SRG Dialog: Ein Debattierclub für die Schweiz
Seit rund einem Jahr geht die SRG auf Tuchfühlung mit der Bevölkerung. Das Pilotprojekt «dialog» ermöglicht Diskussionen zu aktuellen Themen über die Sprachgrenzen hinweg und führt regelmässig Umfragen zur Schweizer Befindlichkeit durch. Projektleiter Marco Morell erklärt, warum das Angebot zum medialen Service public gehört – und wie er die Dialog-Community bisher erlebt.
Zur Person
Marco Morell ist langjähriger Journalist bei SRF. Er war unter anderem als Chef vom Dienst bei der Chefredaktion Audio von SRF tätig. Er leitet das SRG-Pilotprojekt «dialog», das bis Ende 2025 befristet ist. Das Projekt wird von der Chefredaktorenkonferenz (CRK) der SRG verantwortet. Die Debattenplattform «dialog» wird von einem rund zehnköpfigen Team betreut.
Marco Morell, seit rund einem Jahr betreibt die SRG nun die Plattform «dialog». Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Ein neues Angebot im digitalen Raum zu lancieren, braucht Zeit und Ausdauer. Und man muss sich flexibel zeigen. So haben auch wir rasch einige Anpassungen umgesetzt, mit denen es uns gelungen ist, dass immer mehr Menschen auf unserer Plattform aktiv sind. Dieses wachsende Interesse am Austausch freut uns.
Welche Anpassungen wurden vorgenommen?
Anfänglich publizierten wir einmal pro Woche Inhalte. Die Idee war, dass wir so einen klaren Themenfokus setzen können. Die Kehrseite dieser Strategie ist, dass in der Zeit dazwischen verhältnismässig wenig passiert. Also brachen wir dieses etwas starre Konstrukt auf. Heute verteilen wir die Inhalte besser, ausserdem ist «dialog» häufiger präsent auf den digitalen Newsplattformen der SRG. So verbreiten sich unsere Diskussionsthemen wirklich breit in der Bevölkerung.
Wer definiert die Debattenthemen?
Wir als Team definierten bisher die Themen. Wir orientierten uns hier an aktuellen Geschehnissen sowie den Schwerpunkten der SRG-Unternehmenseinheiten. Aber es ist für Nutzerinnen und Nutzer auch möglich, Themenvorschläge einzugeben. Die «dialog»-Community kann darüber abstimmen, welche Fragen sie besonders interessieren. Solche Vorschläge werden künftig vermehrt auf der Plattform zur Diskussion vorgebracht.
Warum fördert die SRG die Schweizer Diskussionskultur überhaupt?
Eine freie und fundierte Meinungsbildung in der Schweiz zu ermöglichen, ist Aufgabe der SRG und Teil des medialen Service public. Mit «dialog» haben wir ein in der Schweiz einzigartiges Angebot geschaffen: Wir sind die einzige Austauschplattform in der Schweiz mit Fokus auf Mehrsprachigkeit. Dank Übersetzungsfunktionen ist ein Meinungsaustausch zwischen Nutzerinnen und Nutzern aus der Deutschschweiz, der Romandie, dem Tessin und den rätoromanischen Gebieten der Schweiz problemlos möglich. Und nicht zuletzt können auch im Ausland lebende Schweizerinnen und Schweizer mitreden.
«Im Kern ist der Meinungsaustausch bei uns konstruktiv und respektvoll.»
Sind in der Debattenkultur Unterschiede zwischen den Sprachregionen der Schweiz zu erkennen?
Nein, der multilinguale Diskurs funktioniert sehr gut. In der Tonalität weichen die Beiträge aus den verschiedenen Gebieten der Schweiz vielleicht etwas voneinander ab. Aber diese kulturelle Vielfalt ist ja gerade eine grosse Stärke der Schweiz. Im Kern ist der Meinungsaustausch bei uns konstruktiv und respektvoll.
Das ist einigermassen verwunderlich, denn «dialog» scheut ja auch emotionale Reizthemen nicht. Wie schafft man es da, dass die Diskussion sachlich bleibt?
Eine erste kleine Hürde ist das SRG-Log-in. Nur angemeldete Userinnen und User können Kommentare verfassen. Das verhindert vielleicht den einen und anderen Schnellschuss aus einer Emotion heraus. Anders als eine klassische Kommentarspalte ist unsere Plattform zudem spielerischer: Man bezieht Position, kann anderen für ihre Beiträge applaudieren und findet auch sonst ein breites Spektrum an Interaktionsmöglichkeiten. Wir als Team nehmen dabei eine sehr aktive Moderationsfunktion wahr und lenken die Debatte zurück auf die Sachebene, wenn es einmal auszuufern droht. Das zahlt sich aus: Die Rate der akzeptierten Kommentare bei uns liegt bei über 96 Prozent. Dieser Wert ist im Vergleich zu anderen Plattformen sehr hoch.
Dafür ist das Publikationstempo für Beiträge vergleichsweise langsam. Bis zur Veröffentlichung eines Kommentars kann es bis zu 24 Stunden dauern, am Wochenende gar länger. Wie kommt das?
Wir sind ein kleines Team. Wir prüfen jeden Kommentar darauf, ob er unseren Spielregeln entspricht. Sämtliche Beiträge werden ausserdem automatisch in alle Landessprachen und auf Englisch übersetzt. Wir prüfen diese Übersetzungen zusätzlich, damit der Sinn auch korrekt wiedergegeben ist. Dass dies Zeit braucht, scheint die Nutzerinnen und Nutzer aber nicht zu stören. Die Diskussionen bei uns werden dennoch über längere Zeit angeregt geführt.
Die «dialog»-Plattform bietet ihrer Community auch redaktionelle Inhalte aus den verschiedenen SRG-Unternehmenseinheiten an. Fördert auch dies die konstruktive Diskussion?
Das ist gut möglich. Wir nennen diese Beiträge bei uns die «SRG-Perlen», es sind besonders aufwendig recherchierte Geschichten oder Beiträge, die ein aktuelles Thema in den Fokus rücken. Sie werden übersetzt, um so für alle gleichermassen zugänglich zu sein. Sie bieten jeweils Einordnung in der Debatte.
«Wir glauben, dass wir die Bevölkerung inzwischen gut spüren.»
«dialog» hat neben der Diskussion auch das Ziel, den Puls der Gesellschaft in der Schweiz zu spüren. Gelingt das?
Wir glauben schon, dass wir die Bevölkerung inzwischen gut spüren. Aber inwiefern unsere Debatten die tatsächliche Meinungslandschaft der Schweiz abbilden, können wir nicht sagen. Das hat auch mit dem Datenschutz zu tun: Wir erheben nur so viele persönliche Angaben wie nötig. Für das Log-in wird neben dem Namen nur eine E-Mail-Adresse verlangt. Wir können also nicht auswerten, wo unsere Nutzerinnen und Nutzer zu Hause sind, wie alt sie sind oder welchem politischen Spektrum sie sich zugehörig fühlen. Entsprechend ist es nicht möglich, zu sagen, ob unsere Nutzerinnen und Nutzer repräsentativ sind für die ganze Schweiz.
Für ein repräsentatives Bild der Schweiz sind die «dialog»-Umfragen da.
Genau. Einmal pro Jahr führen wir gemeinsam mit dem Umfrageinstitut gfs die repräsentative Umfrage «Wie geht’s, Schweiz?» durch, die das Befinden in der Schweiz zu verschiedenen Themen von Politik bis zum alltäglichen Leben untersucht. Im letzten Jahr nahmen daran fast 60 000 Leute teil, in diesem Jahr sind es wieder über 50 000. Die Resultate der Studie stehen allen SRG-Redaktionen offen, diese sind frei in der Verarbeitung dieser Daten.
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