Wilde Zeiten in der Medienpolitik
Die Politik reagiert auf die wirtschaftliche Krise der Medien – schnell und mit grösseren Finanzspritzen. Das ist ungewöhnlich. Eine Einordnung von Philipp Cueni.
Man darf durchaus von einer wilden Zeit sprechen, wenn man die aktuelle Medienpolitk beobachtet. Denn in der Vergangenheit war die Medienpolitik in der Schweiz ziemlich langsam getaktet. «Wir beobachten, machen uns über einige Entwicklungen Sorge, aber es gibt noch keinen Anlass zum Handeln» war über Jahre das Credo des Bundesrats. Wir wollen keine staatliche Medienförderung – das war lange auch die Haltung des Parlaments. Wir benötigen und wollen keine staatliche Medienhilfe – so immer wieder die Stimme des Verlegerverbands. Und jetzt dies: Die Politik scheint über der Schweizer Medienlandschaft den grossen Geldsack auszuleeren, schnell und heftig.
Was ist passiert? Und welche Medien bekommen was? LINK-Leserinnen und -Leser erinnern sich: Bundesrätin Simonetta Sommaruga hatte im letzten August ein «Massnahmenpaket» für die Medienförderung vorgestellt. Das sah schon nach einem konkreten Schritt vorwärts aus. Die pragmatischen Massnahmen sollten die Vorlage für ein umfassendes Mediengesetz ersetzen. Das Paket aus dem Departement Sommaruga war knappe 80 Millionen Franken teuer, davon würden vermutlich etwa 28 Millionen über Gebührengelder finanziert. Grundsätzlich kam diese Idee in der Politik und in der Medienbranche gut an. Aber der Entscheid des Parlaments ist noch offen, und dort gab es auch Skepsis. Das war die Situation im Januar.
Dann kam der Beschleuniger Coronavirus. Das Werbegeschäft brach nochmals massiv ein, was die eigentlich strukturelle Medienkrise zusätzlich verschärfte. Gleichzeitig stieg beim Publikum das Interesse an Medieninfos. Die «Systemrelevanz» der Medien wurde nicht nur augenscheinlicher, sondern plötzlich auch politisch thematisiert. Und bei den grossen Verlagshäusern war der Widerstand gegen staatliche Hilfe verschwunden, es wurden sogar Begehren an die Politik formuliert. Kurz: Die wirtschaftliche Situation bei den Medien und das politische Klima hatten sich verändert. Die Umstände waren günstig, Begehrlichkeiten an den Staat zu formulieren.
Im April beschloss der Bundesrat, den jährlichen Gebührenanteil der SRG künftig um 50 Millionen Franken zu erhöhen. Begründung: der andauernde massive Einbruch bei den Werbeeinnahmen der SRG schon vor Corona.
Ebenfalls im April brachte Simonetta Sommaruga einen «Rettungsplan Medien» in den Bundesrat. Angesichts der massiven Einnahmeausfälle durch Corona wollte sie einmalig 78 Millionen in den Mediensektor pumpen: zur Verbilligung der Zustellung von Zeitungen, zugunsten der Privatradios, der Regionalfernsehen und der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Aber Sommaruga scheiterte damit im Bundesrat. Gemäss der Wochenzeitung «WOZ», welche die Diskussion im Bundesrat öffentlich machte, störten sich einige Bundesrätinnen und -räte daran, dass grosse Verlagshäuser trotz Krise aus dem Gewinn von 2019 Dividenden ausschütten wollen.
Dann kam im Mai die ausserordentliche Session von National- und Ständerat zu Corona. Das Parlament nahm die Idee von Sommaruga wieder auf und beauftragte den Bundesrat, einmalige Hilfsmassnahmen an die Medien umzusetzen. Begründet wurde dies mit der Coronakrise und als Überbrückung bis zur Verabschiedung des definitiven «Massnahmenpakets». Bewilligt wurden dafür 57 Millionen Franken. 17,5 Millionen davon gehen an die Zustellung der Zeitungen – das sind für 2020 rund 58 Prozent mehr als im Vorjahr. Und 30 Millionen fliessen an private Radio- und Fernsehstationen – das sind für dieses Jahr 37 Prozent mehr als in normalen Zeiten.
Von diesen einmaligen Zuschüssen profitieren vor allem die grossen Verlagshäuser, weil sie neben Zeitungen auch viele private Radio- und TV-Stationen besitzen.
Durch diese Beschlüsse im Bundesparlament hat der Vorschlag des Bundesrats für das eigentliche, langfristig angelegte «Massnahmenpaket» starken Rückenwind erhalten. Zudem schlägt eine Arbeitsgruppe des Bundesamts für Kommunikation BAKOM vor, im «Massnahmenpaket» die Subvention für die Zeitungszustellung stärker als vorgeschlagen zu erhöhen: nicht von 30 auf 50, sondern gleich auf 110 Millionen Franken.
Und es sind bereits weitere Begehrlichkeiten angemeldet worden: Aus der Szene der kleineren und jüngeren Online-Portale wird verlangt, dass der Betrag zugunsten von Online-Medien statt auf 30 auf 50 Millionen festgelegt wird.
Im Überblick soll die Medienförderung künftig über vier grosse Bereiche erfolgen: Wie bisher bei Radio und Fernsehen via Gebührengelder für SRG und private Stationen. Wie bisher beim Print als indirekte Medienförderung bei der Zeitungszustellung. Neu im Bereich Infrastruktur (Ausbildung, Presserat, Agentur) und neu im Bereich Online-Medien.
Das Ausmass der neuen Förderung wird vermutlich so aussehen: Die SRG erhält künftig 1,25 Milliarden Franken, das sind 4,1 Prozent mehr als bisher. Der private Rundfunkbereich erhält weiterhin sechs Prozent der Gebühren, aber bei einer Zunahme der Gebühreneinnahmen wächst auch der Betrag zugunsten der Privaten. Für die Zeitungszustellung ist ein Beitrag von 90 bis 110 Millionen absehbar statt der bisherigen 30 Millionen – da wird in den politischen Gremien noch gedealt; das wäre eine Zunahme zwischen 200 und 260 Prozent. Der Bereich Infrastruktur soll ca. 27 Millionen erhalten, dafür gab es bisher gar nichts. Und der Online-Bereich soll 30 Millionen erhalten, bisher war es Null. Dieser letzte Punkt, die Förderung im Online-Bereich, scheint in den politischen Gremien am meisten umstritten zu sein.
Die Schweizer Medienpolitik hat in kürzester Zeit eine erstaunliche Dynamik aufgenommen. Und es findet ein eigentlicher Paradigmenwechsel statt. Die Einsicht, wie wichtig Qualitätsmedien für die Gesellschaft sind, ist gewachsen. Ebenso das Eingeständnis, dass das reine Marktmodell für den journalistischen Medienbereich nicht funktioniert. Folge: Die Bereitschaft, das Mediensystem genereller als «Service public» zu denken, Medien verstärkt mit öffentlichen Geldern zu unterstützen, ist massiv gestiegen.
Die definitiven politischen Entscheide sind noch nicht gefallen. Es sind immer noch viele Einzelfragen offen. Und es stellen sich neue grundsätzliche Fragen an die Medienpolitik.
Offen sind vor allem die Bedingungen, unter welchen Fördergelder an einzelne Medien gesprochen werden sollen. Das Parlament wird noch einige schwierige Entscheide fällen müssen. Zum Beispiel: Sollen Fördergelder abhängig davon sein, ob ein Unternehmen unbeschränkt Dividenden ausschüttet? Soll die Unterstützung beim Zeitungsvertrieb wie bisher nur für die Postzustellung oder auch für die Frühzustellung ausgerichtet werden? Soll diese Subventionierung der Zustellung in einem Verhältnis zur Grösse der Medienhäuser stehen – weniger bei grossen Auflagen, mehr bei kleinen? Sollen – wenn überhaupt – alle Online-Anbieter gleich viel an Fördergeldern erhalten oder die neuen kleinen verhältnismässig mehr? Und sollen an die Unterstützung generelle Bedingungen geknüpft werden, was die journalistischen Standards oder die Arbeitsbedingungen betrifft?
Grundsätzlich ist mit dem Paradigmenwechsel bei der neuen Medienförderung das Tor geöffnet, um die Medienpolitik von Grund auf neu zu denken. Sicher scheint: Das bisherige duale Mediensystem mit einem gebührenfinanzierten Service public für Radio und TV einerseits und andererseits rein privaten Marktmedien (mit etwas Unterstützung bei der Postzustellung) im Printbereich gehört der Vergangenheit an. Die Medienpolitik bleibt spannend.
Philipp Cueni ist Journalist in Basel mit Schwerpunkt Medien. Er ist Gründer und langjähriger Chefredaktor des Medienmagazins EDITO.
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