Stefanie Hablützel: «Mir ist wichtig, dass Journalismus Wirkung zeigt»

Am 14. November verleiht die SRG Ostschweiz ihren jährlichen Radio- und Fernsehpreis der Ostschweiz und Graubünden. Die diesjährige Gewinnerin: Stefanie Hablützel. Die Investigativjournalistin hat in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Recherchen gezeigt, wie wichtig kritischer und hartnäckiger Regionaljournalismus ist.

Zur Person

Stefanie Hablützel (*1975) ist Journalistin für Audio und Text. Als freie investigative Journalistin realisiert sie Recherchen für verschiedene Medien. 2010 bis Juni 2023 war sie SRF-Redaktorin und Produzentin für das «Regionaljournal Graubünden» (50%) und berichtete regelmässig aus Graubünden für nationale Sendungen.

Stefanie Hablützel, seit 1938 steht auf dem Friedhof Daleu in Chur ein Denkmal der Nationalsozialisten. Ihre SRF-Recherche, die im Januar 2023 publik wurde, erhielt nicht nur grosse Aufmerksamkeit, sondern hatte auch Folgen: Die Bündner Politik beschloss eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen und faschistischen Geschichte in Graubünden. Wie sind Sie auf das Thema gestossen?

Am Anfang stand ein tagesaktueller Bericht fürs Regionaljournal Graubünden von Radio SRF. Ich traf den Journalisten und Historiker Hansmartin Schmid auf dem Friedhof Daleu, um über sein neues Buch «Churer Grabmäler» zu sprechen. Ein Thema beim Rundgang war auch dieses Kriegerdenkmal. Schmid erzählte mir, dass hier deutsche Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg begraben seien. Ein deutscher Mitarbeiter der Churer Bildhauerfirma, die den Auftrag für das Denkmal hatte, sei NSDAP-Mitglied gewesen. Ich wurde stutzig. Ein Denkmal für den Ersten Weltkrieg, das erst 1938, also fast 20 Jahre später, erbaut wurde? Die Recherche ergab dann, dass das Monument Teil eines Heldenkults war, mit dem Hitler den Krieg legitimierte.

Wo stiessen Sie bei der Recherche auf Schwierigkeiten?

Es gab kaum Literatur zum Denkmal, deshalb habe ich in diversen Archiven nachgeforscht, darunter auch solche in Deutschland. Trotzdem blieben verschiedene Fragen offen. Für weitere Erkenntnisse hätte ich wohl nach Berlin reisen müssen, um die dortigen Archive zu durchforsten. Das hätte jedoch den Rahmen dieser bereits sehr aufwändigen Recherche gesprengt.

Dass Sie sich in Archiven tummeln, dürfte eher die Ausnahme sein, denn Sie befassen sich meist mit aktuellen Themen. Ich denke da etwa an die Aufarbeitung der Gefahrenbeurteilung beim Bergsturz von Bondo. Wo liegen die Herausforderungen bei solchen Recherchen?

Bergkantone wie Graubünden sind kleinräumig organisiert. Die Menschen leben und arbeiten oft im gleichen Tal. Sich öffentlich zu einem Missstand zu äussern, ist riskant, weil persönliche und berufliche Nachteile drohen. Ich verstehe das. Den Preis, den Whistleblower:innen zahlen, ist in der Schweiz zu hoch. Hier muss die Politik nachbessern und sie besser schützen.

«Während Interviews werden Personen konsequent gesiezt.»

Sie sind seit vielen Jahren im Kanton Graubünden tätig und leben auch hier. Wie gehen Sie mit der persönlichen Nähe zur Politik um?

Es lässt sich nicht vermeiden, dass man mit den Jahren mit den Leuten per Du ist. Aktiv biete ich es niemandem an, doch nehme es grundsätzlich an. Auch mit dem Gedanken, dass Vertrauen hilfreich sein kann bei späteren Gesprächen. Einen Bogen mache ich um offerierte Mittag- und Abendessen, beispielsweise nach Medienkonferenzen. Mit dem Weinglas in der Hand fehlt bald die Distanz und es wird schwierig kritische Fragen zu stellen. Was SRF praktiziert und ich als gute Strategie erlebe, um die nötige Distanz zu wahren: Während Interviews werden Personen konsequent gesiezt. Das mache ich nicht nur bei Radiointerviews, sondern auch bei Gesprächen für Print-Publikationen.

Welche Rolle spielt das Öffentlichkeitsprinzip bei Ihren Recherchen?

Es ist ein sehr wichtiges Instrument um faktenbasiert berichten zu können. Dank dem Öffentlichkeitsgesetz kann ich Protokolle, Mails oder Berichte von Behörden einsehen. Solche Dokumente ermöglichen einen erhellenden Blick hinter den Vorhang der Verwaltung. Im Falle des Bergsturzes von Bondo brachten Mails Frappierendes zutage. Nämlich, dass es vor und nach der Katastrophe unterschiedliche Einschätzungen gab. Das waren wichtige Hinweise, die im Justizverfahren vor der Publikation im Beobachter keine Rolle gespielt haben.

Erfahren Sie während Ihrer Arbeit auch Anfeindungen?

Es kommt sehr selten vor, dass jemand feindselig reagiert. In diesem Jahr passierte mir das zwei Mal, einmal am Telefon, einmal per Mail. In der Regel handelt es sich um Menschen, die sich sehr kritisch zu einer geplanten Publikation äussern und die Berichterstattung nicht für angemessen halten.

Wie gehen Sie damit um?

Bei einem solchen Telefonat versuche ich zuerst, die ersten 30 Sekunden zu überstehen. Wenn das klappt, ist ein Gespräch oft möglich. Natürlich sind solche Momente, in denen Gesprächspartner:innen emotional reagieren, nicht schön. Doch es sind gleichzeitig interessante Situationen, in denen ich bewusst versuche, mit einem professionellen Ohr zuzuhören. Es sind jeweils Chancen, meine Sicht der Dinge zu reflektieren. Was kritisiert mein Gegenüber genau? Habe ich einen blinden Fleck? Das dient der Qualität einer Recherche. Es heisst aber nicht, dass ich eine Publikation deshalb nicht mache.

Aufwendige Recherchen benötigen viel Zeit. Wie gelingt es Ihnen, hartnäckig dranzubleiben?

In der Öffentlichkeit wird manchmal unterschätzt, wie anspruchsvoll das Handwerk des Investigativjournalismus tatsächlich ist. Die Leute sehen einen Artikel und glauben, dieser beruhe auf einem einzigen Hinweis. Doch bei den wenigsten Geschichten ist von Anfang an klar, was Sache ist. Es braucht Gespräche mit Expert:innen sowie Betroffenen, manchmal lese ich hunderte Seiten teils komplizierter Dokumente. Trotzdem sehe ich auch dann oft nur einen Teil des Eisbergs. Solche Recherchen benötigen viel Knowhow, Denkarbeit, genügend Zeit und erfahrene Sparringpartner:innen in der Redaktion. Aus diesem Grund braucht es eine solide Finanzierung, sonst rechnet sich das schlicht nicht. Als Beispiel: Die Recherche zum Nazi-Stein zog sich über mehrere Monate und war nur möglich dank der finanziellen und inhaltlichen Unterstützung von SRF Investigativ.

Sie betreiben faktenbasierten Journalismus. Spielt das Bauchgefühl trotzdem eine Rolle?

Ich würde weniger vom Bauchgefühl sprechen als von Emotionen. Vor allem am Anfang und am Schluss einer Geschichte sind sie wichtig. Was kommt bei mir emotional an? Unter welchem Druck stehen die Leute, wie gross sind die Sorgen? Lohnt es sich, dranzubleiben? Gegen Ende einer Recherche erlebe ich manchmal ein ungutes Bauchgefühl. Stimmt eine Zahl tatsächlich? Ist ein Wort richtig gewählt? Da lohnt es sich, Gefühle zu beachten.

Auf welche Publikationen sind Sie stolz?

Mir ist wichtig, dass Journalismus Wirkung zeigt. Die Geschichte zum Denkmal der Nationalsozialisten hat in Graubünden eine Debatte über den Blick auf die Vergangenheit angestossen. Bei der Recherche zum Bergsturz von Bondo steht die Justizkontrolle im Vordergrund – die klassische Funktion der Medien als vierte Gewalt im Staat. Diese Berichterstattung trug dazu bei, dass nun ein unabhängiges Gutachten auf dem Tisch liegt und der Fall vor ein Gericht kommt. Stolz macht mich, dass mir die Angehörigen der Opfer das Vertrauen geschenkt und ihre Geschichte erzählt haben.

Was wünschen Sie sich von Medienhäusern im Umgang mit Investigativ-Journalismus?

Redaktionen könnten sich überlegen, wie sie ihren Journalist:innen grössere Recherchen ermöglichen. Ich glaube, es lohnt sich, eine gewisse Anzahl Tage pro Jahr zu gewähren, um an investigativen Geschichten zu arbeiten. Das führt zu neuem Knowhow in der Redaktion, es macht Stellen attraktiver und das Publikum schätzt es.

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Text: Valeria Wieser

Bild: SRF

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