Ombudsstelle: Emotionen im No-Billag-Jahr
Im abgelaufenen Jahr spielte die direkte Demokratie eine wichtige Rolle für die Ombudsstelle: Ganze 67 Beanstandungen betrafen Sendungen oder Publikationen im Zusammenhang mit der direkten Demokratie. Dass dies so wichtig war, hatte zunächst mit der No-Billag-Initiative zu tun. Diese Initiative berauschte viele Beanstanderinnen und Beanstander, die erwarteten, dass die verhasste SRG bald abgeschafft würde. Sie beschäftigte aber auch die Journalistinnen und Journalisten der SRG, die Wege finden mussten, neutral über ein Thema zu berichten, bei dem sie selber Objekt und Partei waren. Nicht minder engagiert verlief im Herbst die publizistische Auseinandersetzung mit der Selbstbestimmungsinitiative. Der Ombudsstelle war es ein Anliegen, dass möglichst alle Schlussberichte zu Sendungen im Zusammenhang mit Abstimmungen noch vor dem Urnengang veröffentlicht werden konnten – aus Respekt vor dem Souverän, der nicht erst hinterher erfahren soll, dass allenfalls eine Sendung manipulativ war. Erfreulich war, dass die Redaktionen mitspielten und ihre Stellungnahmen zu Beanstandungen oft unter erheblichem Zeitdruck verfassten. SRF hat zudem die Herausforderung, fair und unparteilich auch in eigener Sache zu berichten, mit Bravour bestanden.
Dabei waren viele Emotionen im Spiel, die vor allem in den Beanstandungen deutlich wurden: Zuerst wegen einer sexistischen Frage in der Sendung «Top Secret», dann wegen der Facebook-Aufklärungsserie «Dr. Bock», gegen die eine Beanstandung mit über 9000 Unterschriften einging, darauf wegen der No-Billag-Initiative, anschliessend wegen des DOK-Films zu Grenchen, danach wegen der Doppeladler-Episode an den Fussballweltmeisterschaften und schliesslich wegen der Selbstbestimmungsinitiative.
Zahl der Beanstandungen in den letzten 10 Jahren
Die Ombudsstelle erhielt im Jahr 2018 419 neue Beanstandungen. 72 davon, für die sie nicht zuständig war, wies sie an andere Stellen, auf 9 trat sie nicht ein, weitere 9 wurden zurückgezogen. 57 Fälle waren aus dem Vorjahr noch hängig. Effektiv bearbeitet wurden 357 Fälle. 29 waren Ende Jahr noch hängig. Die bearbeiteten Fälle betrafen 274 Sendungen, Sendefolgen oder Publikationen. 307 Schlussberichte gingen raus, jeder Werktag einer. Wichtig war die Unterstützung des Ombudsmannes durch den Stellvertreter Manfred Pfiffner und durch Denise Looser auf der Geschäftsstelle.
Nach wie vor wird als Grund für die Kritik am häufigsten die Verletzung der Sachgerechtigkeit vorgebracht: Beiträge werden als tendenziös, einseitig, unvollständig, inkompetent, verzerrt, lügnerisch gewertet. Der am zweitmeisten herausdestillierte Grund ist eine wie auch immer geartete Diskriminierung. Auf den weiteren Plätzen folgen die fehlende Vielfalt, die verletzte Sittlichkeit bzw. der missachtete Jugendschutz sowie die Förderung der Gewalt und Schleichwerbung. Oft wird allerdings die fehlende Vielfalt moniert, obwohl das Gesetz sie nicht für die einzelne Sendung, sondern nur für das gesamte Programm verlangt. Für die einzelne Sendung gilt das Vielfaltsgebot bloß in der heiklen Phase vor Wahlen und Abstimmungen.
Beanstandungsgründe nach Sendungen/Publikationen (absolut)
2017 hatten erstmals die Fälle zur Außenpolitik jene zur Innenpolitik überholt. Das war 2018 wieder anders: Die Innenpolitik hat den größten Anteil, der noch größer wäre, wenn die Sendungen zur No Billag-Initiative nicht unter Medien, sondern unter Innenpolitik rubriziert wären. Dass die Felder Medien und Sport mehr Beanstandungen auf sich zogen als normal, hat gerade mit No Billag im einerseits, mit der Fussball-Weltmeisterschaft anderseits zu tun.
Die Ombudsstelle kann den Journalistinnen und Journalisten von Radio und Fernsehen SRF einmal mehr ein gutes Zeugnis ausstellen: In 81,0 Prozent der Fälle konnten mein Stellvertreter und ich die jeweiligen Beanstandungen nicht unterstützen, will heissen: Die Redaktionen haben sachgerecht, fair, faktentreu, kompetent und nach den journalistischen Regeln der Kunst gearbeitet. Am besten schneidet Online ab – mit 89,9 Prozent nicht unterstützten Beanstandungen. Fernsehen (mit 82,5 Prozent) und Radio (mit 72,2 Prozent) hinken ein wenig hinterher, aber der Anteil der Fehler und Regelverletzungen liegt auch bei ihnen im Rahmen. Allerdings kann man die Zahlen auch anders lesen: 18,6 Prozent ganz oder teilweise unterstützte Beanstandungen sind eigentlich zu viel, beim Radio gar über ein Viertel! Das Ziel müsste sein, noch perfekter zu arbeiten, auch wenn immer klar ist, dass keine menschliche Tätigkeit fehlerlos verläuft.
Unterstützte und nicht unterstützte Beanstandungen (in Prozent)
17 Mal wurden Sendungen oder Publikationen von SRF Gegenstand von Beschwerden vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Diese entschied stets entlang den Einschätzungen der Ombudsstelle – mit zwei Ausnahmen: bei einer Sendung von «Puls» und bei einer von «Schweiz aktuell» hatte die Ombudsstelle die jeweilige Beanstandung teilweise unterstützt, während die UBI die Beschwerde abwies. Es zeigt sich auch, dass die Ombudsstelle die UBI merklich entlastet: Weniger als 5 Prozent der Fälle wurden anschliessend zu Beschwerden vor der UBI.
Die Ombudsstelle hat sieben Empfehlungen an die Redaktionen abgegeben. Zwei davon waren derart generell, dass kein Feedback nötig war. Bei einer weiteren erhielt der Ombudsmann eine Vollzugsmeldung, bei den anderen vier erfolgte hingegen keine Reaktion, obwohl vereinbart ist, dass die betroffenen Redaktionen der Ombudsstelle melden, ob sie die Empfehlung umsetzen, prüfen oder für abwegig halten. Das muss sich ändern. Positiv ist, dass das «Echo der Zeit» aufgrund einer Diskussion mit der Ombudsstelle die Pluralität der in der Sendung vorkommenden Experten merkbar erhöht hat. Das Publikum reagiert auf die Schlussberichte der Ombudsstelle mehrheitlich gar nicht. In wenigen Fällen erfolgt ein manchmal lobendes, manchmal kritisches Feedback, und in den Social Media wird die Ombudsstelle laufend auch beschimpft. Gegen einen verleumderischen Beanstander reichte der Ombudsmann erfolgreich Strafanzeige ein. Um die Tätigkeit der Ombudsstelle zu erläutern, war der Ombudsmann oft unterwegs – bei Mitgliedergesellschaften der SRG und bei anderen Organisationen. Selbst in wissenschaftliche Tagungen und Kurse floss die Arbeit der Ombudsstelle ein. Über 60 Mal wurde in den Medien über sie berichtet.
Roger Blum, Ombudsmann