«Die Förderung von Datenkompetenz ist auch Aufgabe der Medien»

Gratiskaffee für meine Daten: Mit dieser Kampagne will Opendata.ch auf den Wert von Daten aufmerksam machen. Im Interview spricht Direktorin Nikki Böhler über Personenschutz, die Contact-Tracing-App, Data Literacy und die Rolle des Datenjournalismus.

Wer in Ihrem mobilen «Data Café» persönliche Daten wie Namen, E-Mail, Geburtstag und Wohnkanton angibt, erhält «gratis» einen Kaffee. Wer macht mit?
Ungefähr 30 Prozent der Leute, die wir auf der Strasse ansprechen, gehen den Deal ein und bezahlen den Kaffee mit ihren Daten. Die Reaktionen auf unser Angebot sind sehr divers. Einige freuen sich über den Gratiskaffee, anderen ist das so suspekt, dass sie empört weglaufen wollen und wir uns beeilen müssen, sie aufzuklären. Wir erklären dann, dass wir mit unserer Kampagne den Diskurs rund um Daten und ihren Wert anregen wollen.

Warum?
Es gibt sehr viele Themen, die Menschen beschäftigen und wo Daten eine wichtige Rolle spielen. Die Coronapandemie hat das ganz klar aufgezeigt, aber auch der Klimawandel oder Diskriminierung. Wir wollen jedoch nicht nur die Risiken, sondern auch das Potenzial von Daten aufzeigen. Grundlegend ist dabei die Unterscheidung zwischen persönlichen und öffentlichen Daten, also Daten mit Personenbezug und anonymisierten Daten. Dies ist wichtig, damit man versteht, dass Daten nicht per se gut oder böse sind.

Ich bezahle also den Kaffee mit meinen Daten. Was passiert dann damit?
Diese Frage hören wir im «Data Café» zum Glück oft – das Interesse ist also da. Wir haben dafür eigene AGBs verfasst, die wir den Teilnehmenden zum Lesen geben. Viele werfen aber nur einen kurzen Blick darauf und fragen uns dann, ob wir eine Zusammenfassung geben können – obwohl dies die vermutlich kürzesten AGBs sind, die es gibt, nur eine Buchseite lang. Was wir gemerkt haben: Ob jemand beim «Data Café» teilnimmt oder nicht, hängt stark mit Vertrauen zusammen. Unser Ziel ist natürlich nicht, die Daten zu sammeln, sondern Fragen aufzuwerfen und Diskussionen anzuregen.

Was ist denn so schlimm daran, wenn ich meine Daten angebe?
Wir wollen zeigen, dass Daten einen Wert haben und man bewusst damit umgehen sollte. Im Internet hinterlassen wir überall Spuren, anhand derer man Rückschlüsse auf unsere Person, unsere Interessen und Präferenzen machen kann. Das kann ausgenutzt werden, etwa für Werbung, aber auch für politische Manipulation oder Hacking. Man sollte deshalb entscheiden, ob und zu welchem Zweck man einem Unternehmen Daten geben möchte, und sich dabei immer fragen: Was passiert mit meinen Daten? Ist es mir das wert?

Aber wohl die wenigsten lesen die AGBs.
Ja, das ist auch eine der Erkenntnisse, die wir aus dieser Kampagne ziehen. Dabei spielen die AGBs eine sehr wichtige Rolle in der Datenwelt. Bei Opendata.ch fragen wir uns, wie die Reaktion wäre, wenn die AGBs statt mehrere Seiten lang zu sein in nur drei Aufzählungspunkte zusammengefasst wären. Wenn dort stünde, die Daten könnten an Versicherungen weiterverkauft werden, würde man sie dann immer noch hergeben? Wir wissen, dass es schwierig ist, das Verhalten zu ändern. Also müssen wir es uns einfacher machen, uns so verhalten zu können, wie wir es möchten.

«Diese Verhaltensänderung braucht Zeit, aber ich glaube, da bewegt sich zurzeit vieles – auch dank der Pandemie.»

Liegt das Problem überhaupt darin, dass es zu schwierig ist, oder sind die Leute einfach zu faul?
Es spielen verschiedene Faktoren zusammen. Zum einen mangelt es immer noch an Bewusstsein über das Ausmass der Datensammlung und der Manipulation im Hintergrund. Zum anderen ist es aber auch eine Art inneres Aufgeben, weil man sich überfordert fühlt. Wir möchten das Thema greifbarer machen und einfache Massnahmen aufzeigen, wie etwa alternative Apps zu benutzen, die weniger Daten sammeln. Diese Verhaltensänderung braucht Zeit, aber ich glaube, da bewegt sich zurzeit vieles – auch dank der Coronapandemie, die viele solcher Fragen aufgeworfen hat.

Sie denken sicher an die Contact-Tracing-App, die eine grosse Debatte rund um Datenschutz losgetreten hat. Was halten Sie von der App?
Diese App ist ein sehr positives Beispiel dafür, wie man eine Datenerhebung ohne die Verletzung des Datenschutzes umsetzen kann. Ich sehe die Contact-Tracing-App somit als Chance, denn die Leute interessieren sich sehr dafür. Daran kann man anknüpfen mit Fragen, die auch in Zukunft relevant sein werden: Was bedeutet Open-Source-Entwicklung? Was bedeutet Anonymisierung?

Empört hat anfangs allerdings vor allem das Fehlen von Daten, etwa zu den Infizierten, den Tests – und dass die Informationen an die Behörden via Fax verschickt wurden.
Das hat auch mich überrascht. Mir war schon klar, dass die Bundesämter nicht vorbereitet waren, aber dass man noch an diesem Punkt stand, hat mich schockiert. In gewissen Bereichen sind wir fortschrittlich, in der Schweiz verfolgen wir seit 2014 eine Open-Government-Data-Strategie. Über 7000 Datensätze sind auf opendata.swiss für alle frei zugänglich. Aber auch wenn wir weltweit wohl eher im oberen Viertel sind in Sachen Open Government Data, so gibt es dennoch sehr viel Verbesserungspotenzial.

Open Government Data in der Schweiz

Die Open-Data-Bewegung fordert die Publikation offener, maschinenlesbarer und frei nutzbarer Daten, da die Transparenz durch Open Government Data (OGD) das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat stärke sowie Innovation und Wettbewerb in der Privatwirtschaft fördere. Der Bundesrat hat 2014 seine OGD-Strategie verabschiedet und Anfang 2016 das nationale OGD-Portal opendata.swiss erstellt, wo Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden sowie Dritte, die staatliche Aufgaben ausführen, ihre Daten offen publizieren können. Die SRG trägt mit der Schnittstelle Polis ebenfalls zu diesem OGD-Portal bei und stellt eigens zusammengetragene Wahl- und Abstimmungsergebnisse aus allen Kantonen zur Verfügung.

Weshalb waren die Behörden anfangs so zögerlich, Daten zu kommunizieren?
Der Gedanke, dass man mit grösserer Transparenz auch eine grössere Angriffsfläche bietet, sorgt für Nervosität. Aber genau das ist der Ansatz der Open-Data-Bewegung: Bei offenen Daten kann die Gesellschaft mitwirken und Fehler entdecken. Offene Daten heisst aber auch, dass diese Daten von allen genutzt, weiterverarbeitet und weiterverbreitet werden können. Das Bundesamt für Gesundheit hat die Daten anfangs allerdings in Formaten publiziert, mit denen man nicht arbeiten konnte, wie PDFs oder Bilder. Optimal wäre eine offene Schnittstelle mit tagesaktuellen Daten, so dass man nicht immer wieder die Website konsultieren muss, sondern die Daten automatisch einspeisen kann.

«Genau das ist der Ansatz der Open-Data-Bewegung: Bei offenen Daten kann die Gesellschaft mitwirken und Fehler entdecken.»

Die Coronapandemie hat auch dem Datenjournalismus neuen Antrieb verliehen. Wie haben Sie die Medien wahrgenommen?
Mir ist aufgefallen, dass die Formate in Web und Print immer ausgeklügelter und enorm verspielt wurden. Das macht mir als Leserin Freude, mich damit auseinanderzusetzen. Auch haben die Medien in kurzer Zeit einiges gelernt, denn diese Annäherung an die Leserschaft durch den Austausch und das Aufnehmen von Kritik hat dazu geführt, dass grosse Fortschritte möglich waren.

Was braucht man als Datenjournalistin oder Datenjournalist, um mit diesen Daten umgehen zu können? Reicht es, schöne Grafiken zu erstellen?
Wenn man mit Daten arbeitet, besteht die inhärente Gefahr, dass man sie falsch wiedergibt, vor allem, wenn man noch kein Gefühl dafür hat, was falsch interpretiert werden könnte. Es gibt spannende Websites, die zeigen, für welche Datensätze es welche Visualisierungsformen gibt und was deren Vor- und Nachteile sind. Ob man ein Kuchendiagramm oder ein Flussdiagramm verwendet, hat einen grossen psychologischen Effekt. Setzt man sich damit nicht genug auseinander, läuft man Gefahr, die Leute zu verwirren statt sie zu involvieren.

Was könnten die Medien besser machen?
Mir fehlt oft die holistische Sicht, die aufzeigt, dass man die Daten auch anders darstellen und somit eine andere Geschichte erzählen könnte. Mit einer ganzheitlichen Perspektive kann man die Data Literacy, also die Datenkompetenz, im Artikel integrieren und zu einem besseren Datenverständnis beitragen.

Das heisst, es ist auch Aufgabe der Medien, dieses Datenverständnis der Gesellschaft zu verbessern?
Ja, denn die Medien müssen sicherstellen, dass die Informationen, die sie vermitteln, auch korrekt verstanden werden. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Lesenden ein fundiertes Wissen über Statistik haben. Vielen Medienschaffenden ist die Förderung der Datenkompetenz deshalb ein Anliegen, denn es vereinfacht ihre Arbeit: Je mehr die Leserschaft versteht, desto mehr kann man mit dem Datenjournalismus aufzeigen und desto kleiner ist das Risiko für Missverständnisse. Das SRF Data-Team etwa vermittelt in seinen Videos Wissen über Datenschutz, Datennutzung und Statistik oft auf sehr zugängliche Art.

Es besteht aber auch eine Gefahr von Fehlinterpretationen und falschen Darstellungen. Wie kann man das vermeiden?
Das Risiko ist grösser, wenn die Daten gar nicht erst verfügbar sind, weil dann Fehlinformationen verbreitet werden, die man nicht überprüfen kann. Sind die Daten öffentlich, haben automatisch sehr viele Leute Zugang und können damit arbeiten – und sich somit gegenseitig prüfen und verbessern. Es geht also eher um eine Absicherung gegen Fehlinformationen.

Worauf müssen Medienschaffende punkto Datenschutz achten?
Auf staatlicher Ebene haben wir Beauftragte für Datenschutz. Sie sorgen gemeinsam mit dem Bundesamt für Statistik dafür, dass die veröffentlichten Daten kein Risiko bezüglich Personenschutzverletzungen bergen. Wer also mit den Daten von opendata.swiss arbeitet, muss sich keine Sorgen machen. Wer hingegen selbst Daten sammelt und Umfragen oder Studien macht oder Daten von anderen Quellen erhält, muss sich viel stärker damit auseinandersetzen. Dort braucht es einen Prüfungsund Evaluationsprozess.

Wäre es also besser, wenn Medienschaffende nur mit staatlich veröffentlichten Daten arbeiten würden?
Nein, es ist sehr wichtig, dass sie auch mit anderen Daten arbeiten und diese selbst einordnen können. Auch, um mehr Innovation in diesem Bereich zu erreichen. Je mehr Leute mitdenken und mitwirken, desto besser wird die Verfügbarkeit von offenen Daten. Zudem können auch auf staatlicher Ebene Fehler passieren.

Nikki Böhler (28) aus Zürich hat an der Universität St.Gallen Volkswirtschaft studiert und arbeitet seit drei Jahren bei Opendata.ch, der Schweizer Sektion der Open Knowledge Foundation. Seit zwei Jahren ist sie Direktorin des Vereins. Die Kampagne «Data Café» wird von Opendata.ch und der Stiftung Mercator unterstützt.

Text: Eva Hirschi

Bild: Eva Hirschi

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