Ombudsstelle: Viel Moral im Wahljahr
Das abgelaufene Jahr war ein «Klimajahr», ein «Frauenjahr» und ein «Jugendjahr». All das kumulierte im Herbst in den eidgenössischen Wahlen, als jene Parteien zu den Gewinnerinnen gehörten, die sich für Massnahmen gegen den menschengemachten Klimawandel einsetzten, die viele Frauen portierten und die den Jungen eine Chance gaben. Die drei Stichworte und deren Bündelung in den Wahlen spiegelten Radio und Fernsehen SRF in ihren Sendungen und Publikationen. Dies rief vielerlei Beanstandungen hervor. Denn weil SRF die gesellschaftliche Wirklichkeit abbildete, wurde der Sender von Kritikern für den Verursacher gehalten. Die These war, dass es nur einen Klimahype gebe, weil die Medien ihn heraufbeschworen, und dass diese Themen nur deshalb auf der Agenda waren, weil die Medien links sind. Beides haben die Redaktionen von SRF und die Ombudsstelle in aufwendigen Untersuchungen überprüft. Dabei zeigte sich, dass in der Beobachtungsperiode in der deutlichen Mehrheit der Sendungen nicht vom Klima die Rede war und dass im Untersuchungszeitraum deutlich mehr bürgerliche Akteure zitiert wurden als linke. Die Unterstellungen waren eine Mär.
Neben der journalistischen Begleitung der eidgenössischen Wahlen, die überraschend wenig Beanstandungen generierte, gaben noch ganz andere Themen zu reden, so das Waffengesetz, der kritische Film über Michael Jackson, der Heiratsantrag von Sven Epiney auf der Fernsehbühne, die Nobelprostituierte bei «Schawinski», die wildtierfreien Zirkusnummern, die E-Zigaretten oder der Tote bei «Mona mittendrin». Dabei fällt auf, dass es vorwiegend moralische Fragen waren, die die Leute antrieben: Diskriminierung, Unsittlichkeit, Verletzung der Menschenwürde waren die Stichworte. Sie prägten auch die Schlussberichte.
Im Jahr 2019 gingen 570 Beanstandungen ein. Das sind 1,5 neue pro Tag. 71 davon, die keine relevanten journalistischen Fragestellungen enthielten, wies die Ombudsstelle an andere Stellen, mehrheitlich an die zuständige Redaktion zur Direktbeantwortung, auf 34 trat sie nicht ein, weitere 6 wurden zurückgezogen. 27 Fälle waren aus dem Vorjahr noch hängig. Effektiv bearbeitet wurden 417 Fälle. Diese betragen 343 Sendungen, Sendefolgen oder Publikationen. 397 Schlussberichte gingen raus, mehr als einer pro Tag. Ende 2019 waren 42 Fälle noch hängig. Wichtig war die Unterstützung des Ombudsmannes durch den Stellvertreter Manfred Pfiffner und durch Denise Looser auf der Geschäftsstelle.
Wie immer, nahm unter den Beanstandungsgründen die fehlende Sachgerechtigkeit mit Abstand den Spitzenplatz ein. Die Beanstanderinnen und Beanstander benützen zwar selten diesen Begriff, sondern reden von «tendenziös», «einseitig», «reiner Propaganda», «nicht ausgewogen» usw. Ein beachtlicher Anteil der Gründe bezieht sich auf Diskriminierung. Und nicht ganz unbeachtlich ist, dass die Kritik im Moralbereich (Sittlichkeit, Jugendschutz, religiöse Gefühle) immer wieder vorgetragen wird. Die fehlende Vielfalt wird meist irrtümlich beanstandet, weil die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer nicht wissen, dass sich das Vielfaltsgebot (mit Ausnahme der Periode vor Abstimmungen und Wahlen) nicht auf die einzelne Sendung, sondern auf das Gesamtprogramm bezieht.
Dass bei den Themen die Innenpolitik obenaus schwingt, ist in einem eidgenössischen Wahljahr mit zusätzlich zwei Abstimmungsterminen logisch. Gerade deshalb ist erstaunlich, wie gross der Anteil der Aussenpolitik dennoch ist. Mit deutlichem Abstand folgen gesellschaftliche und kulturelle Themen. Unter den restlichen ist die Satire hervorzuheben, die immer wieder Gegenstand von Beanstandungen war. Das Jahr 2019 bewies einmal mehr, dass Politik und Nachrichten am ehesten Anstoss erregen, dass aber dennoch die Themenpalette breit streut und auch Unterhaltungssendungen, Spielsendungen, Fiction, Wettersendungen, Sportsendungen usw. umfasst, so dass es dem Ombudsmann nie langweilig wird.
Die Ombudsstelle kann den Journalistinnen und Journalisten von Radio und Fernsehen SRF wiederum ein gutes Zeugnis ausstellen: In 85,4 Prozent der Fälle konnten mein Stellvertreter und ich die jeweiligen Beanstandungen nicht unterstützen, will heissen: Die Redaktionen haben sachgerecht, fair, faktentreu, kompetent und nach den journalistischen Regeln der Kunst gearbeitet. Am besten schneidet das Fernsehen ab mit 88,5 Prozent nicht unterstützten Beanstandungen, gefolgt vom Radio (83,8 Prozent) und Online (70,8 Prozent). Umgekehrt zeigen die ganz oder teilweise unterstützten Beanstandungen (im Bereich von 11,5 – 29,2 Prozent), dass noch Verbesserungsbedarf da ist.
19 Mal wurden Sendungen und Publikationen von SRF Gegenstand von Beschwerden vor der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI). Diese entschied meist entlang den Einschätzungen der Ombudsstelle – mit drei Ausnahmen, in denen die UBI gegenüber SRF milder war als die Ombudsstelle, und in einem vierten Fall, in dem die UBI die Beschwerde abwies, während die Ombudsstelle neutral geblieben war.
Fünf Mal richtete die Ombudsstelle Empfehlungen an die Redaktionen, zweimal erhielt sie eine Rückmeldung, dreimal nicht. Da ist der erwünschte Zustand immer noch nicht erreicht. Aus dem Publikum gibt es sporadisch Reaktionen auf die Schlussberichte, manchmal zufriedene und lobende, oft aber unzufriedene und gehässige. Vor allem auf Twitter sind die Kommentare oft heftig. Um die Tätigkeit der Ombudsstelle zu erläutern, war der Ombudsmann viel unterwegs – im Kontext der SRG-Trägerorganisationen, von Journalistenschulen, von Ombudsmann-Treffen und von Universitäten. Ebenfalls oft berichteten die Medien über die Ombudsstelle.
Roger Blum, Ombudsmann