«Ich spreche mit den Händen»

Natasha Ruf (35) ist seit Geburt gehörlos. Bei SRF moderiert die Zürcherin «Signes», eine Sendung in Gebärdensprache. Inhalte einfach mit Untertiteln zu versehen, reiche für Gehörlose nicht, erklärt sie.

Ich wollte immer Schauspielerin werden. Ich stehe gern vor der Kamera und ich finde es spannend, nicht nur in Gebärdensprache zu kommunizieren, sondern mit Gestik, Mimik, dem ganzen Körper. Doch es ist schwierig, als Gehörlose Schauspielerin zu werden. Mehr durch Zufall kam ich Ende 2009 zu einem Praktikum bei Focus Film, einer Agentur für Film- und Videoproduktionen. Dort lernte ich Schnitt, Kamera und Moderation. Ich arbeitete als Nachrichtensprecherin und taube Dolmetscherin für TV und Social Media. Dann wechselte ich in den Grafikbereich. Als SRF 2020 eine Moderatorin für eine Sendung in Gebärdensprache suchte, bewarb ich mich – und erhielt den Job. Die Arbeit als Moderatorin, die ja durchaus Ähnlichkeiten zum Schauspiel hat, finde ich extrem spannend. Ich bin sehr neugierig, lerne gern Menschen und ihre Geschichten kennen.

Ich bin seit Geburt gehörlos. In der Deutschschweiz gibt es rund 10 000 Gehörlose – nimmt man auch die Menschen mit Hörbehinderungen dazu, etwa stark Schwerhörende, dann sind wir bei über einer Million. Mit der Sendung «Signes» wollen wir die Welt der Gehörlosen aufzeigen und den Betroffenen zeigen, dass sie nicht allein sind, und umgekehrt den Hörenden unsere Welt näherbringen. Die Themen suchen wir so aus, dass sie für unser Zielpublikum relevant sind. Mir liegt etwa die Stellung von Gehörlosen in der Gesellschaft – zum Beispiel von mir als gehörloser Frau – sehr am Herzen. Einen Beitrag über Pferde würden wir nicht machen – da könnte das Publikum auch einfach eine bestehende Sendung mit Untertiteln anschauen, da bieten wir keinen Mehrwert. Wir suchen Themen, die sonst in den Medien nicht unbedingt stattfinden. Wir haben uns zum Beispiel mit der Mimik und Gestik von Charlie Chaplin auseinandergesetzt und mit dem Einfluss von Gehörlosen in der Kunstgeschichte.

Flexible Themenwahl

Inspiration finden wir unter anderem über unsere Facebook-Gruppe der Sendung – hier posten unsere Zuschauerinnen und Zuschauer ab und zu Themen, die sie beschäftigen und die sie gern in der Sendung sehen würden. Anders als viele Medienschaffende befasse ich mich für meine Arbeit weniger mit Medienmitteilungen und Jahresberichten – viele aktuelle Themen erfahren wir über Mund-zu-Mund-Propaganda. Gehörlose lesen nicht so oft Nachrichten. Lesen ist für uns anstrengender, als mit jemandem zu sprechen, denn Deutsch ist für uns eine Fremdsprache. Auch ich persönlich konsumiere vor allem visuelle Medien, Social-Media-Clips von Nachrichtenseiten oder Dokumentarfilme. Eine Zeitung lese ich nicht. Deshalb helfen mir bei Sendungen oder Filmen mit Untertiteln vor allem auch die Bilder – ich orientiere mich stark am Visuellen.

Porträt Natasha Ruf

Bei RTS gibt es die Sendung «Signes» schon viel länger als bei SRF. Wir arbeiten nur selten zusammen, denn was viele nicht wissen: Die Gebärdensprache ist nicht universell. Es gibt eine Deutschschweizer Gebärdensprache, eine französische, eine englische etc. Die Zeichen unterscheiden sich somit je nach Sprache – teilweise sogar je nach Dialekt. Die Gebärde für ein Brotstück ist in Basel eine andere als in Zürich. Hinzu kommt der kulturelle Unterschied: Die Romands orientieren sich stärker an Frankreich. Und es gibt Themen, die nicht national funktionieren. So ist etwa das Schulwesen für Gehörlose in Kantonen der Romandie sehr anders als in der Deutschschweiz, man kann die Sendung also nicht einfach für die Deutschschweiz übersetzen.

Meine Arbeit unterscheidet sich sicher darin, dass ich oft mit Dolmetscherinnen und Dolmetschern zusammenarbeiten muss. Ich interviewe ja nicht nur gehörlose Menschen. Auch in unserem Team bei «Signes» sind wir gemischt – Christina Pollina in der Regie und Co Grundler im Schnitt sind hörend, Joel Toggenburger als Co-Reporter und Stanko Paulica in der Regie sind gehörlos. Christina und Co haben zwar begonnen, die Gebärdensprache zu lernen, aber oft müssen wir mit Hand und Fuss sprechen, um uns zu verstehen. Viel funktioniert auch über das Schriftliche – zum Beispiel lasse ich sie auf meine Diktierapp sprechen und sehe sofort, was sie sagen wollen.

Angewiesen auf Feedback

Am Anfang war ich allerdings die einzige gehörlose Person im Team. Das war eine grosse Herausforderung. Gerade das Feedback von gehörlosen Menschen, für die wir die Sendung ja produzieren, fehlte mir anfangs. Spreche ich genügend klar? Muss ich gewisse Zeichen stärker betonen? Sind die Themen auch für Gehörlose interessant? Ich habe mich dafür eingesetzt, dass wir eine gehörlose Fachperson in der Regie haben – nur so kriege ich das Feedback, das ich brauche. Mit Stanko läuft das ausgezeichnet, denn er hat Erfahrung als Filmemacher. Auch achten Christina und Co auf andere Dinge als er. Die Kombination ist aber eine grosse Bereicherung. Zudem ist meine Partnerin hörend, spricht aber Gebärdensprache. Ihr Feedback finde ich ebenfalls sehr spannend.

Die Kameraleute sprechen keine Gebärdensprache, aber wir verständigen uns auch so. Unterschiede gibt es schon auch, insbesondere bei der Kameraführung – man muss die Handzeichen und die Mimik der Personen immer gut sehen können. Der Schnitt ist dafür schneller, da Gehörlose ein Bild schneller erfassen können als Hörende, weil sie sich nicht gleichzeitig auf das Gesprochene konzentrieren müssen.

Wichtig ist mir, dass bei Sendungen Hörende und Gehörlose zusammenarbeiten – nicht die Hörenden für die Gehörlosen oder umgekehrt. Ein schönes Beispiel ist die SRF-Sendung «Einstein»: Statt uns einfach für Interviews oder Infos zu fragen, wollten sie eine Sendung über Gehörlosigkeit coproduzieren. Das fand ich toll! Ich durfte somit an der Seite von «Einstein»-Moderator Tobias Müller moderieren und habe sehr viel gelernt. Solche Projekte finde ich wichtig. Gerade jetzt, wo das Thema Inklusion – egal von welcher Minderheit – immer wichtiger wird, soll auch die Welt der Gehörlosen zugänglicher werden.

Text: Eva Hirschi

Bild: SRG.D

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