«September 5»: Von der Macht der Fernsehbilder

Der Film «September 5» des Schweizer-Autors Tim Fehlbaum ist nominiert für die Oscars. Thema ist Journalismus und Fernseharbeit – packend dargestellt an einem wahren historischen Ereignis. Wir sprechen mit dem über seinen Film und warum die journalistischen Themen immer noch aktuell sind.

Tim Fehlbaum und seine Werke

«November 5», aktuell in den Schweizer Kinos, ist der dritte Spielfilm von Tim Fehlbaum nach «Hell» und «Tides». Ersterer wurde von SRF, letzterer von SRF und der SRG co-produziert. Der Entscheid zu den Oscars findet am 2. März statt.

Solothurner Filmtage, es läuft der Film «September 5» des Basler Regisseurs Tim Fehlbaum. Und genau während der Projektion platzt die Breaking News aus Los Angeles herein: «September 5» ist bei den Oscars in der Kategorie «Bestes Drehbuch» nominiert!

Denkwürdig ist das, weil dies Schweizer Filmschaffende sehr selten schaffen. Und besonders ist das Thema des Films speziell für jene, welche sich für das Medium Fernsehen und Journalismus interessieren.

Der Film erzählt, was sich am 5. September 1972 im Regieraum des amerikanischen TV-Senders ABC während der Olympischen Spiele in München abgespielt hat. Das war jener Tag, als die ABC-Sportredaktion plötzlich mit einem politischen Ereignis konfrontiert war: Quasi vor ihrem Büro überfiel ein palästinensisches Terrorkommando die Unterkünfte des israelischen Olympiateams, erschoss zwei Personen und nahm neun Geiseln.

Dank neuer Technologie war ABC damals fähig, im grossen Stil live zu übertragen. Und sie übertrugen parallel zu Volleyball und Boxen (und dazwischen Werbung) auch das dramatische Geschehen im Olympiadorf. Später stellte sich heraus: 900 Millionen Zuschauer verfolgten diese Live-Berichterstattung, damals ein absoluter Rekord.

Die Filmcrew um Tim Fehlbaum zeigt das Geschehen ausschliesslich aus der Perspektive des Fernsehteams, fokussiert dabei auf ihre Arbeit. Im Zentrum stehen immer die journalistischen Situationen und Fragen, mit denen die Redaktion konfrontiert war, während sich die Ereignisse überschlugen.

Original-Material in Film eingebaut

Der Film ist ein Spielfilm, aber er rekonstruiert das reale Geschehen so faktentreu wie möglich. «Es war unser Anspruch, so nahe als möglich an der Realität zu sein. Wir haben aufwändige, intensive Recherchen betrieben, wir haben mit drei Augenzeugen gesprochen, viel gelesen, Videoquellen genutzt», erzählt Tim Fehlbaum. Zur Recherche gehörte auch der Besuch von Regieräumen bei TV-Sendern, vor allem im Sportbereich, um die Dynamik bei solchen Teams kennenzulernen.

Und es konnte Original-Material der damaligen Übertragung gesichtet und teilweise in den Film eingebaut werden. «Wir mussten 22 Stunden reales Geschehen in 90 Minuten komprimieren. Aus Pietätsgründen wollten wir niemanden zeigen, der an jenem Tag das Leben verloren hat. Auch gewisse Sportsequenzen mussten wir nachstellen. Zum Beispiel wird der damalige Star Mark Spitz beim Schwimmwettkampf durch den Basler David Iselin, der ihm stark gleicht, gespielt. Die Moderation ist jedoch zu einem grossen Teil die Originalaufnahme von ABC.» Teilweise wurde auch ein Mix aus Original-Material und nachgedrehten Szenen verwendet, so Fehlbaum.

Reflexion über Medienarbeit und -konsum

Authentizität und Realitätsnähe ist diesem Spielfilm wichtig: Auch das Studio aus der vordigitalen Ära musste nachgebaut werden. Fehlbaum: «Das ist dem Team der Szenenbildner um Julian Wagner gut gelungen. Es basiert auf den Bauplänen und Fotos von ABC zum damaligen Münchner Studio, die wir einsehen konnten. Unser Team hat Keller von Studios nach alten Einrichtungen abgeklappert, ist bei passionierten Sammlern vorbeigegangen und hat auch Museumsstücke verwendet. Uns war wichtig, dass diese Geräte beim Dreh auch funktionieren, denn wir wollten Leute in ihrem professionellen Umfeld zeigen. Um mit einem dokumentarischen Ansatz zu filmen, wollten wir das alles zum Laufen bringen. Ein Knopfdruck auf dem Pult sollte also auch einen realen Effekt haben. Das war natürlich aufwändig.»

Die Geschichte wird einzig aus der Perspektive des TV-Teams erzählt, die Zuschauer:innen verlassen das Studio ausser via Schaltungen nach aussen nicht. Was das Team damals nicht gesehen oder gewusst hat, will der Film bewusst auch nicht erzählen. Eine absolute Fokussierung auf die journalistische Fernseharbeit. Warum interessiert das den Autor Tim Fehlbaum? «Wir leben in einer Zeit, in welcher sich die Medien um uns herum so schnell entwickeln, dass wir gar nicht begreifen, was dies für einen Einfluss hat, wie wir weltpolitische Ereignisse wahrnehmen. Wir wollten durch die historische Linse das Publikum von heute anregen, dass man darüber reflektiert: über unseren Hunger nach Nachrichten, welcher grösser zu werden scheint. Darüber wie wir Nachrichten konsumieren und wie komplex das alles ist. Der Aspekt der Medienarbeit bei jenem Ereignis scheint mir auch aus heutiger Sicht sehr relevant zu sein.»

«Einfache Antworten gibt es nicht und wir wollen keine Antworten diktieren.»

Das veranschaulicht im Film eine Szene, bei welcher in der Redaktion diskutiert wird, ob man einer Meldung eines deutschen Senders vertrauen darf, ob man eine zweite Quelle zur Absicherung brauche. Es geht um journalistische Standards und die Frage, wieweit Journalismus die Wahrheit transportieren soll und kann. Dadurch hat der Film mit der Story von 1972 eine aktuelle Dimension. Tim Fehlbaum bestätigt dies: «Redaktor:innen aus dem Newsbereich sagten mir nach der Filmvorführung: auch wenn sich Technologie und Tempo verändert hätten, seien die grossen Fragen sind immer noch die gleichen: Wie Quellen sichern wir Quellen ab? Wie beschreiben wir eine Situation live?»

Das gilt auch für die ethischen Fragen, welche beim CBS-Team immer wieder zu Diskussionen führen: Was sollen wir zeigen und was nicht? Was, wenn Erschiessungen vor laufender Kamera stattfinden? Wo werden wir mit der Live-Übertragung zu Komplizen der Terroristen? Ist es korrekt, wenn sich ein Reporter als Sportler verkleidet ins abgesperrte Athleten-Haus schleicht? Fehlbaum: «Wir wollen diese Fragen stellen. Einfache Antworten gibt es nicht und wir wollen keine Antworten diktieren. Aber wir hoffen, dass das Publikum nach dem Kinobesuch darüber reflektiert.»

«Gesichter & Geschichten» mit Live-Übertragung der 97. Oscars

In der Nacht vom 2. auf den 3. März 2025 präsentiert die Academy of Motion Picture Arts and Sciences zum 97. Mal die Oscars, dem international renommiertesten Preis der Filmbranche. «Gesichter & Geschichten» überträgt die Preisverleihung live und zeigt ab Montag, 24. Februar 2025, ein vielseitiges Rahmenprogramm rund um die Oscar-Verleihung.

Ausstrahlung Oscars: Montag, 3. März 2025, ab 00:25 Uhr, SRF zwei

Text: Philipp Cueni

Bild: 2025 Paramount Pictures/REUTERS/Daniel Cole

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