Arbeitsalltag in Russland: Im Interesse der Politik
Zugang zum Kreml bekommen ausländische Medien nicht jeden Tag. Ausnahmen sind Besuche von Vertretern der jeweiligen Länder. Vergangenen November gab es anlässlich des Besuchs von Ueli Maurer in seiner damaligen Funktion als Bundespräsident beim russischen Präsidenten Putin einen jener seltenen Momente für Schweizer Medien und damit auch für mich als SRF-Fernsehkorrespondentin. Zugang zum Kreml bedeutet noch lange nicht, dass man dem russischen Präsidenten eine Frage stellen kann. Pressekonferenzen gibt der Kreml laut offizieller Erklärung, sofern es der Terminkalender des Präsidenten erlaubt. Innoffiziell dürfte die Präsidialadministration in vielen Fällen schlicht kein Interesse an einer Pressekonferenz haben. Journalisten haben aus Sicht des Kremls nicht im Dienste der Öffentlichkeit zu stehen, sondern im Interesse der Politik.
«So verbringe nicht nur ich, als ausländische Journalistin, viel Zeit damit, darüber zu rätseln, welche Absichten der Kreml verfolgt.»
Luzia Tschirky, SRF-Fernsehkorrespondentin Russland
Auch in der Schweiz mag der Bundesrat für eigene Anliegen weibeln. Dank dem politischen System der Schweiz ist es jedoch im Interesse der politischen Vertreter, die Meinung der Stimmbevölkerung zu berücksichtigen, schliesslich drohen Referenden und Initiativen. In Russland gibt es keine vergleichbaren Instrumente – de facto gibt es nicht einmal ein Wahlrecht. Ansonsten müssten ernstzunehmende Konkurrenten zu Wahlen zugelassen und Amtsinhaber abgewählt werden können. Doch zu Wladimir Putin gibt es nach 20 Jahren an der Macht keine politischen Alternativen. In diesen Wochen hat Putin eine Verfassungsänderung in die Wege geleitet, deren Ziele niemand ausserhalb des Kremls wirklich kennt. So verbringe nicht nur ich, als ausländische Journalistin, viel Zeit damit, darüber zu rätseln, welche Absichten der Kreml verfolgt. Oftmals ist es den russischen Kollegen nicht klar, was im Land vor sich geht.
Die Medien in Russland lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: In die kompromissbereiten und die prinzipientreuen. Zur ersten Gruppe gehören fast alle TV- und Radiosender und alle grösseren Zeitungen. Diese fühlen sich einer unabhängigen Berichterstattung nur in einem vorgegebenen Rahmen verpflichtet. Am Rand der Medienlandschaft spielen die wenigen prinzipientreuen wie «Novaya Gazeta», das Onlineportal Meduza oder junge Blogger auf YouTube eine untergeordnete, aber nicht zu unterschätzende Rolle. Von ihnen trifft man kaum jemanden im Kreml. Verständlich, denn die meiste Zeit verbringt man als Journalist mit Warten für einen Fototermin. Das kann nicht im Interesse unabhängiger Medien sein.
In der LINK-Kolumne 2020 geben SRF-Korrespondentinnen und -Korrespondenten einen persönlichen Einblick in die Medienwelt ihrer Tätigkeitsregion.
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