Karin Britsch: «Auch für uns Radioschaffende sind Bilder wichtig»

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dominiert auch die Nachrichten von Radio SRF. Wie geht eine Radiomacherin mit der mangelnden Transparenz um? Ein Gespräch mit Karin Britsch über Kriegspropaganda und den Konjunktiv.

SRG Deutschschweiz: Frau Britsch, Sie sind Leiterin der Nachrichtenredaktion von Radio SRF und auch am Mikrofon zu hören. Wie haben Sie den Krieg bislang erlebt?
Karin Britsch: Er macht mich tatsächlich betroffener, als andere Kriege. Das ist ein bisschen absurd, weil es ja schon viele ganz traurige Konflikte gegeben hat, über die wir in den Nachrichten berichtet haben. Wahrscheinlich hat diese Betroffenheit mit der Nähe zu tun. Kürzlich habe ich am Bahnhof eine Frau aus der Ukraine kennengelernt, die ein Bébé hatte. Sie haben dann einen Mann über Facetime angerufen. Als die Tochter das Bild sah, hat sie geweint und sie sagte etwas, das ich als Papi interpretierte. Da bekommt der Krieg ein Gesicht und das geht mir nahe.

Inwiefern sehen Sie Unterschiede zu anderen Kriegen über die Sie schon berichtet haben?
Es ist insofern schwieriger, als dass wir noch stärker mit Informationen berieselt werden. Auch in den sozialen Medien. Twitter kocht ja fast über. Ich checke jeden Morgen als erstes meine Twitter-Kanäle – auch in der Freizeit. Ganz am Anfang des Kriegs schaute ich immer, ob der ukrainische Präsident Selenski noch twitterte. Inzwischen folge ich vielen ukrainischen Journalist:innen oder Berufskolleg:innen, die noch oder wieder vor Ort sind. Von der russischen Seite erleben wir halt vor allem Propaganda. Die ukrainische Seite kommuniziert gleichzeitig sehr offensiv.

Das macht es schwieriger, sich als Redaktion zu orientieren.
Die Betroffenheit macht es nicht schwieriger, aber man muss halt sehr vorsichtig sein. Wir verifizieren ja immer nach dem Zwei-Quellen-Prinzip. Da gilt es aufzupassen, welches die Originalquellen sind. Woher kommt eine Information. Wenn zwei das Gleiche schreiben, sind das ja noch nicht per se zwei Quellen. Früher kamen die Meldungen in erster Linie über die Agenturen. Heute ist es unübersichtlicher, weil die Kommunikation auch über Twitter, Instagram und Facebook läuft. Und wir stützen uns auch auf unsere Korrespondent:innen, die vor Ort sind sowie deren Kontakte, ausserdem auf Nachrichtenagenturen oder Korrespondent:innen weiterer Sender. Bei offiziellen Statements suchen wir stets die Originalquelle.

Wie gehen Sie als Journalistin mit dieser mangelnden Transparenz und teilweise Fehlinformation um?
Es ist anspruchsvoll und zuweilen auch belastend. In gewissen Momenten erreichen uns ganz viele Nachrichten, in anderen praktisch keine. Was machen wir damit. Wir wollen nicht die Gefechte abbilden. Wir können immer mal wieder eine Zusammenfassung bringen und berichten, dass sich wahrscheinlich dies oder jenes ereignet. Aber es bleibt ein Abbild. Bei Informationen, die wir nicht wirklich verifizieren können, machen wir das am Sender transparent und sagen, dass eine bestimmte Information nicht überprüfbar ist. Und mit Zahlen, zum Beispiel von Opfern, sind wir vorsichtig und zurückhaltend.

Die Echtheit von Bildern kann man überprüfen, beim Radio hingegen geht das nicht. Welche speziellen Herausforderungen gibt es bei der Berichterstattung im Radio?
Es ist ein anderes Medium, allerdings sind Bilder auch für uns wichtig. Beispielsweise Drohnenaufnahmen, die echt sind, können unsere Berichterstattung unterstützen. Ein Originalton eines Korrespondenten gilt als verifiziert, ebenso Originalquellen von bekannten internationalen Organisationen. Wenn es heisst «aus Kreisen hiess es» ist dies keine Quelle, daher nicht verlässlich. Nachrichten am Radio machen heisst ja nicht, dass wir etwas hören und ungeprüft weitererzählen. Wir lassen vorher immer die Informationen anhand von zwei voneinander unabhängigen glaubwürdigen Quellen verifizieren.

Die Radionachrichtenredaktion ist vor kurzem in den Newsroom am Leutschenbach eingezogen. Ist diese räumliche Nähe auch eine Unterstützung beim Überprüfen von Quellen beispielsweise?
Ja, ich finde, diesen Austausch wertvoll. Wir geben uns gegenseitig Hinweise zu Primärquellen, zu Newsgeschichten und wir übernehmen zum Teil auch gegenseitig Aussagen aus Interviews, teilweise auch Auszüge aus Gesprächen, Zitate etc. Zu wissen, woran die andern gerade dran sind, das ist hilfreich. Und weil wir uns kennen, sind die Hürden kleiner. Wir können diesen Kontakt aber sicher noch intensivieren.

Wie oft kommen Sie als Journalistin mit Fake News, Propaganda oder Desinformation in Kontakt?
Ich denke, man muss immer aufpassen. Die Trump-Wahl und die polarisierenden Gruppen in den USA zum Beispiel haben uns nochmals stärker sensibilisiert. Auch die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wir müssen sehr kritisch sein und schauen, woher eine Information kommt: Wer ist der Absender? Welche Intention hat er oder sie? Ich beobachte, dass wir schon eine sehr kritische Redaktion sind und auch sehr auf Details achten. Denn je nach Formulierung kann eine Aussage total falsch rüberkommen. Wenn beispielsweise eine Zahl nicht stimmt oder eine Formulierung im Konjunktiv sein müsste, aber im Indikativ formuliert ist. Das ist entscheidend. Und der Konjunktiv hat zurzeit Konjunktur.

Karin Britsch ist Redaktionsleiterin Nachrichten und Teletext von Radio SRF. Sie arbeitet seit 21 Jahren in verschiedenen Funktionen und Redaktionen für SRF.

Text: SRG Deutschschweiz/Sulamith Ehrensperger

Bild: SRF/Charles Benoit

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