«Musik zeigt, wer wir sind»

SRF 3-Musikchef Michael Schuler ist seit April für die Musikprogrammierung aller SRF-Radiosender zuständig. Wer aber ist Michi Schuler eigentlich – und ist er schuld, wenn «immer wieder das gleiche Lied läuft»?

Michael Schuler fand den Weg zum Radio durch einen Anruf spätabends. Anfang 2006 rief ihn nämlich der damalige Moderationschef François «FM» Mürner an und sprach ihn auf die freie Stelle als DRS 3-Musikchef an. «Im ersten Moment dachte ich, wer hat sich denn dafür beworben und mich als Referenz angegeben?» Schuler selbst arbeitete damals in einer Firma, die nach einer grossen Fusion endlich dabei war, ein bisschen Ruhe zu finden, erzählt er. «Ich war schon immer SRF 3-Hörer, fand das Programm cool. Wobei, damals hiess es ja noch DRS 3», so Schuler, und er ergänzt mit einer Anekdote: Als freischaffender Musikjournalist habe er sich einmal, Jahre vor Mürners Anruf, bei DRS D+A auf eine Stelle zum Erfassen von Poptiteln beworben. «Der damalige Chef hat mir nach drei Bewerbungsgesprächen schliesslich abgesagt mit der Begründung, er habe das Gefühl, dass ich lieber in die Musikredaktion wolle.» Und er hatte recht. Wie fand Schuler den Einstieg in die Musikwelt? «Es half sicher, dass meine Eltern beide grosse Musikfans sind und selber auch Musik machen», erzählt Schuler. Mit vier fing er an, Geige zu spielen, und als junger Erwachsener stieg er schliesslich in den Musikjournalismus ein: «Ich kam damals gerade von einer Reise durch die USA zurück. Ein Nachbar meiner Eltern war Musikjournalist. Ich fand das cool, da bekam man einfach so CDs zugeschickt und verdiente Geld damit, über Musik zu schreiben!» Er selbst schrieb zu Beginn vor allem über Bücher aus dem Bereich Musik.

Nach vorn gespult: 2006, Schuler wird neuer Leiter Musik bei DRS 3. Eine grosse Herausforderung sei es schon damals gewesen, erzählt er. 16 Jahre später, am 1. April 2022, übernahm er dann die Gesamtverantwortung für die Musikprogrammierung aller Radioprogramme im Bereich Kanäle Radio (Radio SRF 1, SRF 3, SRF Musikwelle, SRF Virus und SRF 2 Kultur sowie die drei Swiss Satellite Radios). Als «Masterbrain» der Musik im Hause SRF sieht Schuler sich in seiner neuen Rolle nicht: «Ich halte mich mehr im Hintergrund und schaue, dass meine Teams gut arbeiten können. Wenn, dann würde ich mich eher als Trainer bezeichnen.» Die neu geschaffene Gesamtleitung hatte er bereits im Frühling 2021 ad interim übernommen. Denn fast alle Sender stehen bereits mitten in kleineren oder grösseren Programmumstellungen, die im Bereich Musik von einem Team – in Zusammenarbeit mit verschiedenen hausinternen Abteilungen wie «Audience» und Marketing – mitgesteuert werden sollen. So wird zum Beispiel der Jugendsender SRF Virus, der bisher mit bescheidenen Hörerzahlen auf DAB+ und im Internet eher eine Nebenrolle in der SRF-Radiofamilie gespielt hat, grundlegend neu ausgerichtet. Aktuell sind keine Strecken moderiert, das werde sich jedoch bald ändern, so Schuler: SRF Virus soll als crossmediales Radio für die Jungen wahrgenommen werden.

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Dass mit einem neu aufgestellten SRF Virus quasi ein kleines Geschwister zum SRF 3 dazukomme, helfe wiederum bei der Schärfung der anderen Sender, erklärt Schuler: «SRF 3, zum Beispiel, hatte in den letzten Jahren den Auftrag, einerseits ein junges Publikum zu begeistern und andererseits das Stammpublikum, das deutlich älter ist und das Programm seit 20, 30 Jahren kennt, weiterhin zu behalten. Das führte zu einem Spagat.» 20- bis 25-Jährige stehen an einem anderen Ort im Leben als 40-Jährige.

Programmänderungen bewegen, stellt Michael Schuler immer wieder fest: «Das Musikprogramm von SRF 1 beispielsweise sind wir konstant am Verbessern und Anpassen. Signifikante Änderungen sind zwar zurzeit nicht vorgesehen, im Abendprogramm wurde in den letzten Monaten aber sehr viel verändert. Diese Veränderungen kommen beim Publikum sehr unterschiedlich an. Natürlich bedaure ich, wenn wir damit einen Teil unseres Publikums vor den Kopf stossen. Aber aus strategischer Sicht wird das Programm so noch besser an die Bedürfnisse der Hörerschaft angepasst, als es jetzt der Fall ist.»

«Mich interessiert, wie unsere Hörerschaft funktioniert, was sie mag, was nicht, und vor allem: weshalb.»

Die Hörerinnen und Hörer spielen für Schuler und seine Kolleginnen und Kollegen eine immens wichtige Rolle. Am Ende des Tages geht es um ihre Zufriedenheit: «Mich interessiert, wie unsere Hörerschaft funktioniert, was sie mag, was nicht, und vor allem: weshalb.» Die britische Singer-Songwriterin Amy Macdonald sei ein gutes Beispiel dafür, so Schuler: «Auf SRF 1 scheinen ihre Songs teilweise nicht so gut anzukommen, das analysieren wir dann in den Sitzungen und fragen uns, woran es liegen könnte. Haben wir uns für den falschen Song entschieden? Oder spielen wir die Songs von ihr zu viel?» Und auch die Uhrzeit, zu der die Titel gespielt werden, ist immer wieder Thema der Diskussionen: «Einen sperrigen, schleppenden Song will man nicht morgens hören, um in den Tag zu starten», so Schuler. Auch die Rotation wird fein auf die Hörerschaft abgestimmt: «Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, er merkt, wenn wir zwei Tage nacheinander den neuen Song von Lo & Leduc morgens um acht spielen würden.» SRF Audience erfasst seine Hörerinnen und Hörer im Rahmen der Medientrendforschung immer wieder empirisch, die Redaktionen wissen also, wann ihr Publikum musikalisch sozialisiert wurde, das hilft auch bei der Planung des Musik programms: «Wenn ich heute auf SRF 1 die Band Wham! höre, dann bin ich in Gedanken wieder im Skilager in Goms – obwohl ich diese Musik damals ablehnte – ihre Musik lief halt überall. Aber das ist eine schöne Erinnerung und Musik hat immer mit Emotionen und Gefühlen zu tun.»

Darum spielt auch Schweizer Musik eine grosse Rolle auf den SRF-Sendern: Was wir hören, damit zeigen wir ein Stück weit, wer wir sind – oder gern sein wollen. «Zwar hört man immer wieder seitens der Hörerschaft, dass nicht genug Musik von Schweizer Interpretinnen und Interpreten oder Bands gespielt wird, dieses Gefühl trügt aber», korrigiert Schuler. SRF habe sich durch seine Förderung der Schweizer Musikszene stark positioniert, dies zeigen auch die Zahlen der Marktforschung: «Auf SRF 1 beispielsweise spielen wir 20 Prozent Musik aus der Schweiz – wenn auch nicht immer auf Schweizerdeutsch.»

Was hört denn der oberste SRF-Musikchef selbst für Musik? Schuler seufzt, wie wohl viele Menschen aus der Musikwelt, denen man diese Frage stellt. «Wirklich querbeet, das hat mit meinen Interessen, aber sicher auch mit meinem Job zu tun. Von A wie Aphex Twin über Johann Sebastian Bach bis zu Z wie Joe Zawinul oder John Zorn ist alles dabei, aktuell auch das neue Album von The Weeknd. Zusammen mit meinem Sohn höre ich gerade alte Beatles-Platten.» Klar, gibt er zu, würde SRF anders klingen, wenn er nach seinem persönlichen Geschmack programmieren würde. Sein Geschmack sei aber nur einer unter vielen – und vor allem könne man die Hörerinnen und Hörer nicht zu fest herausfordern, sagt er: «Man muss sich immer wieder bewusst machen, dass Radio ein Begleitmedium ist. Darum sind die Hörerinnen und Hörer relativ schnell irritiert, wenn sie sich nicht mehr wohlfühlen mit dem, was sie den ganzen Tag hören. Und diese Rückmeldungen kommen dann sehr schnell und ungefiltert zu uns zurück. Das schätzen wir enorm an unserem Publikum.»

Text: Miriam Suter

Bild: Pernille Budtz

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