«Der Teufel mitten unter uns» von «rec.» war mehrheitlich korrekt
Mit dem Reportageformat «rec.» vom 14. Dezember 2021 unter dem Titel «Der Teufel mitten unter uns» erntete die verantwortliche Redaktion nebst Lob auch viel Kritik. Bei der Ombudsstelle gingen 70 Beanstandungen ein, unter anderem von Interviewpartner:innen der Reportage, von Therapeut:innen, Organisationen, Betroffenen und interessierten Betrachter:innen. Die Ombudsleute stellen sich mehrheitlich hinter die beanstandete Reportage. In einem Punkt heissen sie die Beanstandungen gut.
Die Reportage sei einseitig, unsachlich, voreingenommen, verharmlose die echte Problematik und werfe alle Therapeut:innen in einen Topf, lauten die in den Beanstandungen geäusserten Hauptvorwürfe. Zudem habe sich das Reporterteam gegenüber seinen Interviewpartner:innen intransparent und unfair verhalten. Bemängelt wird ausserdem, dass in der Reportage keine Opfer zu Wort gekommen sind.
Über den Fokus der Reportage informiert
«rec.» sei ein neueres, journalistisches Reportageformat, das sich an ein jüngeres Zielpublikum richte, erklärt die verantwortliche Redaktion in ihrer ausführlichen schriftlichen Stellungnahme. Die Reporterinnen und Reporter berichteten über gesellschaftlich relevante Themen und soziale Brennpunkte. Sie zeigten die Welt so, wie sie diese wahrnehmen, kommentierten journalistisch aus einer subjektiven Perspektive und zögen am Schluss ein Fazit, das für die Zuschauerinnen und Zuschauer nachvollziehbar und diskutierbar sein solle. Bei seiner Arbeit müsse das Reporterteam die Publizistischen Richtlinien von SRF befolgen und faktenbasiert sowie sachgerecht sein.
Nach der Publikation der Reportage hätten sich gemäss den Redaktionsverantwortlichen mehrere Protagonistinnen und Protagonisten beklagt, dass sie in der Reportage «dekontextualisiert» und in einem einseitigen und auf Satanismus fixierten Zusammenhang gezeigt worden seien. Die Redaktion weist darauf hin, dass sich alle in der Reportage nicht anonymisierten Personen wiederholt öffentlich und in verschiedenen Medien zum Thema «rituelle Gewalt» und/oder «rituellen Missbrauch durch Satanisten» geäussert hätten. Allen Protagonist:innen sei vor den Interviews transparent mitgeteilt worden, dass der Fokus der Reportage auf dem Thema «rituelle Gewalt» bzw. «ritueller Missbrauch» liege. Reporter Robin Rehmann habe auch im Verlauf der Interviews mehrmals erwähnt, dass man sich explizit für den «satanistischen rituellen Missbrauch» und nicht nur für den organisierten Missbrauch interessiere. Zudem habe Rehmann gegenüber den Protagonist:innen transparent gemacht, dass er skeptisch bleibe und die verstörenden Aussagen nicht glauben könne.
Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten
Die Redaktion räumt ein, die Protagonist:innen der Reportage seien vom Reporter erst spät über die Schlussfolgerungen des Reporterteams informiert worden. Nämlich, dass die These der satanistischen «rituellen Gewalt» nicht auf nachweisbaren Fakten basiere, sondern als Verschwörungserzählungen gälten. Es sei jedoch zulässig, bei heiklen investigativen Recherchen nicht alles vollständig transparent auf den Tisch zu legen und nur das Themenfeld zu skizzieren. Bei solchen Themen würden sich sonst schnell Türen für weitere Recherchen schliessen. Alle Protagonist:innen hätten Gelegenheit erhalten, telefonisch oder schriftlich dazu Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen bzw. die einschlägigsten Argumente daraus seien am Schluss der Reportage veröffentlicht worden.
Zudem weist die Redaktion darauf hin, dass die Reportage nie in Frage stelle, dass es (unvorstellbare) Missbrauchsformen und Gewalt an Kindern und Erwachsenen gäbe, die systematisch und wiederholt erfolge. Tatsache sei jedoch, dass es für «rituelle Gewalttaten», die von satanistischen Zirkeln begangen würden, keine Beweise gäbe, trotz internationalen, intensiven Ermittlungen.
Gewaltopfer kamen nicht zu Wort
Viele Beanstander:innen monieren, dass in der Reportage keine Opfer zu Wort gekommen sind. Ihre Erzählungen seien das beste Argument für die Existenz von «ritueller Gewalt». Man habe zum Schutz von Betroffenen und Patient:innen darauf verzichtet, ihre Perspektive in die Reportage aufzunehmen. Es bestünde die Gefahr, dass ihre Erzählungen kritisch überprüft und als eingebildete Erfindungen oder Lügengeschichten abgetan werden könnten. Das bedeute aber nicht, dass sie keine Form von Missbrauch erlebt hätten. Die Redaktion erachtet Interviews mit schwer traumatisierten Patient:innen journalistisch-ethisch als problematisch und nicht zielführend.
Subjektive Eindrücke in Reportage erlaubt
Die gewählte journalistische Form einer Sendung oder eines Beitrags sei mitentscheidend, ob das Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) verletzt worden sei, erklären die Ombudsleute. Im Gegensatz zu reinen Nachrichten oder Informationsberichten gehöre die subjektive Einschätzung der Autor:innen zur Reportage. Fakten würden also mit eigenen Eindrücken ergänzt. In der beanstandeten Reportage könnten die Reaktionen des Autorenteams nach den Begegnungen teilweise irritieren. Sie seien aber Teil des Formats und würden transparent als subjektive Wahrnehmung und damit als Kommentar gezeigt.
Doch auch eine Reportage müsse das Sachgerechtigkeitsgebot gemäss RTVG erfüllen. Tatsachen und Ereignisse seien sachgerecht dargestellt worden. Alle Seiten – mit Ausnahme der Missbrauchsopfer – seien in «rec.» zu Wort gekommen. Dass man die Aussagen eines Oberarztes einer Psychiatrischen Klinik trotz seinem nachträglichen Rückzieher gezeigt habe, sei richtig gewesen. Das öffentliche Interesse sei hier höher zu gewichten.
Wichtiges Thema aufgegriffen
Die Ombudsleute können die Argumente der Redaktion zum Auslassen der Opferperspektive nachvollziehen. Im Hinblick auf das Sachgerechtigkeitsgebot wäre es für die Ombudsleute jedoch nötig gewesen, in der Reportage zu erwähnen, warum man auf Stimmen von Betroffenen verzichtet habe. Insbesondere, weil damit die Gefahr des «second hit» (zweite Verletzung) besteht - wenn nämlich Opfern nicht geglaubt wird. In diesem Punkt heisst die Ombudsstelle die Beanstandungen gut.
Hingegen unterstützen die Ombudsleute die restlichen Kritikpunkte der Beanstandungen nicht. Die Macher:innen von «rec.» seien mit Sorgfalt ans Werk gegangen. Der Reporter reagiere zwar emotional, verhalte sich aber korrekt und fair. Die Dynamik von Verschwörungserzählungen werde treffend analysiert. Es sei sinnvoll, vor «false memory» zu warnen. Allerdings sind die Ombudsleute der Meinung, das Reportageformat «rec.» eigne sich nur sehr bedingt für dieses Thema. Um gewisse Probleme der Traumatherapie zu erklären, wäre in ihren Augen sehr viel mehr Aufwand – wohl in einem umfangreicheren Format – nötig gewesen.
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