«ABER!»: Wenn das Publikum zur Kundschaft wird

Niggi Ullrich schreibt in seiner neuen Kolumne über den Begriff des «Publikum». Er sagt: Wer Medien nutzt, verhält sich zunehmend wie ein:e Kund:in. Und damit einher geht der grundsätzliche Anspruch, dass er oder sie für seine Abonnementsgebühr das erhält, was er oder sie auch erwartet. Das geht aber auf Kosten des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Zur Kolumne «ABER!»
Zur Kolumne «ABER!»
Niggi Ullrich schreibt in seiner Kolumne «ABER!» jeweils eine Replik auf den letzten Themenschwerpunkt des SRG.D-Mitgliedermagazins «LINK». Er nimmt die darin enthaltenen Stimmen und Meinungen auf und positioniert sich, beleuchtet einen Teilaspekt oder formuliert Denkanstösse in Bezug auf die SRG und ihre Rolle in der Zivilgesellschaft. Niggi Ullrich war von 1997 bis 2023 Präsident der SRG Region Basel und ab 2016 Vizepräsident der SRG Deutschschweiz.
In der letzten Ausgabe des Mitgliedermagazins der SRG Deutschschweiz «LINK» gibt es eine Reihe von unterschiedlichen Erwägungen zum Thema «Publikum». Fast alle Schreibenden sowie Interviewten monieren, dass sich dessen Verhalten im Soge von Social Media und im Nachgang zu Covid zwar verändert hat. Aber letztlich sei es immer noch eine Art Gemeinschaft der Hörenden, Sehenden und Applaudierenden trotz gewachsener persönlicher Ansprüche und Äusserungen. Und mit Blick auf den Informationsauftrag der Medien entsteht trotz divergierender Reaktionen immer noch ein gutes Mass an messbarem «Public Value», was der SRG mit ihrem Service-public-Auftrag nur recht sein kann. Im Kontext von politischen Abstimmungen, Live-Übertragungen und -Foren oder auch Vorstellungen in Theater, Kino, Konzertsälen, Showräumen oder Sportarenen kann das durchaus so gesehen werden.
ABER! Man könnte sich über den «Zustand» der Citoyenneté des Publikums schon noch etwas weitergehende Gedanken machen. Seit die Printmedien ihre Leserschaft mittels Aktionen, Rabatten, Wettbewerben, Reiseangeboten peu à peu zur privaten Kundschaft umfunktioniert haben, ist spürbar, dass diese sich auch wie private Kund:innen verhalten.
«Das Programm wird immer mehr zur ‹Private Value› reduziert.»
Die medialen Inhalte sind zwar noch öffentliche Produkte, aber das Format Printmedium mit allem Drum und Dran ist zur Ware mit Preisschild geworden. Und wenn der Kundschaft die Ware – egal warum – nicht passt, muss man sich nicht wundern, wenn sie ganz persönlich einen Gegenwert für ihr Geld einfordert. Reklamationen sind dann eine Art Wink mit der Quittung. Der rasante Rückgang der Abonnementzahlen hat weniger mit dem abflachenden Interesse für das Weltgeschehen, sondern mit der immer stärkeren Ausrichtung von publizistischen Inhalten als konsumfokussierte Ware zu tun. Und wehe sie passt (einem) nicht!
Ähnliches gibt es bei den Interventionen aus dem SRF-Publikum zuhanden der Ombudsstelle der SRG Deutschschweiz zu beobachten. Die kritischen Einwände gegen Sendungen bringen immer mehr privateste respektive subjektive Ansprüche gegenüber Programminhalten und Kommentaren zum Ausdruck. Der grössere, öffentliche Kontext des medialen Service public wird immer unwichtiger. Es geht um den persönlichen Geschmack, um die eigene Meinung, um das, was egospezifisch als richtig und oder wichtig gesehen und gehört wird. Das Programm wird so immer mehr zur «Private Value» reduziert. Wer bei der Ombudsstelle vorstellig wird, sieht sich als Kund:in mit dem grundsätzlichen Anspruch, dass er oder sie für die «Gebühr» das erhält, was er oder sie auch erwartet.
Aber damit ist auch das gesellschaftliche Postulat des Zusammenhalts der Bürger:innen im Lande in Gefahr. Wenn eine immer grössere Zahl von Leuten es nicht mehr aushalten, dass die Dinge dieser Welt nicht grundsätzlich ihren individuellen Affirmationen entsprechen, dann sind sie nicht mehr EIN oder DAS Publikum, sondern nur noch eine Ansammlung von Privatpersonen. Mehr nicht.
So gesehen sind die Versuche, die Mittel der SRG zu reduzieren nicht einfach nur ein Angriff auf die Kosten der SRG sondern auch einer auf deren Public Value.
Näher dran mit dem Mitgliedermagazin

Dieser Text bezieht sich auf den Themenschwerpunkt der letzten Ausgabe von «LINK», dem Magazin für alle Deutschschweizer Mitglieder der SRG. Sie interessieren sich für die Entwicklungen in der Schweizer Medienlandschaft, in der SRG und deren Unternehmenseinheiten? Mit «LINK» erhalten Sie fünf Mal jährlich spannende Beiträge zu den Entwicklungen im Journalismus, über den medialen Service public und die Menschen dahinter.
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