Volksmusik: Brücke zwischen Tradition und Moderne
Das Stammpublikum unterhalten und gleichzeitig junge Menschen für Volksmusik begeistern – eine Aufgabe, die sich nur mit viel Herzblut und Verständnis für beide Welten bewältigen lässt. Ein Gespräch mit Volksmusikredaktor Christian Wyss.
Wer an einen Schweizer Volksmusiker denkt, zeichnet kaum das Bild eines urbanen Musikliebhabers, der gern Trip-Hop hört, an Konzerte alternativer Rockbands geht oder seine Abende in Jazzclubs verbringt. Doch genau das ist Christian Wyss – ein moderner Städter, der gleichzeitig die traditionelle Volksmusik mit Leidenschaft lebt. Im Alter von vier Jahren griff der heute 37-Jährige das erste Mal zum Schwyzerörgeli und hat es seitdem nicht mehr losgelassen. «Die Volksmusik erlaubt mir, in eine andere Welt einzutauchen, eine andere Schweiz zu erleben, als sie mir hier in Zürich im Alltag begegnet. Das ist faszinierend und bereichernd zugleich», erklärt er.
Wyss’ Verständnis für die verschiedenen Lebensrealitäten, Interessen und Ansprüche hilft ihm aber auch in seiner Rolle als Fachredaktor für Volksmusik beim Schweizer Fernsehen, wo er immer wieder Grenzen austestet. «Unser Anspruch ist, konservativeren Zuschauerinnen und Zuschauern das zu bieten, was sie von uns erwarten, gleichzeitig aber auch ein neues Publikum anzusprechen», so Wyss.
Denn für ihn ist Volksmusik weit mehr als nur eine nostalgische Reminiszenz an eine vergangene Zeit. Im Gegenteil: «Volksmusik hat sich schon immer verändert und weiterentwickelt. Sie steht nicht still, und das sollten wir ebenfalls nicht.» Auch deshalb hat sich die Berichterstattung zum Thema Volksmusik bei SRF über die Jahre stark weiterentwickelt. Gerade weil das lineare Fernsehen immer älter wird und das Genre der Volksmusik bei jüngeren Menschen weniger Anklang findet, arbeiten Wyss und sein Team intensiv daran, Volksmusik auch für unter 50-Jährige attraktiv zu gestalten. Digitale Kanäle eignen sich besonders gut dafür. Dort hat das SRF-Volksmusikteam die Freiheit, regelmässig Nachwuchstalente vorzustellen und moderne Interpretationen zu präsentieren, die weit von den vertrauten Klängen entfernt sind.
Mittlerweile gibt es davon mehr als genug. Ein Grund dafür ist unter anderem das Volksmusikstudium an der Hochschule Luzern, das seit zehn Jahren frischen Wind in die Szene bringt, so Wyss. «Die Studierenden kommen mit viel zeitgemässer Musik in Kontakt und interpretieren dadurch auch die Volksmusik neu.» Doch nicht nur junge Volksmusikerinnen und -musiker beeinflussen die traditionellen Melodien – auch die Migration und Einflüsse anderer Kulturen verändern die Schweizer Volksmusik. Ein bekanntes Beispiel dafür ist etwa die elfköpfige Formation Traktorkestar. Eine einzigartige Blaskapelle zwischen Bern und Balkan, Tradition und Moderne, Stadt und Land, Traktor und Orchester.
Volksmusik im Wandel
Doch ist Schweizer Volksmusik noch Schweizer Volksmusik, wenn sich exotische Klänge, fremde Instrumente und ungewöhnliche Melodien in ihr wiederfinden? Genau mit diesen Fragen sieht sich Wyss regelmässig konfrontiert und hat dazu eine klare Meinung: «Volksmusik wurde schon immer durch fremde Kulturen beeinflusst – durch das Internet und die Migration beschleunigt sich dieser Prozess nun lediglich.» Wyss betont in diesem Zusammenhang immer wieder die Schlüsselrolle, die SRF in der Dokumentation und Förderung dieser Entwicklung spielt. «Es geht nicht nur um die Musik», sagt er. «Es geht auch um die Geschichten, die diese Musik erzählt, die Menschen, die sie machen, und die Gemeinschaften, die sie formt und die von ihr geformt werden.»
Ein zentrales Thema in Wyss’ Arbeit ist demzufolge das Verhältnis von Tradition und Innovation in der Volksmusik. Trotzdem sagt er: «So wichtig es ist, neue Entwicklungen zu zeigen und zu dokumentieren, so wichtig ist auch, dass man nicht vergisst, wie Musik früher klang, wo sie herkommt und wo ihre Wurzeln sind.» Hinzu kommt, gibt der Volksmusikredaktor unumwunden zu, dass die Stammzuschauerschaft von «Potzmusig» das Vertraute und die Beständigkeit schätzt. Daher benötigen Beiträge über modernere Interpretationen von Volksmusik dort sehr viel mehr Einbettung als in anderen Sendungen oder auf digitalen Kanälen. Es gibt also noch viel zu tun für Wyss und sein Team, um die Vielfalt der Volksmusik in der Schweiz auch im linearen Fernsehen vermehrt darzustellen. Konkret bedeutet das: «Wir müssen einen Weg finden, diese Musik in unser Programm zu integrieren, ohne unsere bestehenden Zuschauerinnen und Zuschauer zu entfremden. Das ist eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen.»
Das laufende Jahr 2023 bietet dafür ideale Voraussetzungen. Mit dem Eidgenössischen Jodlerfest in Zug und dem Eidgenössischen Volksmusikfest in Bellinzona TI stehen gleich zwei bedeutende Grossveranstaltungen an. Das SRF stellt daher die Volksmusik in den Fokus – unter anderem mit einer siebenteiligen DOK-Serie zum Thema, an der auch Wyss intensiv mitarbeitet. Eine grossartige Gelegenheit, wie er findet, um genauer hinzuschauen, sich zu fragen, woher Volksmusik kommt, wie sie sich verändert hat und inwiefern sie sich verändern darf. «Volksmusik hat sehr viel mit Identität zu tun und betrifft uns alle. Ich bin überzeugt, dass wir damit ein breites Publikum erreichen und auch überraschen werden.»
Interesse für Volksmusik wecken
Doch Wyss und sein Team gehen noch weiter und möchten das Schwerpunktthema Volksmusik auch in eher unerwartete Sendegefässe bringen. Eine von vielen Ideen, verrät Wyss, ist beispielsweise eine Spezialausgabe von «1 gegen 100» mit einem Fokus auf Volksmusik. Auch mit den Zuständigen der Kultur, von News-Formaten und sogar der Wettersendung «Meteo» ist Wyss im Gespräch und versucht, spannende Möglichkeiten zu finden, um das SRF-Schwerpunktthema auf überraschende Art und Weise in die Wohnzimmer derer zu bringen, die sonst beim Thema Volksmusik sofort weiterzappen würden.
«Es ist ganz einfach: Wenn ein Musikstück ertönt, das einem nicht gefällt oder zu dem man keinen Bezug hat, zappt man schnell weiter. Nehmen wir die Zuschauerinnen oder User aber an der Hand, erzählen ihnen eine Geschichte, porträtieren die Musikschaffenden und zeigen, mit wie viel Leidenschaft und Herzblut sie musizieren, dann steigt das Interesse, auch mal was Neues zu entdecken», so Wyss weiter. Immer wieder beobachte er Städterinnen, die den Tränen nahe sind, wenn sie etwa zu später Stunde in einem Restaurant oder einer Berghütte im Appenzellerland ein «Zäuerli» oder «Rugguuseli» hören. Es komme eben auch auf das Setting an. «Volksmusik und gelebtes Brauchtum funktionieren am besten, wenn man es live miterlebt und mit allen Sinnen aufnehmen kann. Wir überlegen uns deshalb immer wieder, wie wir genau dieses Gefühl transportieren können», erklärt Wyss.
Die Schweizer Volksmusik ist mehr als nur eine musikalische Gattung. Sie ist ein Ausdruck der reichen und vielfältigen Kultur des Landes, eine Verbindung zur Vergangenheit und eine Brücke zur Zukunft. Dank Menschen wie SRF-Redaktor Christian Wyss, die diese Musik leidenschaftlich fördern und schützen, besteht die Hoffnung, dass die Tradition der Volksmusik in der Schweiz auch in den kommenden Jahren lebendig und dynamisch bleiben wird.
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