Neue Organisations- und Arbeitsstrukturen im Newsroom Zürich Leutschenbach
Seit Herbst 2018 werden die tagesaktuellen TV-Newssendungen «Schweiz aktuell», «Tagesschau» und «10vor10» sowie zahlreiche digitale Inhalte von SRF News in einem gemeinsamen Newsroom am Standort Zürich Leutschenbach produziert. Voraussichtlich Anfang 2022 werden neue Organisations- und Arbeitsstrukturen eingeführt. Die Ziele sind mehr Ressourcen für die Produktion von Inhalten, eine ganzheitliche Planung von Broadcast und Digital sowie einfachere Abläufe.
Die Beiträge für die TV-Newssendungen «Schweiz aktuell», «Tagesschau» und «10vor10» liefern seit bald drei Jahren nicht mehr Sendungs-, sondern Fachredaktionen, die auch Inhalte für die digitalen Kanäle produzieren. Zudem wurde eine Videoredaktion geschaffen, die zusammen mit den Fachredaktorinnen und Fachredaktoren Webvideos und andere digitale Inhalte für die News App, die Webseite und die Social-Media-Kanäle aufbereitet.
Aufgrund von Überlegungen der Chefredaktion Video, Vorgaben durch das Transformationsprojekt «SRF 2024» und nicht zuletzt auf Wunsch der Mitarbeitenden im Newsroom, bekam Ende 2020 eine Projektgruppe den Auftrag, die Abläufe und die Organisation des Newsroom zu überprüfen.
Dabei gingen die Chefredaktion Video und News Digital neue Wege bei der Partizipation der Mitarbeitenden. So bestand die Projektgruppe aus elf Mitarbeitenden aus allen Redaktionen. Das erarbeitete Grobkonzept durchlief zudem eine breite Vernehmlassung bei allen Newsroom-Mitarbeitenden. Danach übernahm ein Steuerungsausschuss zusammen mit der Projektleitung die Ausgestaltung der Organisationsentwicklung, wie sie am Dienstag, 29. Juni 2021, den Mitarbeitenden im Newsroom präsentiert wurde.
Neu kleinere Teams im Newsroom und eine Koordination für TV-Newssendungen
Gegenüber dem aktuellen Modell mit zum Teil grösseren Fachredaktionen soll sich der Newsroom in Zukunft in kleineren Teams, die aus ca. 8 bis 15 Personen bestehen, organisieren. Die Teamleiterinnen und Teamleiter sind ebenfalls primär inhaltlich produktiv. Die Aufgaben der heutigen Redaktionsleiterinnen und Redaktionsleiter werden auf die neuen Rollen, respektive auf die Teamleitungen verteilt.
Auch die Sendungsredaktionen «Schweiz aktuell», «Tagesschau» und «10vor10» werden neu organisiert. Anstelle der heutigen drei Sendungsleitenden wird es die neue Funktion Broadcast-Koordinatorin bzw. Broadcast-Koordinator geben, die von einer Person übernommen wird. Diese ist für das Profil und die Ausrichtung der verschiedenen TV-Newsformate verantwortlich. Die Planung und Konzeption der einzelnen Inhalte findet neu in der Hintergrundplanung statt, wo sie von Beginn weg zusätzlich als digitale Beiträge produziert werden.
Diese ganzheitliche Planung für Digital und Broadcast soll die Abläufe vereinfachen und mehr Ressourcen für die Inhaltsproduktion freispielen.
Bis Ende 2021 werden nun die neuen Teams und Rollen im Newsroom definiert und besetzt sowie die Umsetzung vorbereitet, damit Anfang 2022 mit der neuen Newsroom-Organisation gestartet werden kann.
Interview zum Thema
Interview zum Thema
Interview mit den Steuerungsausschuss-Mitgliedern Ursula Gabathuler, Leiterin News Digital, und Tristan Brenn, Chefredaktor Video, zur Organisationsentwicklung im Newsroom Zürich Leutschenbach
Was sind die Gründe für die Neuorganisation im Newsroom?
Tristan Brenn: Zum einen geht es um Ziele, die sich durch Feedbacks und Wünsche der Mitarbeitenden im Newsroom ergeben haben. Zum anderen hat sich das Unternehmen seit dem Start des Newsrooms im Herbst 2018 weiterentwickelt, und es gibt durch das Transformationsprojekt «SRF 2024» neue Vorgaben, die wir umsetzen wollen.
Welche Ziele sind aus den Feedbacks der Mitarbeitenden entstanden?
Tristan Brenn: Unser gemeinsam produzierter Inhalt soll im Zentrum stehen und nicht einzelne Kanäle. Dadurch werden wir effizienter und gewinnen Ressourcen an der Front. Wir haben erkannt, dass die aktuelle Organisation zu viele Absprachen und einen zu grossen Koordinationsaufwand mit sich bringt. Darum gilt als Grundsatz neu: So wenig Führung wie nötig, so nahe am Produkt wie möglich.
Ursula Gabathuler: Wir müssen organisatorisch weiter am Gleichgewicht zwischen Fernsehen und digitalen News arbeiten. Wir haben gemerkt, dass wir mit den heutigen Redaktionsstrukturen in einen gewissen Widerspruch geraten zu dieser ganzheitlichen, crossmedialen Produktion, wie wir sie im Newsroom haben wollen. Und wir wollen auch, dass jede und jeder den Raum hat, ihre Kompetenzen, seine Kreativität besser nutzen zu können als vielleicht bisher.
Welchen Einfluss hatte die Kritik der Inlandredaktion, die Mitte September 2020 auch an die Öffentlichkeit gelangte?
Tristan Brenn: Seit wir im Newsroom-Modell arbeiten, haben wir regelmässige Feedbackrunden durchgeführt und die Erkenntnisse in die Weiterentwicklung einfliessen lassen. Die Kritik der Inlandredaktion ist bei uns auf offene Ohren gestossen. Und wir haben sie für die weiteren Überlegungen berücksichtigt. Wir nehmen jedes interne Feedback ernst, dazu muss es nicht erst an die Medien gelangen.
Welche Vorgaben gibt es durch «SRF 2024»?
Ursula Gabathuler: Das sind nicht spezifische Vorgaben für den Newsroom, sondern strategische Vorgaben für das ganze Unternehmen, die wir auch für den Newsroom ableiten. Wir wollen uns zu einer lernenden Organisation entwickeln mit motivierten Mitarbeitenden. Wir wollen Entscheide auf tiefst möglicher Ebene und mit flachen Hierarchien fällen. Und wir wollen in interdisziplinären Teams eng zusammenarbeiten.
Ist mit der Reorganisation auch ein Sparauftrag verbunden?
Tristan Brenn: Auch unser Newsroom-Projekt wird einen Anteil am Sparauftrag der CR Video leisten müssen. Wir setzen an zahlreichen Stellen an – etwa, indem wir auf effiziente Technologien für Schaltungen und Livesendungen setzen oder vermehrt für kurze Statements mit Videotelefonie arbeiten. Auch unsere hochwertigen digitalen Videos sollen vermehrt in den News gezeigt werden. Ich möchte aber betonen: Wir wollen unabhängig von der allgemeinen Situation bei SRF effizientere und einfachere Abläufe. Das Newsroom-Projekt ist deshalb in erster Linie dazu da, unsere Organisation zu optimieren.
Jetzt werden kleinere Teams geschaffen, das heisst doch, es gibt mehr Leiterinnen und Leiter, also mehr Hierarchien?
Tristan Brenn: Nein, das ist nicht so. Denn die neuen Teamleiterinnen und Teamleiter werden weniger Führungsaufgaben haben als die bisherigen Leitenden der Fachredaktionen. Sie werden auch als Teil des Teams selbst inhaltlich tätig sein.
Aber dann muss doch jemand anderes mehr Führungsaufgaben übernehmen?
Ursula Gabathuler: Wir trennen die Produktionsabläufe von der hierarchischen Organisation. Die Teamleiterinnen und Teamleiter sollen zwar weiterhin die Personalführung übernehmen. Weitere bisherige Aufgaben werden aber an anderen Orten übernommen. Die genauen Funktionsrollen und Abläufe müssen jetzt bis Ende Jahr noch im Detail ausgearbeitet werden.
Gibt es ein Beispiel für kürzere Entscheidungswege?
Tristan Brenn: Aktuell gibt es im Newsroom die Funktion der Koordinatoren der Fachredaktionen, welche die Inhalte zwischen Planerinnen und Produzenten, aber auch zwischen Broadcast und Digital koordinieren. Das ändern wir in der neuen Organisation. Neu wird zu Beginn des Tages eine Themenplanerin oder ein Themenplaner inhaltliche Akzente setzen; nach der Storydefinition übernehmen dann direkt die Produzentinnen und Produzenten die Verantwortung im Tag.
Ursula Gabathuler: Und die Produzentinnen und Produzenten für die News App, die Social-Media-Kanäle und die TV-Sendungen sitzen künftig als Team gemeinsam am Producers Desk.
Neu gibt es nur noch eine Person, die die Newssendungen «Schweiz aktuell», «Tagesschau» und «10vor10» leitet. Ist das faktisch nicht eine Zusammenlegung der Sendungen und schadet dem Profil der Sendungen?
Tristan Brenn: Nein, wir legen ja nicht die Sendungen zusammen. Das haben wir auch im Herbst 2018 nicht gemacht, als wir das Fachredaktionsprinzip einführten. Die neue Leitung soll nach wie vor das Profil und die Eigenständigkeit der Sendungen gewährleisten. Zudem stärken wir die Produzentinnen und Produzenten der einzelnen Sendungen und auch in der Planung ist Know-how zu den Sendungen vorhanden. Auch unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten wissen seit Jahren, dass ein «10vor10»-Beitrag anders funktioniert als einer in der «Tagesschau». Und selbstverständlich behalten die Sendungen auch ihre spezifischen Gesichter – also die Moderatorinnen und Moderatoren.
Hat der kommende Umzug von Radio SRF 4 News und der Radio-Nachrichtenredaktion von Bern nach Zürich schon einen Einfluss auf diese Neuorganisation?
Ursula Gabathuler: Der Umzug der Radio-Nachrichten und von Radio SRF 4 News an den Standort Zürich Leutschenbach wird in einem eigenständigen Projekt organisiert. Beide Projekte sind gut vernetzt. Natürlich werden wir die Neuorganisation laufend abstimmen mit der Chefredaktion Audio. Denn die Inhalte für die digitalen Kanäle kommen von CR Audio und CR Video. Und der Bereich News Digital arbeitet mit beiden Chefredaktionen eng zusammen.
Ist damit die Entwicklung im Newsroom abgeschlossen?
Tristan Brenn: Ein Newsroom-System ist komplex und dieses zu verändern ist eine ebenso komplexe Aufgabe. Das Projektteam hat sorgfältig gearbeitet und abgewogen. Ich denke, dass auch wir im Steuerungsausschuss dasselbe getan haben.
Ursula Gabathuler: Das Zusammenarbeiten im Newsroom ist vor allem auch ein Lernprozess und dieser Prozess wird nie fertig sein. Deshalb werden wir weiter lernen, trotz aller Sorgfalt Fehler machen, Fehler verzeihen und korrigieren. Und wir verstehen, wenn Veränderungen Unsicherheiten mit sich bringen. Aber wir setzen auf die Offenheit unserer Mitarbeitenden für diesen Prozess.
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