Aussagen einer Expertin über Transgender-Sport waren zulässig

In welcher Kategorie sollen Transgender-Athlet:innen künftig antreten? Mit dieser Frage beschäftigte sich der Podcast «4x4» von SRF 4 News im April 2022. Ein Beanstander kritisierte die Aussagen einer Expertin dabei als «politisch gefärbt» und «wissenschaftlich falsch».

Im Frühling dieses Jahres ist in den USA eine hitzige Debatte über Transgender-Athlet:innen im Spitzensport entbrannt. Anlass dafür bildete der Umstand, dass in zwei US-amerikanischen Bundesstaaten je ein Gesetz erlassen wurde, das Transgender-Frauen den Zugang zu Teamsportarten bei Mädchen/Frauen verbietet. Dies, nachdem die Transgender-Athletin Lia Thomas im Schwimmsport gleich mehrere Wettbewerbe für sich entschieden hatte – teilweise mit deutlichem Vorsprung.

Der Podcast «4x4» nahm die Debatte auf und sprach mit Genderforscherin Marianne Meier von der Universität Bern über die Thematik. Die Expertin sprach sich dabei eher für die Transgender-Athletinnen aus und forderte, dass die Regeln der Vielfalt angepasst werden und nicht umgekehrt.

Fehlende Gegenstimme

Ein Beanstander hat die Aussagen der Expertin bemängelt. Marianne Meier habe im Gespräch tendenziöse Aussagen gemacht, die wissenschaftlich nicht vertretbar seien und die zudem nicht mit seinen Praxis-Erfahrungen als Trainer im Leistungssport übereinstimmten. «Ich erachte ihre Aussagen als politisch gefärbt, tendenziös und in zentralen Punkten wissenschaftlich falsch», so der Beanstander.

Seiner Meinung nach fehle es dem Beitrag an einer Gegendarstellung oder Einordnung durch eine Sportwissenschaftlerin. Frau Meier habe das Feld der Wissenschaft schon lange verlassen und propagiere lediglich ihren politischen Wunsch nach mehr Akzeptanz von Transmenschen im Sport. «Den Blickwinkel der Frau blendet sie völlig aus. Das gehört sich für eine Wissenschaftlerin nicht.»

Die Redaktion widerspricht dieser Darstellung. Marianne Meier sei eine international erfahrene Wissenschaftlerin auf ihrem Forschungsgebiet. Ihre wissenschaftliche Expertise im Themenkomplex «Sport und Gender» sei international anerkannt. Den Vorwurf des Beanstanders, Marianne Meier argumentiere unwissenschaftlich, respektive mit falschen Grundlagen, erachtet die Redaktion deshalb als nicht angebracht.

Klare Meinungsäusserung

Marianne Meier begründe ihre Aussagen und Thesen. Zudem sei für das Publikum auch nachvollziehbar, dass in diesem Gespräch eine Expertin ihre Meinung zum Ausdruck bringe. Dass einzelne Studien nicht im Detail benannt würden, sei einerseits der Länge eines solchen Interviews geschuldet und geschehe andererseits mit Rücksicht auf den Kontext: Es handle sich nicht um ein Fachgespräch, sondern um einen Podcast, der Fakten und Zusammenhänge gut verständlich für ein breit interessiertes Publikum vermittle.

Die Ombudsstelle gelangt zu einer ähnlichen Einschätzung. Zwar sei es zu akzeptieren, wenn der Beanstander als Trainer zu anderen Schlüssen komme, als die befragte Marianne Meier. Jedoch gehe es nicht an, dass er aufgrund seiner Erfahrungen anderslautenden Einschätzungen durch Expertinnen die (wissenschaftliche) Seriosität abspreche.

Auch gewisse Aussagen einer Wissenschaftlerin, die nichts mit Wissenschaft zu tun haben, seien zulässig. So zum Beispiel die Vermutung, dass man nicht über Lia Thomas sprechen würde, wenn sie nicht gewonnen hätte. Zumal diese Vermutung ganz generell im Sport zutreffe: man spreche über von der Norm abweichende Sportlerinnen und Sportler vor allem dann, wenn sie gewinnen würden.

Ausgewogenheit über Thema als Ganzes

Der Beanstander gehe vom bisherigen «Normalitätsfall» aus, also von den beiden biologischen Geschlechtern, und spreche sich auch dafür aus. Allerdings würden auch Sportverbände die Grenzen zwischen den biologischen Geschlechtern immer mehr auflösen, wie denn auch die IOK-Richtlinien für Trans-Menschen von 2015 beweisen. Genau deshalb polarisiere dieses Thema ja auch so stark. Es sei deshalb richtig, dass Forscherinnen wie Marianne Meier zu Wort kämen – auch wenn viele gerade im Sportbereich Tätige sich wünschten, dass Sportlerinnen, die vor einer Geschlechtsanpassung Männer waren, nicht bei den Frauen starten sollten.

Wenn aufgrund der Aktualität (Lia Thomas) vor allem die eine Seite betont wird, widerspreche das der Sachgerechtigkeit nicht. Ausgewogenheit müsse über das Thema als Ganzes gewährleistet sein. Die Debatte werde wohl heftig weitergeführt und von SRF begleitet werden, zumal gerade auch die IOK-Richtlinien nicht in Stein gemeisselt seien. Einen Verstoss gegen die einschlägigen Bestimmungen des Radio- und Fernsehgesetzes kann die Ombudsstelle deshalb nicht erkennen.

Podcast «4x4» von SRF 4 News vom 22. April 2022:

  • Gespräch mit der Genderforscherin Marianne Meier ab Minute 13:33

Text: SRG.D/df

Bild: SRG.D/Illustration Cleverclip

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