

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