Korrespondentin Susanne Brunner: «Kein Bericht ist dein Leben wert»

Das Berichten aus Kriegs- und Krisengebieten ist für viele Reporterinnen Alltag. Die Nachrichten in Radio und Fernsehen zeigen nur ein Bruchteil der Geschichte. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts soll es eine nicht zu beziffernde Anzahl an schreibenden und fotografierenden Kriegsreporterinnen gegeben haben. In unserer Serie erzählen Korrespondentinnen von SRF, was hinter dem Mikrofon oder der Kamera geschieht. Nahostkorrespondentin Susanne Brunner ist eine von ihnen.

Susanne Brunner kommt am Hauptbahnhof Zürich an. «Ich muss sagen, es ist schon eine andere Welt. Mir fällt auf, dass hier alles so herausgeputzt ist», sagt die Radiokorrespondentin, die seit 2018 für SRF aus dem Nahen Osten berichtet. Die Region sei so gastfreundlich wie sie auch konfliktreich sei. Über ihre beinahe Entführung, ihre Vorteile als Frau und was sie immer bei sich hat, spricht Susanne Brunner im Interview.

SRG Deutschschweiz: Als westliche Journalistin in mehrheitlich muslimischen Staaten unterwegs zu sein, erfordert viel Taktgefühl und Respekt. Susanne Brunner, haben Frauen eine andere Handschrift als ihre männlichen Kollegen?
Susanne Brunner: Ich glaube, im Nahen Osten ist es ein riesiger Vorteil, eine Journalistin zu sein. Als Mann findest du dort vor allem Zugang zu Männern, aber eigentlich keinen zu Frauen. Es wird viel Wert auf Geschlechtertrennung und Traditionen gelegt. Wenn ich beispielsweise mit Frauen über heikle Themen rede, müssen Männer draussen bleiben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mir als westliche Journalistin beide Welten offenstehen. Ich denke, weil ich Ausländerin bin, ein gewisses Alter habe – in ihren Augen könnte ich schon mehrfache Grossmutter sein –, sichert mir dies einen gewissen Respekt.

Viele Reporterinnen, die in Krisengebieten unterwegs sind, berichten über soziale Ungerechtigkeiten. Blicken Journalistinnen anders auf die Welt als ihre Kollegen?
Was Frauen mit Frauen besprechen, ist so ziemlich alles, was in der Ehe schiefläuft oder auch in der Politik, wenn Männer wieder Krieg anzetteln. Frauen leiden dann unter anderen Problemen, etwa Armut, Vertreibung oder Vergewaltigung. Aus meiner Erfahrung sprechen sie eher darüber, was ein Krieg für die Zivilbevölkerung bedeutet. Natürlich gibt es auch heitere Gesprächsthemen, beispielsweise welche Aufgaben Männer im Nahen Osten eigentlich haben und welche sie davon letztendlich erfüllen. Oder das Thema Dating: In der arabischen Welt ist es geschiedenen Frauen fast unmöglich zu daten, worüber sie mit mir als westliche Frau offen reden. Manchmal fragen sie mich, ob ich sie begleite, wenn sie jemanden sehen wollen, weil es dann nicht so auffalle.

Wie sicher fühlen Sie sich als Frau, wenn Sie in Gebieten wie Irak oder Syrien unterwegs sind?
Ich erlebe die Region als gastfreundlich und sehr respektvoll Frauen gegenüber. Ich werde zwar ab und zu mal verhaftet oder von einem Geheimdienst überprüft. Bisher habe ich es eher als Vorteil gesehen, dass ich eine Frau bin. Einmal wurde ich an der syrischen Grenze zu Jordanien von der Polizei verhaftet. Als sie merkten, dass ich Arabisch spreche – damals noch ein Schularabisch – waren sie völlig entzückt. Ungefähr nach einer Stunde wussten sie nicht mehr, weshalb sie mich eigentlich verhaftet hatten. Sie nannten mich «Habibti» (Anmerkung der Redaktion: der Ausdruck bedeutet «Liebling») und sie wollten mich herumführen. Wahrscheinlich dachten sie, dass ich als Ausländerin mit hellen Augen und eines gewissen Alters keine Gefahr für die nationale Sicherheit sei.

Frauen wie «Sunday Times»-Reporterin Marie Colvin oder CNN-Journalistin Christiane Amanpour haben die Krisen- und Kriegsberichterstattung sowie die Arbeit vieler Kolleginnen geprägt. Haben Sie auch ein Vorbild für Ihre Arbeit?
Auf jeden Fall. Meine Kindheit habe ich grösstenteils in Kanada verbracht, weil meine Eltern ausgewandert sind. Damals berichtete für CBC News die Radioreporterin Barbara Frum, die zu meinem grossen Vorbild wurde. Diese Frau hat es geschafft, mit Arafat genauso zu reden wie mit dem Züchter des grössten Kürbisses. Später an der Uni begleitete mich eine Radiolehrerin, die aus Krisengebieten berichtet hatte. Sie brachte uns bei, Band mit der Rasierklinge zu schneiden. Sie meinte, man solle die Klinge immer dabeihaben, auch falls man auf dem Weg zum Auto angegriffen würde, könne man sich notfalls verteidigen. Sie war eine ältere, absolut coole Frau. Ich kann mir sie bildlich vorstellen, wie sie mit der Rasierklinge in aller Ruhe ihre Beiträge schneidet während Bomben vom Himmel fallen.

Haben Sie noch heute eine Rasierklinge in der Tasche?
(Lacht) Nein. Seit das Reisen so kompliziert ist, habe ich nicht mal mehr ein Schweizer Sackmesser dabei.

Was haben Sie immer dabei?
Eine Taschenlampe, denn in den Gebieten, in denen ich unterwegs bin, gibt es oft Stromausfälle. Daher trage ich immer eine Oldschool-Taschenlampe mit mir, deren Batterien ewig halten.

Friedliche Situationen können in Ihrem Reporterinnenalltag innert wenigen Sekunden gefährlich werden. Wann hatten Sie das letzte Mal Angst?
Ich sage immer, eigentlich habe ich nur Flugangst und Angst vor Kakerlaken. Als Reporterin nehme ich es, wie es kommt. Aber im letzten Januar, als ich über die Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Bagdad berichtete, wurde es plötzlich gefährlich. Ich war mit Interviews beschäftigt und habe nicht gesehen, dass offenbar Scharfschützen auf dem Platz waren. Plötzlich kamen Männer aus allen Richtungen auf mich und meinen Übersetzer zu. Die Situation war brenzlig, wir mussten rennen und konnten mit einem Tuk-Tuk entkommen. Es war knapp. Was ich erst im Nachhinein bemerkte: Auf einem Foto, das ich von einem Tuk-Tuk-Fahrer gemacht hatte, ist auch zu sehen, wie ein schwer verletzter oder schon toter Mann weggetragen wird. Ich hatte grosses Glück. Entführt werden will ich definitiv nicht. Kein Bericht ist dein Leben wert.

Seit der Coronakrise, aber auch schon vorher, berichten manche Journalist:innen, dass sich die Gewalt zunehmend auch gegen sie richtet. Beobachten Sie das auch?
Die Aggression, wie sie teilweise Journalistinnen und Journalisten im Westen entgegenkommt, erlebe ich in meinem Berichtsgebiet nicht. Im Gegenteil, ich habe oft erlebt, dass mir Menschen sofort helfen, vor allem die Frauen. Ich glaube, einer der Gründe ist, dass die Menschen dort eigentlich nur Staatsmedien und soziale Medien kennen. Erste reden nie mit den Menschen, letztere verbreiten vor allem Gerüchte oder die Leute berichten über sich selbst. Ich erlebe es immer wieder, dass ich mit offenen Armen empfangen werde, weil ich mit den Menschen spreche und an ihren Geschichten interessiert bin. Offen angegriffen werde ich fast nie, vielleicht auch, weil ich eine Frau bin. Was ich merke ist, dass seit der Pandemie die Zensur heftiger geworden ist. Es werden immer mehr Gründe genannt, um uns auf den Puls zu fühlen.

Wie haben Sie das erlebt?
Ich denke, dass die Corona-Situation manchmal auch eine Ausrede ist, um uns die Berichterstattung zu erschweren. Ein Beispiel: Jordanien verhängte wegen Corona Militärrecht und rigide Ausgangssperren. Auch als Journalistin bekam ich keine Bewilligung, während der Ausgangssperren rauszugehen, was eine Berichterstattung sehr schwierig macht. Ich glaube aber, der grösste Teil meiner journalistischen Arbeit ist sonst so alltäglich ist wie an anderen Orten. Das Unnormalste dürfte das Autofahren sein. Als ich nach langem wieder zurück ins Glarnerland kam, bin ich derart zügig in einen Kreisel gefahren, dass sich mein Mann am Sitz festhielt und meinte: «Du, es ist Glaris, nicht Amman».

Mehr über Susanne Brunner

Susanne Brunner wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Heute blickt sie auf über 35 Jahre Berufserfahrung zurück. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei Radio SRF 3, unter anderem bei den Sendungen «Input» und «Focus». Dann war sie als USA-Korrespondentin in San Francisco und nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Susanne Brunner moderierte das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Und seit Frühling 2018 berichte sie als Radiokorrespondentin aus dem Nahen Osten.

Tränen, Fluchwörter und Karma: Die Waffen einer Korrespondentin

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Text: SRG.D/Sulamith Ehrensperger

Bild: SRF

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