Fokus Play Suisse: Was macht ein UX-Designer?
Ein erfolgreiches Produkt und erst noch anwenderfreundlich: Das erwarten die Nutzerinnen und Nutzer von einer Streaming-Plattform. Ist dies nicht der Fall, gehen sie schnell zur Konkurrenz. Léo Marti, leitender User-Experience-Designer (UX-Designer) der neuen Streaming-Plattform, spricht im Interview über das Nutzererlebnis auf Play Suisse und erklärt, warum eine Ähnlichkeit mit anderen Anbietern durchaus erwünscht ist.
Léo, Marti, wie sind Sie als UX-Designer bei Play Suisse vorgegangen?
Im Idealfall kommen wir gleich zu Beginn eines Projekts zum Einsatz, noch bevor wichtige technische Entscheide getroffen werden. So war es auch bei Play Suisse. In einem ersten Schritt ging es darum, die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer an eine Streaming-Plattform in Erfahrung zu bringen. Dafür rekrutierten wir Personen, die bereits bestehende Plattformen nutzen und haben sie einzeln befragt. Wir wollten besser verstehen, welche unausgesprochenen Erwartungen sie haben, was sie bei aktuellen Diensten frustriert und wie sie neue Inhalte entdecken. Aufgrund dieser Erkenntnisse haben wir das Fundament der Plattform erstellt.
Welche Schlüsse haben Sie aus den Rückmeldungen der User gezogen?
Wir haben die Beobachtungen in einem Workshop analysiert und vier Archetypen von Nutzern, sogenannte Personas, identifiziert:
- The Impatient ist oftmals eine jüngere Person, welche die Inhalte schnell finden will und sonst schnell wieder weg ist. Er oder sie bevorzugt kürzere Inhalte und diskutiert gleichzeitig auf Social Media. The Impatient konsumiert die Inhalte hauptsächlich auf dem Laptop.
- The Multitasker hat immer viel zu tun und konsumiert die Inhalte nebenbei, beispielsweise während der Fahrt zur Arbeit. Meistens hört er oder sie nur zu und schaut lediglich bei interessanten Szenen auf den Bildschirm.
- The Friendly richtet sich nach den Empfehlungen von Freunden und diskutiert über die Sendungen im Freundeskreis. Digitalen Empfehlungen hingegen vertraut er oder sie eher weniger.
- The Self-Learner erwartet von Sendungen, dass sie ihm oder ihr Hintergrundinformationen liefern. Er oder sie liest Kritiken und informiert sich über Filme und Sendungen. Filme sind dem Self-Learner lieber als Serien.
Mit dem Wissen, welche Bedürfnisse und Ziele diese vier Zielgruppen haben, gelingt es uns besser, von Beginn an fundierte Entscheidungen bei der Entwicklung von nutzerfreundlichen Produkten zu treffen.
Welche weiteren Erkenntnisse haben Sie aus dem Feedback der Nutzerinnen und Nutzer gewonnen?
Wir haben, basierend auf den Rückmeldungen, die Grundsätze der Plattform, die sechs sogenannten «Experience Principles», formuliert. Die User sollen beim Besuch der Plattform direkt in den Inhalt eintauchen, analog zum Fernsehen, und die besten Schweizer Filme für sich entdecken. Direkt unterhalb der neusten Filme werden die begonnenen Serien angezeigt. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen die Komplexität der Plattform nicht erkennen. Bei den meisten Plattformen gilt der Grundsatz «mobile first». Wir hingegen entschieden uns für «TV first», da die Filme auf einem grösseren Bildschirm besser wirken. Auch das Design funktioniert besser auf dem Fernsehbildschirm. Und schliesslich ganz wichtig: Play Suisse ist barrierefrei und somit für alle zugänglich. Die Filme sind untertitelt, und dank Audiodeskription können auch Sehbehinderte durch die Plattform navigieren.
«Wir entschieden uns für «TV first», da die Filme auf einem grösseren Bildschirm besser wirken.»
Léo Marti, leitender User-Experience-Designer (UX-Designer) von Play Suisse
Wie ging es dann bei Ihrer Arbeit weiter?
Auf der Grundlage der Nutzertypen und der «Experience Principles» erstellten wir mit Mitgliedern des Content-, Produkt- und Marketingteams erste Prototypen in unterschiedlichen Varianten. Diese Prototypen haben wir dann den Nutzerinnen und Nutzern zum Testen gegeben. Nach mehreren iterativen Durchläufen haben die Entwickler ein Produkt gebaut, das wir einer Gruppe von ausgewählten internen Mitarbeitenden zugänglich gemacht haben. Diese konnten durch den Prototypen navigieren, über einen Feedbackknopf direkt Rückmeldung geben und unsere Fragen, die in bestimmten Situationen auf dem Bildschirm auftauchten, beantworten. Dabei ging es um ganz verschiedene Fragen wie beispielsweise ob der Trailer gefallen hat oder was noch verbessert werden könnte. So haben wir unter anderem erfahren, dass die User auf der mehrsprachigen Plattform oft nicht erkannten, in welcher Sprache das Video war, bevor sie es sich angeschaut haben. Auch war zu wenig gut ersichtlich, in welchen Sprachen die Untertitel vorhanden waren.
Was sind Sie dann das Problem angegangen?
Wir haben einen weiteren interdisziplinären Workshop organisiert und die problematischen Punkte genauer analysiert. Alle Teilnehmenden skizzierten ihre Lösung auf einem Blatt Papier. Die Vorschläge wurden dann präsentiert und von den Nutzerinnen und Nutzern bewertet. Die definitive Lösung ist nun ein Amalgam von unterschiedlichen Lösungsansätzen. Jetzt sehen die Nutzerinnen und Nutzer auf einen Blick, ob ein Film in der eigenen Sprache gezeigt wird und falls nicht, ob Untertitel vorhanden sind.
Welche Unterschiede gibt es zwischen Play Suisse und anderen Streaming-Plattformen wie zum Beispiel dem BBC-iPlayer?
Der BBC-iPlayer wurde zunächst wie RTS Play als Plattform konzipiert, um Inhalte des linearen TV-Programms digital zu verbreiten, wobei die Inhalte meist nur sieben Tage lang online verfügbar waren. Die primäre Plattform war also das Fernsehen. Der grosse Unterschied von Play Suisse besteht darin, dass die neue Plattform von Anfang an vom linearen TV-Programm losgekoppelt wurde. Die Plattform richtet sich nicht in erster Linie an TV-Konsumentinnen und -Konsumenten. Auch muss man nicht zwingend Schweizer Fernsehen schauen, um die Plattform zu verstehen und zu nutzen. Das Publikum soll neue Inhalte für sich entdecken.
Die Ähnlichkeit von Play Suisse mit internationalen Anbietern sticht sofort ins Auge. Was waren die Gedanken hinter diesem Entscheid?
Nehmen wir das Auto als Beispiel: Verschiedene Automarken ähneln sich, was die Grundelemente eines Autos anbelangt. So ist das Gas immer rechts, die Kupplung immer links und die Bremse immer in der Mitte. Die Leute erkennen diese Funktionen in jedem Auto wieder. Wenn eine Automarke Gas- und Bremspedal vertauschen würde, würde das niemand verstehen. Bei Play Suisse ist es das Gleiche. Der grösste Teil der Konsumentinnen und Konsumenten weiss, wie andere etablierte Anbieter funktionieren. Wir wollten deshalb bei unserer Streaming-Plattform bereits Erprobtes nicht neu erfinden. Also haben wir die bekannten Prinzipien übernommen und diese mittels Nutzertests überprüft. Fast alle Teilnehmenden haben die Ähnlichkeit zu den anderen Anbietern geschätzt. Gewisse Punkte, wie ich sie bereits geschildert habe, haben wir geändert. Wir haben uns aufgrund der verfügbaren Entwicklungszeit auf die wichtigsten Funktionen beschränkt und diese gut durchdacht, damit sie auch wirklich funktionieren.
Wie grenzt sich Play Suisse von anderen Streaming-Plattformen ab?
Der Unterschied zwischen Play Suisse und den anderen Streaming-Plattformen liegt in erster Linie im Branding und natürlich bei den Inhalten. Man entscheidet sich nicht aus den gleichen Gründen für internationale Streaming-Plattformen wie für Play Suisse, denn internationale Plattformen bieten im Gegensatz zu unserer Plattform kaum Schweizer Inhalte. Da es sich bei den grossen Anbietern um kommerzielle Plattformen handelt, sorgen sie dafür, dass die User möglichst viel konsumieren. Aus diesem Grund konzentriert sie sich auf Inhalte, die unterhalten. Unser Ziel ist es aber neben der Unterhaltung auch, zu informieren und zu bilden.
«Es gibt zwei grosse Herausforderungen: Einerseits haben wir nur etwas mehr als ein Jahr Zeit, andererseits sind die Ressourcen knapp.»
Léo Marti, leitender User-Experience-Designer (UX-Designer) von Play Suisse
Welches ist Ihre grösste Herausforderung in diesem Projekt?
Es gibt zwei grosse Herausforderungen: Einerseits haben wir nur etwas mehr als ein Jahr Zeit, um die Plattform aufzubauen, andererseits sind die Ressourcen knapp. Im Bereich Design arbeiten wir zu zweit: Ich arbeite 50 Prozent, meine Kollegin Lydie Perret 80 Prozent. Es bringt aber auch Vorteile, in einem kleinen Team zu arbeiten. Wir sind sehr effizient. Eine weitere Herausforderung ist der Inhalt: Wenn dieser gut ist, spielt es keine Rolle, ob das Produkt etwas besser oder weniger gut daherkommt. Die Nutzerinnen und Nutzer kommen wegen des Inhalts auf die Plattform.
Was ist Ihnen persönlich wichtig in diesem Projekt?
Mir ist es wichtig, dass wir mit Play Suisse für Nutzerinnen und Nutzer interessant werden, die lineares Fernsehen nicht mehr nutzen – also vor allem die Jungen. Die Inhalte der Plattform sind spannend, aber auch informativ und lehrreich. Weiter hoffe ich, dass die gewählte Arbeitsweise auch bei anderen Projekten verstärkt Eingang findet, das heisst, dass bei Produkten die Nutzersicht öfter und vor allem früher miteinbezogen wird. Es geht bei UX-Design nämlich nicht nur um die Farbwahl oder die Typographie auf einer Webseite, sondern vielmehr um das komplette Nutzererlebnis, das zum Ziel führen und Spass machen soll.
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