«Eine Frage der Kultur» – Ein Schnitt nach vorn

In der Kolumne 2021 «Eine Frage der Kultur» geben Redaktorinnen und Redaktoren von SRF Kultur einen Einblick in ihre Welt aus der ganz persönlichen Warte: Welche Fragen bewegen sie? Welche Bedeutung hat für sie Kultur? Und: Was heisst überhaupt Kultur? Dieses Mal: Stefan Gubser, Redaktor SRF Kultur Online.

Noch einen Nose-Job, bitte! Es gehört zu den neckischeren Nebenwirkungen dieser Coronakrise, dass die Schönheitschirurgie gefragt ist wie noch nie. 30 Prozent mehr Eingriffe sollen Beauty-Docs vornehmen – dies allein im deutschsprachigen Raum.

Logisch: Die Leute kommen auf krumme Gedanken, seit sie ihre Arbeitstage vornehmlich in Zoom-Meetings zubringen und sich stundenlang beim Zuhören betrachten. Warze auf der Wange, deppertes Doppelkinn, die Nase hat einen Haken: Das bin doch nicht ich?

Ich selbst habe nie mit einem solchen Eingriff geliebäugelt. Gründe gäbe es genug. Spitze Zunge: check. Grossmaul: geschenkt. Und ist da nicht diese Sorgenfalte, weil ich immer noch nicht weiss, was das Thema dieses Textes sein soll?

Tatsächlich zeigt mir der Blick in den digitalen Spiegel ein anderes Gesicht, das ich für das wahre halte – und zwar im Hinblick darauf, was die Kultur uns bedeutet. Nicht nur wir Kulturjournalisten reden uns ja gerne ein, wie wichtig sie uns sei. Wir brauchen jetzt! gleich! Tickets für das Theater, Karten für Konzerte, und wann hebt das Flugzeug zum nächsten Filmfestival ab?

«Kultur ist auch in diesen digitalen Zeiten immer noch Körperkultur

Stefan Gubser
Redaktor SRF Kultur Online

Ich habe feststellen müssen, dass es auch ohne Kulturkonsum geht. Fast, wenigstens. Ich lese zwar noch Bücher. Ich gucke auch mal einen Film. Aber Theater? Konzerte? Museum? Ich kann mich dunkel erinnern, dass meine Frau und ich in einem lichten Moment den festen Vorsatz fassten, eine analoge Agenda für das reiche digitale Kulturangebot zu eröffnen, das wir Corona verdanken. Sie ist bis heute leer geblieben.

Das heisst nun nicht, dass ich mich nicht darüber aufrege, weil die Pandemie uns auch vor Augen führt, wie unwichtig die Kultur in unserer sogenannten Kultur ist. Oder kann mir endlich jemand schlüssig erklären, warum der Spitzensport nach der Lockdown-Premiere nicht von der Bildfläche verschwunden blieb, während Opernhäuser, Stadttheater und Kleinkunstkeller vornehmlich im Offside standen? Noch so ein Coronalied in Moll: Kultur ist für die Wirtschaft offensichtlich nicht systemrelevant. Nur gut, fanden ein paar Kulturschaffende bei uns eine kleine Ersatzbühne – Stichwort #SRFzämestah.

Aber vielleicht ist das die Lektion, die Corona uns lehrt: Kultur ist, wenn echte Menschen echten Menschen aus Fleisch und Blut begegnen, und es entsteht in diesem Dazwischen etwas, das einen echt berührt. Kultur ist auch in diesen digitalen Zeiten immer noch Körperkultur. Und nach Corona wird sie das erst recht wieder sein.

Kein Wunder, wollen sich jetzt schon alle schön machen.

Text: Stefan Gubser

Bild: zVg

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