Auslandkorrespondenz während Corona: Susanne Brunner berichtet
Susanne Brunner ist die Radiofrau, die seit vielen Jahren den Glarner Dialekt in die Schweizer Haushalte bringt. Seit 2018 ist sie als Nahostkorrespondentin von Radio SRF in der jordanischen Hauptstadt Amman stationiert. Wie kann sie aufgrund der gegenwärtigen Reise- und Ausgehbeschränkungen ihre Arbeit noch ausführen? Ein Bericht von Martin Leutenegger.
Eigentlich war der Flug bereits gebucht: Am 11. März wollte Susanne Brunner in die Schweiz fliegen, um zusammen mit ihrem in Netstal wohnenden Ehemann die Ferien zu verbringen. Die Folgen der Corona-Krise waren allerdings bereits voraussehbar, so dass sie von der Chefredaktion gebeten wurde, auf ihrem Posten zu bleiben – in der begründeten Befürchtung, dass die Korrespondentin sonst nach ihren Ferien nicht mehr ins Land gelassen würde.
Eine Radiostimme seit 35 Jahren
So ist die Glarnerin weiterhin fast täglich auf SRF3 zu hören, oder auf SRF1 im «Rendez-vous am Mittag» und im «Echo der Zeit», mit Berichten zum aktuellen Geschehen in einer Region, die weit über ihren Stützpunkt hinausreicht. Zu ihrem Gebiet gehören so unterschiedliche Länder wie Israel, die Palästinensischen Gebiete, Ägypten, Libanon, Irak und Syrien, wobei sie für letzteres Land nie ein Visum bekommen hat.
Ihre Stimme kennen fleissige Radiohörerinnen und -hörer seit fast 35 Jahren: Die heute 55-jährige Susanne Brunner stiess 1986 zum Jugendsender DRS3, wechselte vorübergehend zum Fernsehen und trat anschliessend für SRF als Westschweiz- und USA-Korrespondentin in Aktion. Während fast 12 Jahren moderierte sie danach hauptsächlich von Bern aus das «Tagesgespräch» in der Mittagssendung von Radio SRF, bis sie im März 2018 die Koffer packte und ihren Posten in Amman antrat.
«Die andere Seite kennenlernen»
Weshalb gerade der Nahe Osten? Hätte es nicht ebenso interessante, aber weniger gefährliche Orte gegeben? «Im Jahr 2003, als die USA den Irak angriffen», so Susanne Brunner, «war ich in den Vereinigten Staaten und stellte fest, wie einseitig die Berichterstattung war. Gerne hätte ich deshalb auch 'die andere Seite' kennengelernt. Als diese Korrespondentenstelle später frei wurde, habe ich mich beworben.» Dazu musste sie aber erst einmal die fremde Sprache lernen: In Bern nahm sie Unterricht in Hocharabisch, später absolvierte sie einen Sprachaufenthalt in Kairo und noch heute besucht sie in Amman – im Moment halt online – den Unterricht, um sich mit dem jordanischen Dialekt besser vertraut zu machen.
Um Ihre Sprachkenntnisse weiter zu verbessern, hat Brunner nun die beste Gelegenheit, denn auch sie ist von den Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit betroffen. Eines Freundes Pech war allerdings Brunners Glück: Weil der Gatte einer jordanischen Freundin wegen der Corona-Krise im Süden des Landes blockiert ist, darf die Korrespondentin bis auf Weiteres in deren Wohnung bleiben und kann von dort aus ihrer Arbeit nachgehen.
«Augen und Ohren vor Ort»
Das Mischpult und andere technische Utensilien musste Susanne Brunner zwar in ihrer Wohnung zurücklassen, doch, sagt sie, auf ihren Reportage-Reisen habe sie sich auch auf Laptop und Handy beschränken müssen. Für die Übermittlung ihrer Berichte in die Schweiz stehe ihr eine Radio-App zur Verfügung – womit auch die Frage geklärt ist, weshalb ihre Worte jeweils so klar und deutlich herüberkommen, im Gegensatz zu den üblichen Telefoninterviews.
Die Frage drängt sich aber auf, wie eine Korrespondentin, die ein halbes Dutzend Länder abdecken soll, ihrer Arbeit nachgehen kann, wenn sie – wie derzeit fast alle Menschen – am Reisen gehindert wird, wegen der lokalen Ausgangsbeschränkungen, aber auch, weil die Landesgrenzen geschlossen sind und es kaum mehr Flüge gibt. Brunners Vorteil: Nach zweijähriger Präsenz in der Region verfügt sie in jedem Land über ein Netzwerk von Kontakten: «Ich habe Augen und Ohren überall vor Ort», sagt sie. Und indem sie so engen Kontakt mit den Einheimischen habe, sei sie auch jederzeit darüber informiert, was «auf der Strasse» abgehe und wo die Probleme der Menschen lägen.
Corona-Krise auch in Jordanien
Wie hart es ist, während Wochen in der eigenen Wohnung eingesperrt zu sein, muss man den Glarnerinnen und Glarnern nicht erklären. Auch Susanne Brunner darf ihr Domizil nur für dringendste Besorgungen in der Nähe verlassen; die Polizeikontrollen sind streng, die Strafen hart. Zwischen 18 und 10 Uhr herrscht eine absolute Ausgangssperre. Die Korrespondentin ist überrascht, wie strikt die Vorschriften eingehalten werden, was sie nicht zuletzt auf das geschickte Agieren der Regierung zurückführt. Ausserdem sei Jordanien ein Land, das schon zuvor mit vielen Problemen konfrontiert gewesen sei. So gebe es im Land rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Irak, und vor allem diese hätten in ihrem Leben schon sehr viel Schlimmeres erlebt als eingeschränkte Ausgangs- und Einkaufsmöglichkeiten.
Die Massstäbe verändern sich unter solchen Umständen auch für Ausländer: Probleme, die einem in der heilen Schweiz Sorgen- oder Zornesfalten auf die Stirn treiben konnten, entlocken angesichts der gravierenden Probleme in der neuen Umgebung nur noch ein müdes Lächeln. Echte Sorgen macht sich Susanne Brunner aber um die Wirtschaft in den von ihr betreuten Ländern, die wegen all der Kriege und Konflikte ohnehin schon auf schwachen Füssen steht.
Hilfreiche Gespräche
Regelmässige Hörerinnen und Hörer der Informationssendungen von Radio SRF erinnern sich an die Telefongespräche, die Susanne Brunner immer wieder mit dem Leiter eines kleinen Hilfswerks in der Region Idlib (Nordwestsyrien) führt. Was der Mann jeweils an schrecklichen Erlebnissen und in grosser Not berichtet, ist für normal empfindsame Ohrenzeugen schier unerträglich. Wie geht eine Journalistin damit um, die die betroffenen Menschen selber kennt und doch nicht helfen kann? «Ich bin mir bewusst, dass ich die Welt nicht ändern kann – ich berichte nur über das, was ich sehe und höre.» Belastend sei es auf die Dauer aber schon, räumt Susanne Brunner ein. Es sei auch schon vorgekommen, dass sie nach einem Telefongespräch mit dem Mann aus Idlib geweint habe.
Gefahr kann einer Korrespondentin in dieser Region auch am eigenen Leib drohen. So entging die Radio-Frau seinerzeit bei Bagdad haarscharf einer Entführung. Das sei eine sehr belastende Erfahrung gewesen. Wichtig seien dann Gespräche mit Freundinnen, Freunden und Menschen, die schon Ähnliches erlebt hätten. Susanne Brunner ist froh, dass sie über viele solche Kontakte verfügt, ausserdem findet sie Entspannung in regelmässigen Yoga-Übungen. Nicht zuletzt hofft sie, dass die Corona-Krise bis zu den geplanten Sommerferien vorbei sein wird, so dass sie endlich wieder das von ihr geliebte Glarnerland besuchen kann.
Glarner Dialekt trotz allem
Wer den Lebenslauf von Susanne Brunner studiert, fragt sich, wie es kommen konnte, dass die in Wetzikon ZH geborene Frau immer noch perfekt Glarner Dialekt spricht: Im Alter von drei Jahren wanderte die kleine Susanne mit ihren Eltern nach Kanada aus, wo sie später auch die Schule besuchte. 1977 kam das Mädchen in die Schweiz zurück und verbrachte die nächsten Jahre bei ihren Grosseltern in Ennetbühls und später in Netstal. Nach der Matura im schweizerischen Freiburg übersiedelte Susanne Brunner erneut nach Kanada, wo sie in Ottawa ihre Studien aufnahm.
Erst 1986 liess sie sich wieder in der Schweiz nieder und zog mit ihrem heutigen Ehemann zusammen, bevor sie ab 2000 als Korrespondentin erneut in die weite Welt hinauszog. Bei alledem stellt sich die oben gestellte Frage: Weshalb spricht Susanne Brunner immer noch reinstes Glarnerdeutsch und kein Mischmasch aus Englisch, Französisch, Bärndütsch und Züritüütsch? «Auch in Kanada», erinnert sie sich, «achtete meine Mutter streng darauf, dass zuhause kein Englisch gesprochen wurde, sondern ausschliesslich die heimische Mundart».
Kommentar