«Abgrenzen? Gelingt mir überhaupt nicht!»
Fiona Endres ist eine der federführenden Investigativjournalistinnen der Schweiz. Ihre Recherchen werden immer wieder ausgezeichnet, zuletzt arbeitete sie an den Cryptoleaks mit. Ein Porträt über die «Rundschau»-Reporterin und die Liebe zum Journalismus, mutige Fachkolleginnen und -kollegen und die Wichtigkeit, am gleichen Strick zu ziehen.
Die Liebe zum Schreiben erwachte bei Fiona Endres schon als Kind: Zusammen mit einer Freundin gründete sie eine Zeitung, bei der sie jeweils im Wechsel die Chefredaktion übernahm. Wir treffen uns im Innenhof eines Cafés in Zürich, direkt neben der Limmat. Die Sommersonne knallt, die «Rundschau»-Reporterin nimmts gelassen. Sie verbringt die Sommermonate in Schweden, kam gerade erst zurück und nimmt sich gerne Zeit für das Gespräch. Wir beginnen mit einer grossen Frage: warum Journalismus? Das ausschlaggebende Erlebnis folgte Jahre nach der gemeinsam gegründeten Zeitung, nach der Kantonsschule, während des Sprachaufenthalts in England: «Dort traf ich eine chinesische Journalistin, mit der ich mich unterhielt. Durch das Gespräch wurde mir bewusst, wie wichtig Pressefreiheit ist, wie wichtig die Arbeit von uns Reportern sein kann. Da wusste ich: Ich will Journalistin werden.» Es war Endres’ Schlüsselerlebnis, das wohl jede Journalistin, jeder Journalist kennt: «Ab da war mir klar, dass man mit Journalismus etwas verändern kann – und sollte».
Vor allem in ihren Anfangsjahren prägten Endres zwei grosse Namen des Journalismus: Günter Wallraff und Giannina Segnini. «Ich habe alle Werke von Wallraff verschlungen», sagt sie. Seine ungebrochene Leidenschaft für das Aufdecken von Ungerechtigkeiten haben Endres inspiriert. Segnini, die selber an grossen Datenrecherchen wie den Offshore-Leaks mitgearbeitet hat, hat Endres vor einigen Jahren gar persönlich kennengelernt: «Dank ihr stürzte ich mich in die als staubig geltenden Themen wie Korruption und Wirtschaftskriminalität», erzählt sie. «Ich bewundere ihren Mut, gegen Wirtschaftsbosse und mächtige Strukturen anzugehen. Und das in Südamerika, das für Investigativjournalistinnen und -journalisten ein ganz anderes Pflaster als etwa die Schweiz ist.»
«Durch das Gespräch mit einer chinesischen Journalistin wurde mir bewusst, wie wichtig Pressefreiheit ist, wie wichtig die Arbeit von uns Reportern sein kann. Da wusste ich: Ich will Journalistin werden.»
Fiona Endres, SRF-Reporterin «Rundschau»
Nach ihrer Rückkehr aus England arbeitete die heute 30-Jährige bei der «Zuger Woche» und danach als freie Journalistin für die neue «Zuger Zeitung». Später absolvierte sie ein Volontariat bei der «SonntagsZeitung» und schrieb auch für den «Tages-Anzeiger». Dort gründete sie zusammen mit zwei Kolleginnen und Kollegen den «Faktencheck». Das Format nahm jeweils die aktuelle «Arena»-Sendung unter die Lupe und prüfte die Aussagen der Politiker, die Ergebnisse wurden tags darauf online im «Tages-Anzeiger» veröffentlicht. «Das war eine super Zeit», sagt Endres. Das Team habe den Faktencheck anfangs zusätzlich zur Redaktionsarbeit gestemmt, die Arbeit dauerte oft bis spät in die Nacht. Und neben leeren Pizzaschachteln und Bierflaschen entstanden Freundschaften, die auf der gemeinsamen Leidenschaft für den Journalismus und die Transparenz gründen. Seit 2017 arbeitet Endres bei der «Rundschau» von SRF und gehört zu den federführenden Reporterinnen im Schweizer Investigativjournalismus. Die Liebe dafür entdeckte sie 2014 während ihres Praktikums bei der «Rundschau»: «Das hat mich einfach nicht mehr losgelassen», erzählt sie. Endres widmet sich vor allem politischen Themen, sie verfolgt die Spur des Geldes hinauf zu den grossen Machtzentren, berichtet über Lohndumping und die FIFA. Sie sitzt zudem im Vorstand des Netzwerks investigativ.ch, und ihre Arbeiten werden immer wieder mit Preisen ausgezeichnet. Für ihre Recherche «Schweizer Sozialhilfe für Kosovo-Mafia» erhielt sie etwa den Medienpreis AG SO.
Zu ihren grössten Coups der letzten Jahre gehört aber die Arbeit an den sogenannten Cryptoleaks (siehe unten), die vom Branchenmagazin «Private» mit dem ersten Preis in der Kategorie TV ausgezeichnet wurde: Die Recherche zeigte auf, wie der deutsche Bundesnachrichtendienst und die CIA über Jahre heimlich Staaten ausspionierten und so das Weltgeschehen zu ihren Gunsten beeinflussen konnten. Im Zentrum dieser Affäre steht eine Firma aus der Schweiz. Zusammen mit den beiden SRF-Journalistinnen Nicole Vögele und Anielle Peterhans stemmte Endres eine halbjährige Recherche in enger Zusammenarbeit mit dem ZDF und der «Washington Post». Die Zusammenarbeit im Team findet Endres «beflügelnd», erzählt sie: «Wenn ich mit Menschen zusammenarbeite, die mich inspirieren, dann gibt mir das sehr viel Energie. Und das ist im Journalismus klar der Fall.»
Die Affäre «Cryptoleaks»
Die Affäre «Cryptoleaks»
Anfang Jahr enthüllte eine gemeinsame Recherche der «Rundschau», des ZDF und der «Washington Post»: Die CIA und der deutsche Bundesnachrichtendienst haben jahrzehntelang mit manipulierten Chiffriergeräten der Schweizer Firma Crypto AG weltweit mitgehört.
Im Zentrum der Recherchen, an denen auch Fiona Endres massgeblich beteiligt ist, steht ein Aktenordner mit explosivem Inhalt: 280 Seiten bisher unbekannter Papiere der Geheimdienste CIA und BND. Sie belegen eine weltweite Geheimdienstoperation. Über manipulierte Chiffriermaschinen der ehemaligen Verschlüsselungsfirma horchten die Geheimdienste CIA und BND jahrzehntelang über hundert Staaten ab. Im Nahen Osten, in Asien, in Südamerika und auch in Europa wurde die geheime Kommunikation befreundeter und feindlicher Staaten abgefangen und ausgewertet. Alle abgehörten Länder hatten ihre Crypto-Chiffriermaschinen im guten Glauben in der neutralen Schweiz gekauft.
Neben Energie braucht Investigativjournalismus vor allem Zeit. Ein Gut, das angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Medienbranche immer rarer zu werden scheint. Wie geht es Endres damit? «Dazu muss ich ganz viele Sachen sagen», meint sie. Die SRG sei in erster Linie deshalb eine starke Arbeitgeberin, weil sie ihren Journalistinnen und Journalisten für ihre Arbeit wirklich genügend Zeit einräumt und in langfristige Recherchen investiert. «Die Arbeitsumstände, die wir bei der ‹Rundschau› haben, sind ein extremes Privileg», präzisiert sie. Auch das von SRF geplante Investigativ-Desk (siehe Ende des Artikels) sei ein starkes Signal für den Recherchejournalismus: «Darauf bin ich natürlich sehr gespannt.»
Man könne es nicht schönreden: Investigativjournalismus sei aufwendig und deshalb teuer, sagt Endres: «Und er wird immer aufwendiger, weil Missstände durch Mediensprecher und PR-Kampagnen immer professioneller vertuscht werden.» Da der Spardruck so schnell nicht abnehmen werde, müsse die Branche näher zusammenstehen. Wer weniger Ressourcen für eine Recherche zur Verfügung hat, wird dadurch im besten Fall kreativer, arbeitet mehr mit anderen Journalistinnen und Journalisten. «Das liegt mir sehr am Herzen», sagt Endres, «ganz generell, aber spezifisch im Investigativjournalismus. Wir müssen viel mehr zusammenarbeiten. Eine gesunde Konkurrenz ist wichtig und spornt an, aber im Investigativjournalismus kommt es ab und zu vor, dass wir Journalistinnen und Journalisten gegeneinander arbeiten. Dabei geht es doch um Transparenz, wir sollten eigentlich am gleichen Strick ziehen.»
Investigativjournalismus zu machen bedeutet, einen langen Atem zu haben. Es bedeutet, den Effekt der eigenen Arbeit allenfalls für Monate oder Jahre abwarten zu müssen. Diesen langen Atem hat Endres definitiv: «Der Einfluss, den diese Art von Journalismus hat, ist vielleicht nicht unmittelbar. Aber wenn man mit einer Recherche zum ersten Mal über etwas schreibt – das kann auch etwas Kleines sein, meist skandalisiert Investigativjournalismus ja nicht wirklich – oder etwas zum ersten Mal mit Daten belegt, dann kann sich beispielsweise auch ein Parlamentarier bei seiner Arbeit darauf stützen. Und daraus können sich langfristige gesellschaftliche oder gesetzliche Änderungen ergeben.»
Wie genau arbeitet eine Investigativjournalistin oder ein Investigativjournalist? Wie kommen vertrauliche Dokumente zu ihr oder zu ihm, und wie wichtig ist Abgrenzung? Endres nimmt einen Schluck Kaffee und überlegt kurz. Auch jetzt dreht sich das Gespräch wieder um Zeit: Um Vertrauen zu Kontaktpersonen aufbauen zu können, brauche es oft mehrere Treffen, bei denen vielleicht überhaupt nichts Relevantes geschieht, erzählt Endres. Es sei zwar auch schon vorgekommen, dass ihr jemand beim ersten Treffen die nötigen Dokumente übergab und sich danach komplett distanzierte und nichts mehr mit der Recherche zu tun haben wollte – das sei aber die absolute Ausnahme.
«Wenn ich mich selber analysieren müsste», sagt sie schliesslich, «dann machen mich wohl vor allem zwei Dinge aus.» Sie sei sehr viel draussen und setze sich intensiv mit den Orten und dem Umfeld ihrer Recherche auseinander. Dabei hilft ihr, dass sie ihre Beiträge teilweise selber filmt. Während ihrer Recherche über die Gewaltvorwürfe im Basler Bundesasylzentrum Bässlergut verbrachte Endres ganze Nachmittage auf dem Gelände, arbeitete dort und liess den Ort auf sich wirken, plauderte mit den Menschen. Dabei hat sie die konkrete Geschichte oft noch nicht im Kopf, «aber ich sauge den Ort erstmal auf, das ist ein grosser Teil der Recherche für mich.» Ausserdem lese sie «extrem viel und extrem genau», das sei vielleicht ein Überbleibsel aus ihrem Geschichtsstudium. Und wie steht es mit der Abgrenzung? Endres lacht und antwortet bündig: «Gelingt mir überhaupt nicht.» Ihre Arbeit mache ihr zu viel Spass, erzählt Endres. So sehr, dass manchmal auch die Wochenenden dran glauben müssen: «Dann habe ich wieder eine Idee und recherchiere stundenlang, ich kann dann jeweils einfach nicht anders.» Über die Jahre hat sich Endres die Recherchemethoden angeeignet, die am besten zu ihr passen. Sie hat ein Gespür dafür entwickelt, wo sich Geschichten finden könnten und wo nicht. Wo sich der Aufwand lohnen könnte. «In der Journalistenschule gab mir der Studienleiter einen Rat, den ich mir einverleibt habe: Ich stelle mir ein Gartenbeet vor, in das ich Pflanzensamen streue. Jeder Samen ist eine Storyidee, oder auch nur eine Frage. Und dort, wo etwas zu keimen beginnt, fange ich an zu giessen, recherchiere also weiter und weiter – bis eine Geschichte daraus wächst. Bisher hat mich dieses Gefühl in meiner Arbeit ganz gut geleitet.» Das Leben verschmilzt mit der Arbeit, auch das dürften viele Journalistinnen und Journalisten kennen.
Weniger Zeit, weniger Geld, weniger Personalressourcen – der Journalismus ist momentan auch in der Schweiz krisengeschüttelt. Und: Immer weniger Junge bewerben sich an Journalistenschulen. Was bedeutet das für die Zukunft des Investigativjournalismus? Endres spricht immer wieder auf Panels für Jungjournalistinnen und-journalisten und gibt entsprechende Kurse. Sie hat keine Bedenken: «Investigativjournalismus war schon immer ein Bereich, der nur eine Minderheit der Journalistinnen und Journalisten interessiert. Aber wenn ich in ein Klassenzimmer reinlaufe und über meine Arbeit spreche, dann sehe ich genau, bei wem die Augen strahlen. Wer den nötigen Biss für diesen Job hat. Und dieses Strahlen sehe ich noch immer – ich bin da sehr zuversichtlich, dass genügend Junge nachkommen werden.»
Neues Investigativ-Desk SRF
Neues Investigativ-Desk SRF
Hintergrund und Investigativjournalismus sind integraler Bestandteil des Informationsauftrags von SRF. Im Rahmen des Transformationsprojekts «SRF 2024», welches die Weichen für die digitale Zukunft stellt, wurde im August bekannt gegeben, dass SRF ein neues Investigativ-Desk für Polit- und Wirtschaftsthemen vorsieht. Das Desk soll im Newsroom angesiedelt und auf die digitale Berichterstattung ausgerichtet werden. Das Investigativ-Desk werde gemäss Projektleitung per 2021 starten und die Grösse des Teams hänge von der allgemeinen Finanzlage des Unternehmens ab.
Kommentar
Kommentarfunktion deaktiviert
Uns ist es wichtig, Kommentare möglichst schnell zu sichten und freizugeben. Deshalb ist das Kommentieren bei älteren Artikeln und Sendungen nicht mehr möglich.