100 Jahre Welttheater: Geschichten, die das Jubiläum schreibt

Eine SRF-Dok begleitete die Entstehung der Jubiläumsausgabe des Einsiedler Welttheaters über mehrere Monate hinweg. Die Filmschaffenden Nicole Salathé und Richard Herold erzählen, wie es war, ins Universum der Menschen hinter dem Freilichtspektakel einzutauchen.

Seit 1924 verwandelt ein riesiges Freilichtspiel alle paar Jahre den beschaulichen Wallfahrtsort Einsiedeln im Kanton Schwyz in eine Theaterbühne. Auf dem Platz vor dem beeindruckenden Kloster spielen rund 200 Laienschauspielende Pedro Calderòn de la Barcas «El gran teatro del mundo». Die diesjährige Fassung des Stücks stammt aus der Feder von Lukas Bärfuss, Regie führt Livio Andreina.

Wer sich für das Einsiedler Welttheater engagiert, gehört zum sogenannten Spielvolk. Es umfasst in diesem Jahr rund 500 Personen. Sie proben, nähen Kostüme, zimmern Bühnenbilder, legen Hand an in der Maske. Es sind diese Menschen, die im Fokus von Nicole Salathé und Richard Herolds neuer SRF-Dokumentation stehen. Die Filmschaffenden stöberten dafür im Archiv des Vereins, besuchten Proben und sprachen mit den Einsiedler:innen über die Bedeutung des Grossevents für sie und die Dorfgemeinschaft.

Das Welttheater: Eine Generationengeschichte

«Das Welttheater ist wie ein Zug: Es braucht viel Aufwand, bis es in Fahrt kommt. Aber ist es einmal in Bewegung, entsteht eine grosse Dynamik. Bei der Umsetzung des Films spürten wir zunehmend Freude und Motivation in Einsiedeln», erzählt Herold im Vorfeld der Premiere des Freilichttheaters.

«Das Welttheater wird seit 100 Jahren immer von den Älteren an die Jüngeren weitergegeben.»

Richard Herold, Dokfilmer SRF

Kollegin Salathé hatte die Protagonist:innen für den Film Salathé bereits zum Zeitpunkt der Rollenverteilung ausgewählt. «Die Selektion der Geschichten geschah in enger Absprache mit den Verantwortlichen des Welttheaters. Denn die Auswahl war eine Herausforderung, es hätte 1000 gute Geschichten gegeben», erzählt Salathé. Ziel war es, verschiedene Perspektiven auf den Freilichtevent zu werfen. Herold, der etwas später zum Filmprojekt dazustiess, sagt: «Interessant war für uns beispielsweise der generationsübergreifende Aspekt der Veranstaltung: Das Welttheater wird seit 100 Jahren immer von den Älteren an die Jüngeren weitergegeben.» Die Leute werden älter, die existeniellen Fragen des Stücks bleiben bestehen.

Diesen Prozess zeigt die SRF-Dokumentation am Beispiel von Samuel und dessen Grossvater. Letzterer spielt bereits zum achten Mal beim Welttheater mit, für seinen 13-jährigen Enkel ist die diesjährige Aufführung die Premiere. «Uns interessierte: Wie ist der Welttheater-Funke übergespungen und wie verbringen die beiden sonst gemeinsam Zeit, welche Dynamiken bestehen in dieser Beziehung?», erzählt Salathé. Die beiden würden oft gemeinsam Golfen. «Es gibt von dort her ein gewisses Konkurrenzdenken zwischen ihnen», so die Filmemacherin. Auch beim Theaterspielen: «Sie betrachteten auch die Proben als eine Art sportlichen Wettkampf.»

Gleichzeitig ist die Story des 13-jährigen Einsiedlers auch eine Coming-of-Age-Geschichte. So führt Salathé aus: «Samuels Mutter sagte uns, der Anlass beflügle ihn richtiggehend. Er hat eine riesige Entwicklung durchgemacht in der Zeit, in der er sich auf die Aufführungen vorbereitete.» Und Herold ergänzt: «Man spürt im Gespräch, dass er sehr reflektiert ist für sein Alter. Das ist beeindruckend.»

«Ein beeindruckendes, bildgewaltiges Spiel.»

Nicole Salathé, Dokfilmerin SRF

Auch interessieren sich die Filmschaffenden für die Beweggründe hinter dem Engagement für den Event. «Den Grund finden die allermeisten in der Gemeinschaft, die hier entsteht. Zusammen etwas zu kreieren ist ihnen mindestens so wichtiger, wie das, wasam Ende auf der Bühne zu sehen ist», so Salathé. Auch deshalb sei das Welttheater in Einsiedeln die wohl beste Gelegenheit, sich im Dorf zu integrieren. Herold sagt: «Für Zugezogene ist das Welttheater das Tor zur Gemeinschaft, für Rückkehrer:innen die Möglichkeit zur Auffrischung der Kontakte. Wer mitmacht, gehört schnell dazu.»

Geschichten statt Aufführung

Anderen aber bedeutet auch der Inhalt des Stückes viel. Etwa Rosmarie Oechslin, die schwer krank ist und deren Teilnahme am Welttheater deshalb lange unsicher war – und noch immer ist. Die Premiere hat sie aber geschafft. Der Wunsch nach dem Auftritt am Welttheater war für sie über die ganze Probenzeit möglicherweise ein Motivator, ihre Leidenschaftgab ihr Kraft, erzählen die Filmschaffenden. Oechslin spielt im Welttheater die Rolle der sterbenden Emmanuela. «Wenn eine schwerkranke Person in ihrer Rolle im Stück erfährt, dass die Welt sich auch ohne sie weiterdrehen wird, geht das schon unter die Haut», sagt Salathé.

Die Aufführungen des Welttheaters finden während dem ganzen Sommer statt. Die Welt ist eine Bühne, die Theaterbühne in Einsiedeln wird zur Welt. «Ein beeindruckendes, bildgewaltiges Spiel», sagt Salathé. «Was das Produktionsteam zusammen mit hunderten von Freiwilligen auf die Beine gestellt hat, ist grossartig.»

«Kulturplatz»: Welttheater Einsiedeln Spezial

«Kulturplatz» rollt die 100-jährige Geschichte auf, gräbt im Archiv, birgt Anekdoten, erinnert sich mit Menschen, die seit Jahren zum «Spielvolk» gehören an Skurriles und Unvergessliches und begleitet Alte und Junge, vom Schicksal Heimgesuchte und Lebenshungrige bis zum grossen Auftritt.

Ausstrahlung: Im Stream auf Play SRF

Text: SRG.D/pz

Bild: KEYSTONE/Urs Flueeler

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