Geiselnahme in der Waadt: SRF hätte Nationalität des Täters nennen müssen
Am Morgen nach der Geiselnahme in Essert-sous-Champyent im Februar dieses Jahres verzichten die «Morgennachrichten» in ihrer Sendung um 5:30 Uhr darauf, die Nationalität des Täters zu nennen. Die Ombudsstelle unterstützt eine entsprechende Beanstandung – dies, obwohl die Redaktion den Beitrag eine halbe Stunde nach Erstausstrahlung bereits angepasst hatte.
Darum geht es in der beanstandeten Sendung
Die «Morgennachrichten» des 9. Februars 2024 befassten sich mit der Geiselnahme in Essert-sous-Champyent. Der Beitrag gibt einen Überblick über die Tat, die sich am Vorabend ereignet hatte. Ziel ist es, den Hörer:innen einen Überblick über den aktuellen Wissensstand zu geben.
«SRF Audio, Morgennachrichten» vom 9. Februar 2024:
«Geiselnahme in Essert-sous-Champyent»
Was wird beanstandet?
Der Beanstander kritisiert die «Morgennachrichten» dahingehend, dass die Nationalität des Täters in der Sendung von 5:30 Uhr nicht genannt wurde. Dies, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen war. Er verweist dabei auf andere Medien und auf die offizielle Seite des Kantons Waadt (vd.ch). Der Beanstander stört sich am Weglassen der Information, denn diese sei wichtig für die gesellschaftliche Diskussion des Verbrechens. Die Tat sei in dieser Schwere in der Schweiz unüblich. Eine journalistische Praxis, welche dem Publikum eine wichtige Information wie die Nationalität des Täters verschweige, schade dem Ansehen der SRG, so der Beanstander weiter.
Was sagt die Redaktion?
Die Redaktion verweist in ihrer Stellungnahme auf die publizistischen Leitlinien. Im Regelfall würden biografische Angaben zu Tätern und Opfern nicht genannt. Dazu gehören neben der Nationalität auch Namen oder die ethnische Herkunft. Dies auch dann nicht, wenn die Polizei oder ein Gericht dies tut. Die Leitlinien würden aber Ausnahmen erlauben, nämlich dann, wenn die Nennung dieser Angaben mit dem Delikt in Verbindung stehen oder für das Verstehen einer Tat notwendig ist.
Bereits in der frühmorgendlichen publizistischen Diskussion habe die Redaktion entschieden, dass ein Interesse an der Information bestehen könnte, dass es sich beim Täter um einen Asylbewerber aus dem Iran handelte. Entsprechend sei die Berichterstattung bereits eine halbe Stunde nach dem Ausstrahlen des beanstandeten Beitrags, also bereits um 6 Uhr morgens, dahingehend angepasst worden. Gleiches gelte für die Online-Berichterstattung.
Da sich die Nachrichtennachtschicht an die publizistischen Leitlinien gehalten habe und die Redaktion nach interner Diskussion sich zeitnah zur Publikation der Angaben entschied, bittet die Redaktion die Ombudsstelle, die Beanstandung abzulehnen.
Was sagt die Ombudsstelle?
Die Ombudsstelle unterstützt die Beanstandung. Dies trotz der zeitnahen Anpassung der News-Sendung nach interner publizistischer Diskussion. Anders als die Redaktion sieht es die Ombudsstelle mit Blick auf die publizistischen Leitlinien als geboten, die Nationalität sowie den Umstand, dass es sich um einen Asylbewerber handelte, zu nennen. Sie verweist auf den entsprechenden Passus der Leitlinien: «Wir müssen darauf achten, dass wir keine Vorurteile fördern und deshalb den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung abwägen. Umgekehrt dürfen wir Tatsachen nicht einfach ignorieren und uns so dem Vorwurf des Vertuschens aussetzen: Die Nationalität oder die ethnische Zugehörigkeit von Täterinnen, Tätern oder Opfern soll erwähnt werden, wenn sie im Zusammenhang mit dem Delikt bedeutsam ist, die Tat besser zu verstehen hilft und ein begründetes öffentliches Interesse am Hintergrund der Täterschaft besteht»
Wie vom Beanstander festgestellt, habe es sich bei der Geiselnahme im Kanton Waadt um ein aussergewöhnlich schweres Verbrechen gehandelt. Schon deshalb sei es angebracht, die Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft möglichst umfassend wiederzugeben.
Weiter kam hinzu, dass im Beitrag zwar das Alter des Täters genannt wurde, gleichzeitig aber angegeben wurde, die Identität des Geiselnehmers sei noch nicht bestätigt. Aufgrund der konkreten Personenbeschreibung seitens der Behörden hätte die Redaktion aber davon ausgehen können, dass die Identität des Geiselnehmers bekannt gewesen war – ansonsten wären so detaillierte Angaben gar nicht möglich gewesen.
Trotz der zeitnahen Anpassung der Berichterstattung stellt die Ombudsstelle deshalb einen Verstoss gegen das Sachgerechtigkeitsgebot für den Beitrag um 5:30 Uhr fest.
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