Zwischen Nähe und Distanz
Viele Politikerinnen wollen bestimmen, wie ihre Themen in den Medien präsentiert werden. Doch die TV-Bundeshausredaktion von SRF hält solchen Einflussversuchen stand. Eine gewisse Nähe zu den Politikern sei aber trotzdem zwingend, sagt Urs Leuthard.
Schräg gegenüber dem Bundeshaus in Bern liegt das Medienzentrum. Von dort aus berichten Journalistinnen und Journalisten über die Geschehnisse in der Schweizer Politik, die Pressekonferenzen des Bundesrats finden in seinem Untergrund statt. Im dritten Stock des Sandsteingebäudes hat sich die zehnköpfige TV-Bundeshausredaktion von SRF eingerichtet. Die räumliche Nähe zu Parlament und Regierung ist unbestritten vorhanden. In den journalistischen Beiträgen darf sie sich aber nur begrenzt spiegeln: Sonst fehlt ihnen die Unabhängigkeit vom Politbetrieb.
Für die Einhaltung der Unabhängigkeit in der TV-Bundeshausredaktion ist Urs Leuthard zuständig. Seit 20 Jahren arbeitet er als Politjournalist bei SRF. Erst moderierte er die «Arena» und «Classe Politique», später die «Rundschau», und dann leitete er die Redaktion der «Tagesschau». Bis heute moderiert der 59-Jährige die Abstimmungs- und Wahlsendungen von SRF, seit 2020 ist er Redaktionsleiter der TV-Bundeshausredaktion.
Dass Politikerinnen und Lobbyisten versuchen, Einfluss zu nehmen auf die Wahl der Themen und Inhalte der Berichterstattung, sei «immer schon ein grosses Thema» gewesen, sagt Leuthard. Entweder rufen sie ihn an, schreiben ihm eine Mail oder sprechen ihn direkt an im Rat.
Leuthard glaubt nicht, dass die Versuche der Einflussnahme zugenommen haben über die Jahre. «Während meiner Zeit bei der ‹Arena› verging keine Woche, ohne dass eine Partei mich zu beeinflussen versuchte.» Urs Leuthard hat kein Problem mit diesen Interventionen.
«Politik ist Interessenvertretung. Es gehört zu den Aufgaben der Parteien, dafür zu sorgen, dass ihre Themen und Leute in den Medien vorkommen. Und zwar auf die Art, wie sie es für richtig halten.»
Urs Leuthard, Leiter der TV-Bundeshausredaktion von SRF
Das zeigt ihm, dass auch in Zeiten, in denen Politiker via soziale Medien ungefiltert ihre Botschaft verbreiten können, das öffentliche Fernsehen für sie von Bedeutung sei: «Wenn ein Politiker auf Twitter 5000 Follower hat, ist das viel. Eine ‹Tagesschau› aber erreicht rund 750 000 Zuschauerinnen.»
Kritik, dass ihre Anliegen nicht oder unangemessen behandelt wurden in Beiträgen, komme aus allen politischen Lagern. «Die Tonalitäten unterscheiden sich aber», sagt Leuthard. Manche Vertreterinnen von Parteien würden eher den Dialog suchen, andere ihn ultimativ zum Zwiegespräch zitieren. Solche Einladungen schlägt Leuthard nie aus: «Mich dieser Kritik zu stellen, ist meine Verpflichtung.» Er empfindet diese Gespräche als förderlich: «Ich erkläre jeweils, dass wir Medien uns mit den gleichen Themen befassen wie die Politiker:innen, aber aus einem anderen Blickwinkel. Wir müssen eine objektivere Sicht auf die Dinge haben als sie.»
Eine gewisse Nähe zu den Akteur:innen des Politbetriebs findet Leuthard zwingend: «Guter Kontakt zu Mitgliedern des Parlaments zahlt sich aus. So komme ich an spannende Informationen.» Mit vielen ist er seit seiner ‹Arena›-Zeit per Du – weil sie es ihm angeboten haben und er «aus Respekt» nicht abgelehnt habe.
«Ob ich mit einer Person per Du oder Sie bin, ändert nichts daran, wie ich sie behandle.»
Urs Leuthard, Leiter der TV-Bundeshausredaktion von SRF
Die TV-Bundeshausredaktion von SRF erstellt Beiträge für die «Tagesschau», «10 vor 10» und die digitalen Kanäle. Rund die Hälfte der Beiträge betrifft Themen, die auf der Agenda stehen: Sessionen, Pressekonferenzen, Kongresse und Ähnliches. Die andere Hälfte bilden Themen, die sich aus Diskussionen im Team ergeben, oft ausgelöst durch Berichterstattung in anderen Medien oder Spezialwissen von Mitarbeitenden.
Politiker und Lobbyistinnen haben bei der Festlegung der Themen nichts zu melden, die Redaktion hält sich allein an drei journalistische Kriterien: politische Relevanz, Interesse und Kapazität. Für die politische Relevanz gibt es keine abschliessende Definition, die Publizistischen Leitlinien von SRF liefern aber einige Anhaltspunkte: Entscheidend sind demnach die langfristige Bedeutung des Themas, die Bedeutung seiner Akteure sowie der exemplarische Charakter des Sachverhalts. «Und beim Kriterium des Interesses fragen wir uns, ob das Thema was zu tun hat mit der Lebenswelt des Publikums», erklärt Leuthard. Die Kapazität richtet sich einerseits nach der Verfügbarkeit der Journalistinnen. Andererseits nach dem Platz, der in einer Sendung überhaupt zur Verfügung steht. Denn die Sendezeit einer «Tagesschau» und eines «10 vor 10» ist strikt limitiert.
Larissa Rhyn, 29-jährig, ist seit letztem September Teil der TV-Bundeshausredaktion von SRF, vorher arbeitete sie während zweier Jahre für die NZZ als Bundeshausredaktorin. Dass Politiker:innen ihr klarstellen, worauf sie den Fokus ihrer Beiträge richten soll, ist für sie Alltag. Schwierigkeiten, diesen Druckversuchen standzuhalten, hat sie nicht: «Ich als Autorin entscheide, wie ich meine Beiträge gestalte.»
Bei der NZZ musste sie regelmässig Kommentare schreiben und so ihre persönliche Meinung zum Ausdruck bringen. Anders jetzt beim SRF: In die sogenannten News-Analysen fliessen zwar persönliche Einschätzungen ein, es geht aber hauptsächlich um eine Einordnung anhand von Fakten. Mit diesem Format fühlt sich Rhyn wohler: «Mein Auftrag als Journalistin ist, zu informieren und einzuordnen. Meine persönliche Meinung ist da zweitrangig.»
Die Konzession verpflichtet SRF dazu, über eine Vielzahl von Ereignissen und Ansichten zu berichten. Und zwar auf eine Art, die es dem Publikum erlaubt, sich eine eigene Meinung zu bilden. «Die absolute Objektivität gibt es aber nicht», sagt Urs Leuthard.
«Auch wir Journalistinnen und Journalisten haben Prägungen und Meinungen, die in unsere Beiträge reinspielen.»
Urs Leuthard, Leiter der TV-Bundeshausredaktion von SRF
Er sieht jedoch drei Korrektive: Seine Leute seien fähig, die eigene Haltung zu reflektieren und ausgewogen zu berichten. Oder einen Beitrag nicht zu machen, wenn er allein aus ihrer Warte relevant scheint. Ausserdem diskutiert das Team an den morgendlichen Sitzungen ausgiebig, wie es die Themen darstellt. «Wenn dort eine Schlagseite auftaucht, wird sie sofort angesprochen», sagt Leuthard. Und schlussendlich gibt es interne Sendekritiken, bei denen allfällige Unausgewogenheit rückgemeldet würde.
Bei den Druckversuchen aus der Politik hat Leuthard bekanntlich keine Zunahme festgestellt. Anders bei jenen aus dem Publikum: Seit Ausbruch der Pandemie haben die Beanstandungen an die Ombudsstelle stark zugenommen und seien aggressiver formuliert als früher. Viele Kritiker:innen schimpfen, SRF sei zu nah dran am Bundesrat und berichte zu wenig unabhängig. «Kurz nach dem ersten Lockdown haben sich alle Parteien hinter den Entscheid des Bundesrats gestellt, auch wir Medien», räumt Leuthard ein. Je länger die Pandemie aber gedauert habe, desto diverser seien die Meinungen geworden in der Politik – und in den Medien.
«Wir haben uns vom Bundesrat emanzipiert, sind kritischer geworden.»
Urs Leuthard, Leiter der TV-Bundeshausredaktion von SRF
Ein grosser Teil der Beanstandungen drehte sich darum, dass Minderheitsmeinungen etwa von Impfgegnerinnen zu selten aufgegriffen worden seien. Die Ombudsleute kommen in ihrem Jahresbericht aber zum Schluss, dass namentlich die Massnahmengegner überdurchschnittlich oft zu Wort gekommen seien. Von den über 1000 Beanstandungen gegen SRF im Jahr 2021 wurden 25 ganz und 45 teilweise gutgeheissen. Diese Zahlen bestärken Urs Leuthard in seiner Überzeugung, dass SRF unabhängig berichtet.
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