Drei Monate dominieren das Berichtsjahr 2023: Der Krieg im Nahen Osten
Seit dem 7. Oktober, der beispiellosen Terrorattacke der Hamas, bis zum Jahresende, gingen 80 Beanstandungen zur Berichterstattung zum Nahost-Krieg bei der Ombudsstelle ein. Das ist ein Zehntel aller Eingaben im Berichtsjahr. Dieses Thema stellte alles andere in den Schatten – obwohl die Beanstandungspalette auch 2023 sehr breit war.
Die grauenvollen Geschehnisse im Nahen Osten seit dem 7. Oktober lösten auch in der Schweiz unzählige Reaktionen aus – und führten zu einer Flut von Beanstandungen primär gegenüber den Informationssendungen von SRF. Von den insgesamt 836 Eingaben im Berichtsjahr gingen allein innert zwei Monaten über 80 Beanstandungen zur Berichterstattung über den Nahost-Krieg ein. Nicht mitgerechnet weitere 140, die sich auf eine «SRF 4 News»-Sendung bezogen, die aber mit ganz wenigen Ausnahmen anonym blieben und auf welche die Ombudsstelle deshalb zum grössten Teil nicht eintrat.
Der Ukraine-Krieg hatte nach Ausbruch und in den Monaten danach nicht annähernd zu so vielen Eingaben geführt. Und nicht einmal bei der Corona-Pandemie mit über 1000 Beanstandungen sowohl 2020 wie auch 2021 verzeichnete die Vermittlungsstelle innert zwei Monaten so viele Eingaben wie zu den Ereignissen nach dem 7. Oktober 2023.
Auch wenn die Ohnmacht gegenüber dem aussichtslos scheinenden Krieg und die persönliche Betroffenheit gewisse emotionale Ausbrüche nachvollziehbar macht: die Ombudsleute waren immer wieder sprachlos ob der heftigen Äusserungen und gewählten Begriffe in den Beanstandungen. Dabei treffen die Vorwürfe der angeblich bewussten einseitigen Berichterstattungen in keiner Art und Weise zu. Weder ist «SRF mitverantwortlich, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Schweiz seit dem Terrorangriff vom 7. Oktober vermehrt Ziel von antisemitischen Anwürfen» sind, noch «unterstützt SRF den Genozid und das Apartheid-Regime von Israel».
SRF ist verpflichtet, ausgewogen zu berichten. Bei dieser emotional so aufgeladenen Situation im Nahen Osten und der Eskalation im Nachgang zum 7. Oktober ist diese Ausgewogenheit umso wichtiger. SRF veröffentlichte seither bis Ende 2023 mehrere hundert Beiträge, inklusive den «Liveticker». Fehler sind bei dieser rund um die Uhr-Arbeit nicht zu vermeiden. Zumal eine besondere Schwierigkeit auch darin liegt, dass die Kriegsparteien propagandistisches Material und Fake News vor allem in den sozialen Medien verbreiten. Die Verifizierung ist äusserst aufwändig. Dem Quellennachweis kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. In einzelnen Beiträgen ist dies tatsächlich nicht befriedigend ausgefallen ist.
Während in den ersten zwei Wochen nach dem 7. Oktober vor allem beanstandet wurde, die Hamas sei verharmlost worden (SRF hielt sich mit der Bezeichnung «Terrororganisation» zurück, da die schweizerische Regierung die Hamas rechtlich noch nicht so einstuft), Israel werde als mitschuldig an der Attacke bezeichnet, häuften sich ab Ende Oktober die Beanstandungen, die eine deutlichere Verurteilung der israelischen Regierung bei der zunehmenden humanitären Katastrophe im Gazastreifen erwarteten.
Verlangt wurde von der einen Beanstandungsseite, dass in jeder Informationssendung erwähnt werde, was und wer der Auslöser des Kriegs war. Von der anderen Seite wurde erwartet, dass in jeder dieser Ausstrahlungen über die Entwicklung in den besetzten Gebieten das unverhältnismässig ausgelegte Recht auf Selbstverteidigung durch Israel ins Zentrum gerückt werde.
Aufgrund der umfangreichen Medienberichterstattung innert kurzer Zeit darf dieses Wissen aber vorausgesetzt und muss nicht jedes Mal wieder erwähnt werden. Zumal SRF zwar nicht in jeder Informationssendung, aber doch immer wieder, darauf hinwies. Die Kontextualisierung der Nahost-Geschichte schliesslich hat in erster Linie ausserhalb der Aktualitäten zu erfolgen. Was SRF, wie die Ombudsstelle feststellte, in verschiedensten Sendungen tat und tut. Die umfassende, sachgerechte Berichterstattung beeindruckte die Ombudsstelle mit wenigen Ausnahmen.
Neben diesem alles dominierenden Thema verzeichnete die Ombudsstelle die «Dauerbrenner» Klima, Wolf, SVP und Covid, die regelmässig zu Beanstandungen führen. Dabei ist der Wiedererkennungswert der Beanstanderinnen und Beanstander gross und die Argumente ebenso. Der Ärger über die Gender-Sprache scheint verraucht. Es kommt mittlerweile öfters zu Beanstandungen, die sich darüber beklagen, dass die weibliche Form zu wenig beachtet werde. Indem beispielsweise nur von «Bauern» anstatt auch von «Bäuerinnen» gesprochen werden oder Sportarten, in denen sich die Frauen im Unterschied zu den Männern besonders gut profiliert haben, unterdurchschnittlich beachtet werden.
Zum ersten Mal unterscheidet die Ombudsstelle zwischen «Online 1st» und «Online 2nd». Mit «Online 1st» bezeichnen die Ombudsleute diejenigen Beanstandungen, die sich explizit auf einen Online-Text beziehen, unabhängig zum dazugehörigen Audio- oder Video-Beitrag. Dies, weil die Redaktionen nicht selten den Online-Bericht zu einem originären Audio- oder Video-Beitrag weiterentwickeln und mit neuen Aspekten versehen. Dadurch entsteht aber eine eigenständige Publikation, die unabhängig vom linear produzierten Beitrag auf Einhaltung der Sachgerechtigkeit begutachtet werden muss. Aus demselben Grund kann bei einer ergänzenden Online-Berichterstattung auch nicht auf den Hauptbeitrag von Video oder Audio verwiesen werden. In den meisten Fällen aber werden die Audio- und Video-Beiträge in Online-Texten ohne Ergänzungen zusammengefasst. Weil die Redaktionen nicht identisch sind, kommt es ab und an zu meinungsverfälschenden Fehlern.
Esther Girsberger und Kurt Schöbi führen die Ombudsstelle seit 1. März 2020 in Co-Leitung. Diese Arbeitsteilung war ein Novum, hat sich aber ausgezeichnet bewährt. Die Amtszeit der beiden Ombudsleute läuft Ende Februar 2024 ab. Kurt Schöbi hat sich entschieden, keine zweite Amtszeit in Angriff zu nehmen. Per 1. März hat der Publikumsrat den Juristen, ehemaligen Aargauer Regierungsrat und Nationalrat Urs Hofmann als Nachfolger gewählt. Er wird das Amt zusammen mit Esther Girsberger weiterhin im bewährten Format der Co-Leitung ausüben.
Seit Einreichung der Initiative «200 Franken sind genug» und der Antwort des Bundesrats, die Haushaltabgabe schrittweise von 335 auf 300 Franken jährlich zu senken, enden sehr viele Beanstandungen mit dem Schlusssatz: «Wir wissen schon, wie wir dann abzustimmen haben.» Bei vielen dieser Eingaben ist offensichtlich, dass die Meinung gemacht ist und die Ablehnung gegenüber dem «staatlichen Sender» nicht wirklich mit dem Inhalt der redaktionellen Sendungen zu tun hat. Es braucht manchmal sowohl seitens der Redaktionen als auch seitens der Ombudsstelle etwas Überwindung, solche Kritiken ausführlich, freundlich und objektiv zu beantworten, indem man auf die beanstandete Sendung trotz der wenig fundierten Kritik in einer sorgfältigen Analyse seitens der Redaktion und der Ombudsstelle eingeht.
Weil diese Analyse sorgfältig erfolgt, ist der kleine Prozentsatz der gutgeheissenen Beanstandungen kein Feigenblatt. Die Arbeit der Redaktionen ist beeindruckend. Auch wenn die Ombudsstelle die Beiträge ab und zu anders gewichtet oder auch eine andere Themenwahl begrüssen würde – die Programmfreiheit ist ein hohes Gut, wie auch das Bundesgericht wiederholt betont hat.