«Starker Journalismus ist die Brandmauer gegen Desinformation»
Die Stiftung Mercator Schweiz setzt sich ein für eine zukunftsfähige Demokratie. Riccardo Ramacci vom Stiftungsteam spricht darüber, warum das Thema Medienkompetenz in der digitalisierten Welt immer wichtiger wird – und welche Rolle der Journalismus dabei einnehmen muss.
Riccardo Ramacci, die Stiftung Mercator Schweiz hat sich den Lösungen für die grossen Herausforderungen für Gesellschaft und Demokratie verschrieben: Klimakrise, Chancenungleichheit, digitaler Wandel. Seit wann gehört auch die Nachrichtenkompetenz zu den zentralen Themen?
Seit rund viereinhalb Jahren setzen wir uns intensiv mit der Thematik auseinander. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft sind enorm, die Herausforderungen, die damit einhergehen, sind sehr gross. Die transformative Krise der Medien spielt in der Entwicklung von destabilisierender Desinformation im Netz eine zentrale Rolle. Uns war bald klar, dass es in der Medienkompetenzförderung konkrete Massnahmen braucht. So haben wir gemeinsam mit Partnerorganisationen den Newstest entwickelt. Dieser ist nun seit Herbst 2023 online verfügbar.
Zum Newstest
Zum Newstest
Der digitale Selbsttest newstest.ch ist ein Projekt von SRG Public Value, dem Verein Politools, dem Medieninstitut des Verbands SCHWEIZER MEDIEN (VSM) und der Stiftung Mercator Schweiz. Der Newstest erlaubt die Überprüfung der eigenen Fähigkeiten im Umgang mit Nachrichten im Internet.
Was kann der Newstest – und wo kommt er an Grenzen?
Der Newstest gibt den Ist-Zustand sehr gut wieder. Er zeigt auf, wie gut die eigenen Einschätzungen im Netz sind oder wie anfällig jemand für Desinformation sein könnte. Der Newstest ist aber für sich allein weder ein Trainingstool, das die Medienkompetenzen spezifisch schult, noch ist er ein Faktencheck für Inhalte, die sich im Web finden lassen.
Wo weisen die Nutzer:innen die grössten Defizite in puncto Medienkompetenz auf?
Die Auswertung der bisherigen Antworten hat unter anderem gezeigt, dass vor allem das sogenannte Native Advertising oft nicht als Werbung erkannt wird. Das sind werberische Inhalte, die auf Nachrichtenplattformen geschaltet werden und vom Erscheinungsbild her den redaktionellen Beiträgen ähnlichsehen. Offenbar merken viele Nutzer:innen nicht, dass es sich dabei nicht um unabhängig erarbeitete, journalistische Artikel handelt, sondern um Inhalte von Dritten mit Eigeninteressen.
Sie sagen, der Newstest ist kein Trainingstool. Braucht es also weiterführende Angebote?
Ja, auch weil sich das Feld der Medienkompetenz stets wandelt, da die Technologien und die Plattformen sich verändern. So deckt der Test das Thema Künstliche Intelligenz zwar ab, ist mit den gewählten Beispielen aber nicht mehr auf dem technologisch neusten Stand. Hier passieren die Entwicklungen einfach zu schnell. Dieses Dilemma zeigt aber auch, dass die Ausrichtung des Newstests richtig ist. Gerade die Bild- und Videomanipulation werden nämlich künftig immer wichtiger in Bezug auf die Desinformationsthematik.
Braucht es vor allem Massnahmen für Kinder und Jugendliche?
Das Alter ist ein unpräzises Kriterium für Medienkompetenz. Aus unserer Sicht braucht die Gesamtbevölkerung mehr einordnendes Orientierungswissen, denn die Herausforderungen von Desinformationen im digitalen Raum betreffen heute alle. Schulen können aber sehr direkt unterstützt werden, indem wir Lehrmittel bereitstellen oder Peer-to-Peer-Angebote, bei denen ältere Schüler:innen mit jüngeren Klassen über die Herausforderungen sozialer Medien sprechen.
Wie fördert man die Medienkompetenz der restlichen Bevölkerung?
Das ist schwierig. Hier versuchen wir, Unternehmen miteinzubeziehen. Die Wirtschaft kann über konkrete Weiterbildungsprogramme für ihre Mitarbeitenden eine wichtige Förderin von Nachrichtenkompetenzen sein. Zusätzlich braucht es eine digitalpolitische Regulierung. Die EU kennt den Digital Service Act, der den grossen sozialen Medien mehr Pflichten auferlegt und die Rechte der Nutzenden stärkt. Auch der Schweizer Bundesrat wird in naher Zukunft eine ähnliche Gesetzgebung vorschlagen. Die Hoffnung ist, dass die Plattformen, sprich vor allem die Sozialen Medien, in die Verantwortung genommen werden, stärker gegen Fehl- und Desinformation vorzugehen.
Was ist hier die Rolle des Journalismus?
Starker Journalismus ist die Brandmauer gegen die Desinformation. Faktencheck ist die Basis des Berufsfelds. Seriöse Medien sollten nach Möglichkeit auf den bestehenden Plattformen präsent sein und sich einbringen. Gleichzeitig sollte aber die Diskussion über alternative Plattformen für konstruktive politische Debatten und gesicherte Informationen geführt werden. Was nutzt es User:innen, wenn sie wissen, dass Social Media voller Desinformation ist, wenn keine Alternativen bestehen? Die Herausforderung ist am Ende natürlich, eine solche Plattform langfristig zu finanzieren und einen grossen Nutzerstamm aufzubauen.
Auch hier hilft die Stiftung Mercator Schweiz.
Im Juli haben wir gemeinsam mit anderen Stiftungen aus Europa den Media Forward Fund lanciert. Dieser ist bis jetzt über 6 Millionen Franken dotiert, wobei wir ihn auf mindestens 25 Millionen bringen wollen. Die finanziellen Mittel werden zur Unterstützung neuer tragfähiger Geschäftsmodelle im Journalismus eingesetzt, insbesondere zur Förderung des Regionaljournalismus. In diesem Bereich bietet die Digitalisierung eine grosse Chance. Ein Beispiel ist der «Crowdnewsroom», der von dem Investigativ-Recherchemedium Correctiv Schweiz entwickelt wurde. In diesem Konzept hilft die Web-Community einer Redaktion bei der Recherche zu Fragen wie: Wo existieren besonders gefährliche Schulwege? Wie entwickeln sich die Mieten in einem bestimmten Stadtteil? Die Informationen aus der Community ergeben schliesslich interessante und relevante Inhalte für die Lesenden, gleichzeitig erhöht sich durch die Partizipation die Verbundenheit mit dem Medium und dadurch der Wille, das Medium zu unterstützen.
Die Stiftung Mercator Schweiz ist in der neu gegründeten Dachorganisation für Nachrichtenkompetenz «Use The News Schweiz» dabei. Was verspricht man sich von dieser Initiative?
Mit «Use The News Schweiz» sollen Innovationen und Projekte, die sich gegen Falschinformation und zur Förderung der Nachrichtenkompetenz einsetzen, gebündelt werden. Das umfasst neben konkreten Massnahmen auch Forschungsprojekte. Immer mit dem Ziel, die Demokratie zu stärken und resilienter zu gestalten.
Weiterführende Texte zum Engagement der Stiftung Mercator Schweiz im Bereich Journalismus und Demokratie
Weiterführende Texte zum Engagement der Stiftung Mercator Schweiz im Bereich Journalismus und Demokratie
Kommentar
Kommentarfunktion deaktiviert
Uns ist es wichtig, Kommentare möglichst schnell zu sichten und freizugeben. Deshalb ist das Kommentieren bei älteren Artikeln und Sendungen nicht mehr möglich.