«Das Bedürfnis nach vertieften Antworten besteht»
Als News-Flaggschiff von Radio SRF steht das «Echo der Zeit» mehr als 75 Jahre nach seiner Gründung im Spannungsfeld zwischen Tradition und Innovation. Ein Besuch auf der Redaktion zeigt, welche Veränderungen anstehen und was bewahrt werden soll.
Das «Echo der Zeit» ist das Sackmesser von Schweizer Radio. Ein Werkzeug, das hilft, das Weltgeschehen zu verstehen. Verlässlich, vielseitig, präzise. Wer Orientierung sucht im Nachrichtenstrom, findet sie jeden Tag in den 45 Minuten Sendezeit nach 18 Uhr – seit mehr als 75 Jahren. Sind die Klingen des Messers noch scharf nach dieser Zeit? Braucht es mit veränderten Hörgewohnheiten und aufgrund der Digitalisierung gar neue Funktionen?
Beat Soltermann ist Redaktionsleiter und Moderator des «Echo der Zeit». Seit seinem Stellenantritt vor vier Jahren beschäftigt ihn das Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation.
«Das ‹Echo› ist für viele Leute ein treuer Begleiter im Alltag.»
Beat Soltermann, Redaktionsleiter und Moderator «Echo der Zeit»
Viele Hörerinnen und Hörer würden die Beständigkeit der Sendung schätzen, gleichzeitig soll auch die nächste Generation des «Echo»-Publikums einschalten. Junge also, die Nachrichten gegenwärtig zu einem grossen Teil mittels kurzer Videos auf Plattformen wie Instagram oder TikTok konsumieren.
Um Menschen zu erreichen, welche die Sendung nicht im linearen Programm – also um 18 Uhr – hören, steht sie kurz nach Ausstrahlung als Podcast zur Verfügung. Seit mehreren Jahren führt der Podcast des «Echo» die Ranglisten der Podcast-Plattformen an. «Der Altersdurchschnitt der Hörerinnen und Hörer ist beim Podcast tiefer als bei der Live-Sendung. Auf Spotify zum Beispiel sind rund 90 Prozent von ihnen jünger als 50 Jahre», weiss Soltermann. Das stimmt den 48-Jährigen zuversichtlich.
Ein Fundament mit Potenzial
Geht es um Änderungen an der Sendung selbst, sei eher Zurückhaltung angebracht, meint er. «Wir dürfen die Leute nicht verlieren.» Am inhaltlichen Fundament des «Echo», den Gesprächen, Analysen und Hintergründen und an der Auslandfokussierung will Soltermann darum nicht schrauben. «Das Bedürfnis nach vertieften Antworten auf Warum-Fragen wird weiterhin bestehen», ist er überzeugt.
Potenzial sieht er in neuen, überraschenden Erzählformen. Als Beispiel nennt er den im September ausgestrahlten Nachruf auf Italiens nationale Fluggesellschaft Alitalia. In poetischer Manier erzählte die Journalistin darin von persönlichen Erfahrungen mit der Airline. Soltermann kann sich auch vorstellen, in Gesprächen künftig öfter O-Töne einzubauen – damit man unmittelbar hört, was Politikerinnen oder Wirtschaftsmenschen gesagt haben. So sind sie authentisch.
Wie sensibel das Publikum auf Änderungen reagiert, zeigte sich im Januar 2021: Die Live-Moderation der Zweitausstrahlung um 19 Uhr wurde damals aus Spargründen abgeschafft. Reaktionen «voller Emotionen» von Hörerinnen und Hörern seien eingetroffen, erinnert sich Soltermann. Daran merke man, wie fest die Leute an «ihrer» Sendung hängen.
Für die gewohnte Tiefe der Inhalte sorgt auch die Sendungsdauer, die mit ihren rund 40 Minuten an Wochentagen und einer halben Stunde am Wochenende anachronistisch lang erscheint. Trotz zunehmenden Spardrucks sei nicht geplant, die Sendungsdauer zu kürzen, so Soltermann. Denn die Nachfrage ist vorhanden: «Viele hören bis zum Schluss.» Das könne man den Podcast-Statistiken entnehmen.
Überblickt Beat Soltermann die 75-jährige «Echo»-Geschichte, macht er die grössten Veränderungen in den Themen der Beiträge aus: «Zwar ist die Berichterstattung über Politik und Wirtschaft das Markenzeichen des ‹Echo›. Trotzdem sind wir thematisch offener geworden.» So würden vermehrt Geschichten aus Sport, Wissenschaft, Digitalem und Gesellschaft erzählt – «jedoch auf unsere Art, nämlich mit klugen Köpfen.» Soltermann denkt dabei an Beiträge zum Phänomen der Cancel Culture oder zum Genderstern.
Neue Mitarbeitende, neue Hintergründe, neue Themen
Dass die Themenpalette breiter geworden ist, liege zu einem grossen Teil an der veränderten Zusammensetzung des neunköpfigen «Echo»-Teams. Aus der Zeit vor seiner Leitungsübernahme ist einzig sein Stellvertreter Markus Hofmann noch dabei. Bei Neubesetzungen achte er darauf, dass vielfältige Hintergründe in der Redaktion vertreten sind, so Soltermann. «Gerade was politische Haltungen betrifft, sind wir eine recht vielseitige Truppe.» Zudem wechsle stets die Konstellation der vier Leute, die gemeinsam die Sendung machen – was sich auch auf die Themenwahl auswirke.
Damian Rast ist Produzent beim «Echo der Zeit». Wenn er jeweils um acht Uhr morgens in seinem Büro hinter Glaswänden Platz nimmt, ist er seit fast drei Stunden wach und hat bereits die wichtigsten Tageszeitungen gelesen sowie «Heute Morgen» von SRF und die BBC-Nachrichten gehört.
«Ich bin mit dem ‹Echo› aufgewachsen», sagt der 37-Jährige. Manchmal führe diese Verbundenheit zu einer gewissen Ehrfurcht vor seiner Arbeit. Er fühlt sich der Tradition der Sendung verpflichtet: «Es gibt einen Grund, warum klassische Formate wie das ‹Echo› so lange überleben.» Momentan werden im Hause SRF neue Formate entwickelt, um das Angebot vermehrt den Bedürfnissen von jungen Menschen anzupassen. Solche Innovationen beim «Echo» hält Damian Rast aber nicht für dringlich. «Wir machen eine Sendung für Menschen, die sich für den Zustand der Welt interessieren. Jene, auf die das zutrifft, hören das ‹Echo› wegen des Inhalts und nicht wegen eines besonders modischen Erzählstils», mutmasst Rast. Dass darunter mehr ältere als jüngere Hörerinnen und Hörer sind, kann er nachvollziehen: «Mit 22 Jahren habe auch ich mich noch nicht gross für Geldpolitik interessiert. Jetzt, da ich mein eigenes Geld verdiene und ein Haus besitze, ist das anders.»
Eine Tür weiter bereitet sich Moderatorin Simone Hulliger auf die Sendung vor. Wie ihr Kollege Damian Rast findet sie, dass sich das «Echo»-Konzept nach wie vor bewähre: «Mit der Art von Journalismus, wie wir ihn machen, treffen wir einen Nerv.» Einordnung und Hintergründe seien nach wie vor ein Bedürfnis der Hörerinnen und Hörer. «Wir sind aber offen, neue Formen auszuprobieren», räumt die 45-Jährige ein.
Oberstes Ziel ist für sie die Sicherung der Qualität: «Dafür ist es nötig, dass wir Zeit haben zum Recherchieren und um mit Korrespondentinnen und Fachredaktoren Themen und Beiträge zu besprechen.» Den Qualitätsansprüchen des «Echo» gerecht zu werden, sei immer wieder eine Herausforderung.
In der Cafeteria spricht Redaktionsleiter Beat Soltermann vom nächsten Schritt, den er mit dem «Echo» machen will. Einen Newsletter will er lancieren, bald soll die erste Ausgabe verschickt werden.
«Wir möchten damit jene Leute erreichen, die die Sendung bereits kennen, aber im Alltag neben Verpflichtungen in Beruf und Familie keine Zeit finden, um die Sendung zu hören.»
Beat Soltermann, Redaktionsleiter und Moderator «Echo der Zeit»
Das Konzept sieht vor, dass der Newsletter aufs Wochenende hin von der Redaktion ausgewählte Beiträge vorschlägt, die über den Tag hinaus von Bedeutung sind – «die Perlen der Woche», nennt sie Beat Soltermann. Aufgrund von Rückmeldungen des Publikums stellt er fest, dass dieses zudem vermehrt wissen will, nach welchen Kriterien die Redaktion Themen und Expertinnen auswählt. Diesem Bedürfnis soll der Newsletter nachkommen, indem er Einblicke in die Arbeitsweise der Journalistinnen und Journalisten bietet – mit den Geschichten hinter den Geschichten.
Die Gespräche mit der Redaktion zeigen: Über die Jahre verändert haben sich die Themen und Erzählformate des «Echo der Zeit», geblieben sind seine Grundwerte wie Tiefe und Hintergrund. Das Sackmesser ist auch 2021 voll funktionsfähig. Qualitätsklingen stumpfen bei guter Pflege eben nicht so schnell ab.
In Zukunft wird die Redaktion des «Echo der Zeit» von Matthias Kündig geleitet. Der aktuelle USA-Korrespondent in Miami folgt auf Beat Soltermann, der die Leitung des neu geschaffenen Fachbereichs «Digitales Audio und Radio Online» übernimmt.
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