Gerichtsfall Gisèle Pelicot: Titel von Online-Artikel war sachgerecht

SRF News berichtete über den Missbrauchsprozess in Avignon im Fall Gisèle Pelicot. Eine Beanstanderin stört sich am Titel des Artikels, wonach das Opfer Gisèle Pelicot ihre Vergewaltiger am Pranger haben möchte. Die Ombudsleute haben Verständnis für die Sichtweise der Beanstanderin, sehen jedoch keinen Verstoss gegen die Sachgerechtigkeit.

Darum geht es in der beanstandeten Sendung

Thema des Online-Beitrags von SRF News vom 19. September 2024 ist der anfangs September begonnene Missbrauchsprozess in Avignon gegen die Vergewaltiger von Gisèle Pelicot. Die Französin wurde neun Jahre lang immer wieder von ihrem Ehemann betäubt und von ihm sowie von Dutzenden fremden Männern vergewaltigt. Im Zentrum des Artikels steht, warum Gisèle Pelicot sich dazu entschieden hat, den mehrmonatigen Gerichtsprozess öffentlich durchführen zu lassen.

Was wird beanstandet?

Die Beanstanderin stört sich vor allem am Titel des Online-Artikels: «Gisèle Pelicot will ihre Vergewaltiger am Pranger». Mit dem Bild vom Pranger passiere eine «Täter-Opfer-Umkehr», findet die Beanstanderin. Der Pranger, an den Menschen etwa im Mittelalter gestellt worden seien, sei eine drakonische Strafe, von der zivilisierte Menschen absehen würden. Dem Opfer werde somit vorgeworfen, es wolle die Täter beschämen durch mittelalterliche Methoden, so die Beanstanderin. Frau Pelicot habe keine wirklichen Wahlmöglichkeiten gehabt: Wenn sie die Taten dem richterlichen Berufsgeheimnis unterstelle, würde sie die Täter schützen. Mit einem öffentlichen Prozess gebe sie sich nackt und in ihrer Intimsphäre aufs Äusserste verletzt der Öffentlichkeit preis. Der Titel lasse vergessen, dass Gisèle Pelicot selber am Pranger stehe und in ihrer Intimität vorgeführt werde.

Was sagt die Redaktion?

Weil sie ihren Kampf öffentlich austrage, werde Gisèle Pelicot in Frankreich als Ikone des Feminismus gefeiert, schreibt die für den Online-Artikel zuständige Redaktion in ihrer Stellungnahme. Gisèle Pelicot wolle, dass die angeklagten Männer während des Prozesses öffentlich für ihre Taten hinstehen müssen. Dies werde im Online Beitrag – sowie im dazugehörigen Podcast von «News Plus»– genau so dargestellt und eingeordnet.

Der Titel des Artikels sei im Sinne der Deutung des «Dudens» gewählt worden: Ein Pranger ist eine «Stelle auf einem öffentlichen Platz mit einem Pfahl, einer Säule, wo jemand wegen einer als straf-, verachtenswürdig empfundenen Tat angebunden stehen muss und so der allgemeinen Verachtung ausgesetzt ist». Bei der Redewendung «jemanden an den Pranger stellen» setze man ihn dem Tadel, Vorwurf, der Kritik bzw. der allgemeinen Verachtung aus.

Gisèle Pelicot wolle, dass die Männer im Gerichtssaal ihre gefilmten Taten öffentlich ansehen müssten, dass ihre Taten bekannt würden und die Unschuldsbeteuerungen der Täter zunichte gemacht würden, so die Redaktion. In den meisten Fällen von Vergewaltigungen fehlten Beweise. Dies sei im vorliegenden Fall anders, wo alles gefilmt und detailliert dokumentiert worden sei. Deshalb möchte Gisèle Pelicot die Beweise öffentlich zeigen. Sie widme diesen Prozess allen Opfern sexualisierter Gewalt. Damit ist in den Augen der Redaktion das Bild, dass die Vergewaltiger öffentlich dem Tadel, der Kritik ausgesetzt seien, gerechtfertigt.

Was sagt die Ombudsstelle?

Die Ombudsleute können den Ausführungen der Beanstanderin, die mit dem Titel des Artikels unzufrieden ist, weitgehend folgen. Der Beitrag werde jedoch der Tragik des Falls und den Gisèle Pelicot zugefügten Verletzungen gerecht. Die Absichten, welche Gisèle Pelicot mit dem öffentlichen Gerichtsprozess verfolge, würden positiv dargestellt.

Unter dem Begriff «Pranger» werde im allgemeinen Sprachgebrauch meist nicht die mittelalterliche Prangerstrafe verstanden und mit einem Schandpfahl im öffentlichen Raum assoziiert, stellen die Ombudsleute fest. Vielmehr gehe es mit der Verwendung der Redewendung «an den Pranger stellen» im heutigen Sprachgebrauch generell darum, ein fehlbares oder strafbares Verhalten öffentlich zu machen.

Es sei unbestritten, dass ein «öffentliches Vorzeigen» heute nicht mehr als offizielle staatliche Bestrafung angewandt werde – vor allem auch aus Gründen der künftigen Resozialisierung von Tätern. Dennoch gebe es auch Konstellationen, in denen es für die Opfer von Straftaten wichtig sei, wenn Täter auch vor der Öffentlichkeit zu ihren Taten stehen und dafür Verantwortung übernehmen müssten. Genau das habe Gisèle Pelicot gewünscht. Sie werde für ihre Haltung und den damit verbundenen Mut gelobt, so die Ombudsleute.

Zwar hätte die Redaktion anstelle des Begriffs «Pranger» ebenso gut eine andere Formulierung wählen können, finden die Ombudsleute. Doch eine durchschnittliche Leserin bzw. ein durchschnittlicher Leser würde den Titel kaum als negative Umschreibung von Gisèle Pelicots Verhalten auffassen und darin eine Täter-Opfer-Umkehr erkennen. Die Ombudsleute sehen keinen Verstoss gegen das Sachgerechtigkeitsgebot.

Text: SRG.D/dl

Bild: SRG.D/Illustration Cleverclip

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