«Ich musste mich einfach auf dieses Abenteuer einlassen»
Seit April läuft auf SRF 1 die RTS-Koproduktion «Kleine Lügen» (Originaltitel: «Bulle»). Luc Peter von Intermezzo Films, Produzent der Westschweizer Serie, spricht im Interview über seine langjährige Zusammenarbeit mit Anne Deluz, der kürzlich verstorbenen Regisseurin und Drehbuchautorin von «Bulle». Und er erklärt, mit welchen Herausforderungen er als Produzent konfrontiert ist.
Luc Peter, Sie haben die Serie «Bulle» produziert. Wie kam es dazu?
Anne Deluz hat mir ihr Projekt «Bulle» im Frühling 2013 vorgestellt. Ich wollte bei Intermezzo Films eigentlich gar keine Serien machen, aber das Projekt war zu gut und der Kontakt zu Anne stimmte von Anfang an. Ich musste mich einfach auf dieses Abenteuer einlassen. Daraufhin bot ich Anne an, bei Intermezzo Films mitzuarbeiten, weil ich nach einer Teampartnerin suchte, die wie ich beide Hüte tragen konnte: den der Produzentin und den der Regisseurin.
Im Herbst 2013 hattet ihr das Projekt «Bulle» bei RTS eingereicht. Nun hat es sieben Jahre gedauert, bis die Serie ausgestrahlt wurde. Ist das üblich?
Das Projekt kam in Verzug, weil Anne im Februar 2014 erkrankte und behandelt werden musste. Dazu kam die Verzögerung aufgrund der No-Billag-Initiative: RTS, Koproduzentin von «Bulle», konnte uns erst nach dem Abstimmungstermin eine Zusage für die Serie machen. Die eigentlichen Dreh- und Schnittarbeiten liefen dann planmässig und ohne Unterbruch.
Eine wichtige Aufgabe des Produzenten ist die Finanzierung von Film- und Serienprojekten. Wie wurde «Bulle» finanziert?
Wie gesagt, «Bulle» war unsere erste Serie. Ich wollte der Regisseurin und mir ein Maximum an Freiheit gewähren. Deshalb haben wir uns entschieden, nur in der Schweiz nach finanzieller Unterstützung zu suchen. Das funktionierte, weil das Budget für unsere Serie eher bescheiden war. Die Mittel für die Produktion von «Bulle» stammten in erster Linie von RTS, der SRG, Cinéforom und dem Teleproduktions-Fonds.
«Bulle» ist eine Koproduktion von RTS und Intermezzo Films. Wie lief die Zusammenarbeit?
2013 haben wir von Intermezzo Films RTS das Projekt vorgestellt. RTS hat es ausgewählt und dessen Entwicklung unterstützt. Da «Bulle» unsere erste Serie war, war für uns die Begleitung durch RTS, namentlich durch Françoise Mayor sowie Izabela Rieben, sehr wichtig. Wir konnten viel von ihrem Know-how profitieren. Die Schreibarbeit lief sehr frei, weitgehend nur im vierköpfigen Autorenteam und mit dem Produzenten. RTS bekam erst weit fortgeschrittene Versionen des Drehbuchs. Diese Distanz ermöglichte einen neuen Blick auf die Geschichte. Die Rückmeldungen von RTS waren entscheidend, damit das Drehbuch gut wurde. Für das Casting, das Zusammenstellen der künstlerischen und technischen Crews und für den Schnitt hatte RTS Anne weitgehend freie Hand gelassen. Dieses grosse Vertrauen genossen wir, weil Anne schon mehrere Serien und Fernsehfilme für RTS realisiert hatte.
«In jeder Folge tauchen wir in das Leben einer anderen Person ein»
Luc Peter, Produzent von «Bulle»
Anne Deluz ist nach langer Krankheit im November 2019 an einem Krebsleiden gestorben, noch vor dem Ausstrahlungsstart der Serie. In «Bulle» geht es auch um eine krebskranke Frau. Hat die Regisseurin den autobiografischen Bezug bewusst gewählt?
Nein, denn Anne hat mir das Projekt für diese Serie fast ein Jahr vor ihrer Diagnose unterbreitet. Die Tatsache, selbst konfrontiert zu sein, hat dem Projekt grosse Authentizität verliehen. Es war aber nie die Absicht gewesen, den Fokus der Serie auf die Krankheit zu legen. Die Krebserkrankung der Hauptfigur Alice ist der Auslöser und bringt die dramaturgische Chronologie in Gang, aber sie ist nicht das Hauptthema in «Bulle».
Die erste Folge von «Bulle» lief am 12. März auf RTS. Ab Anfang April wird die Serie auch auf SRF und RSI zu sehen sein. Was gefällt Ihnen an der Serie besonders?
Die Serie ist sehr menschlich, sehr emotional und mit grossartigen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt. Die Idee, dass wir die Geschichte der Familie mitverfolgen, die sich der Erkrankung von Alice stellen muss, und dabei in jeder Folge in das Leben einer anderen Figur eintauchen, funktioniert extrem gut. Wir entdecken die Gedankenwelt, den Alltag und das Seelenleben von allen sechs Figuren – dadurch entsteht eine Vielfalt und Intensität, die diese Serie einzigartig macht.
«Die Zusammenarbeit unter den Schweizer Produktionsfirmen ist sehr konstruktiv»
Luc Peter, Produzent von «Bulle»
Welches ist die grösste Herausforderung in Ihrem Arbeitsalltag als Produzent?
Zu schauen, dass die Autorinnen und Regisseure angesichts der langen Entwicklungsphasen und der Projektfinanzierung ihre Begeisterung und Kreativität nicht verlieren. Wenn man jahrelang an einem Filmprojekt arbeitet, ohne sicher zu sein, dass der Film je gedreht wird, ist das schon ziemlich belastend.
Arbeiten die verschiedenen Schweizer Produktionsfirmen auch zusammen?
Oder besteht ein ernster Konkurrenzkampf? Seit einigen Jahren ist die Zusammenarbeit der Schweizer Produktionsfirmen sehr konstruktiv. Berufsverbände wie die Westschweizer
Aropa
und
Fonction Cinéma
haben wesentlich dazu beigetragen. Wir alle können unsere Fragestellungen einbringen und suchen gemeinsam nach Lösungen. In den Diskussionen zeigen sich die Produzentinnen und Produzenten sehr solidarisch, auch wenn wir vor den Auswahlkommissionen, die über die Unterstützung von Projekten bestimmen, harte Konkurrenten sind.
Über die Serie «Kleine Lügen» (Originaltitel: «Bulle»)
Bulle, eine Schweizer Kleinstadt inmitten des industriellen Wandels, am Fusse der Freiburger Voralpen gelegen. In dieser Postkartenumgebung lebt die Familie Aubert. Deren Alltag gerät plötzlich aus dem Gleichgewicht, als sie mit der Krebserkrankung der 35-jährigen Alice konfrontiert werden. Die Krankheit von Alice bringt Gewissheiten durcheinander, verschiebt die Rollen und zwingt alle dazu, ihre Beziehungen infrage zu stellen...
Ausstrahlung: ab dem 1. April, jeden Mittwoch, um 23.00 Uhr auf SRF 1
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