Radio- und Fernsehgebühren: Alles bleibt anders

Ein kleiner Schritt für die Radiohörerinnen und Fernsehzuschauer, ein grosser Schritt für den Service public: In Zukunft sollen sämtliche Haushalte für Radio und Fernsehen zahlen, unabhängig von ihrer konkreten Nutzung. Die geplante Medienabgabe ist mehr als nur ein neues Finanzierungssystem. In diesem Jahr werden die Weichen gestellt.

– von Nick Lüthi

Für manche ist es ein Ärgernis, für viele eine Selbstverständlichkeit. Wer in der Schweiz ein Gerät besitzt, das Radio- und Fernsehprogramme empfangen kann, wird regelmässig zur Kasse gebeten. Ein Haushalt zahlt heute jährlich 462 Franken, Unternehmen kostet der Empfang bis zu 1400 Franken pro Jahr. Das Geld geht zum grössten Teil an die SRG und zu einem kleineren Teil an private Radio- und Fernsehstationen. So will es das Gesetz. Die ­Finanzierung der elektronischen Medien über eine Gerätegebühr stammt aus den Anfängen des öffentlichen Rundfunks in den 1920er-Jahren. Aus einer Zeit, als sich nicht jeder Haushalt ein Radio- und ­(später) Fernsehgerät leisten konnte. Somit zahlten nur jene für die Programme, die sie auch tatsächlich nutzten. Das ist bis heute so.

Die Hälfte aller acht Millionen Einwohner nutzt ein internetfähiges Mobiltelefon, das auch Radio und TV empfangen kann. Kurz: Jeder hat überall Zugang zu elektronischen Medien.

Nur haben sich in der Zwischenzeit die Medien massiv gewandelt. Empfangsgeräte befinden sich überall. 20 Millionen UKW-Radios gibt es allein in der Schweiz. Das sind pro Kopf zweieinhalb Geräte. Mehr als fünf Millionen TV-Apparate stehen in Schweizer Wohnungen, das sind fast 1,5 Fernseher pro Privathaushalt. Das gleiche Bild bei den Smartphones. Die Hälfte aller acht Millionen Einwohner nutzt ein internetfähiges Mobiltelefon, das auch Radio und TV empfangen kann. Kurz: Jeder hat überall Zugang zu elektronischen Medien.

Alle nutzen heute Radio und Fernsehen

Damit haben sich die Grundlagen für die Gebührenerhebung in einem zentralen Punkt geändert: Wenn praktisch alle Personen in der Schweiz Radio und TV nutzen, erübrigt sich die Anbindung der Abgabepflicht an das Vorhandensein eines Empfangsgeräts. Deshalb sollen alle gleichermassen zahlen. Von der Abgabe befreit würden wie bisher Bezügerinnen und Bezüger von AHV- und IV-Ergänzungsleistungen.

Jederzeit, überall: Heute nutzen praktisch alle Menschen elektronische Medien. Bild: Colorbox

Dass man den Finanzierungsmodus den veränderten Bedingungen anpassen müs­s­te, ist bereits seit längerem ein Thema. Vor vier Jahren verlangte eine Nationalratskommission vom Bundesrat, eine Vorlage auszuarbeiten für ein neues System der Empfangsgebühr, «in welchem grundsätzlich alle Haushalte und Betriebe eine Abgabe bezahlen sollen». Daran hat seither niemand mehr gerüttelt. Da ein Systemwechsel nicht im Grundsatz bestritten wird, dreht sich die Diskussion um Detailfragen, wie die Zahlungspflicht der wenigen Nichtnutzer. Totalabstinenten lassen sich an einer Hand abzählen. Ausser ein paar Asketen, Hippies und Lebenskünstlern koppelt sich heute kaum jemand freiwillig vom omnipräsenten Medienrauschen ab.

Ausser ein paar Asketen, Hippies und Lebenskünstlern koppelt sich heute kaum jemand freiwillig vom omnipräsenten Medienrauschen ab.

Gegner der allgemeinen Medienabgabe verlangen dennoch ein Opting-out. Will heissen: Wer kein Gerät nutzt, soll sich abmelden und von der Abgabe befreien können. Die zuständige Kommission des Nationalrats hat dem Anliegen allerdings nicht stattgegeben. Schliesslich bringt die allgemeine Zahlungspflicht auch einen erheblichen Vorteil mit sich. Die Billag-Kontrollen fallen weg. Wenn alle zahlen müssen, braucht man nicht mehr zu überprüfen, ob jemand schwarzsieht. Gegner der Vorlage stehen vor einem Dilemma. Denn ein Opting-out erfordert Kontrollen, um zu überprüfen, ob die abgemeldeten Personen tatsächlich kein Radio und TV nutzen.

Bundesrat will mit der Medien­abgabe die ­Demokratie stützen

Auch wenn der Systemwechsel als evolutive Weiterentwicklung und natürliche Anpassung an das veränderte Nutzungsverhalten gepriesen wird, hat die allgemeine Zahlungspflicht tiefer greifende medienpolitische Implikationen. Die neue Abgabe soll einem höheren Zweck dienen. Es geht nicht mehr nur um die Finanzierung von Medien, sondern um die Demokratie. Der Bundesrat schreibt: «Die direkte Demokratie in der Schweiz ist heute auf Radio und Fernsehen angewiesen und wäre ohne diese Medien kaum mehr funktionsfähig.»

Die neue Abgabe soll einem höheren Zweck dienen. Es geht nicht mehr nur um die Finanzierung von Medien, sondern um die Demokratie.

Das heisst: öffentlicher Rundfunk als Bedingung für eine funktionierende
Demokratie. Die Behauptung lässt sich leider nicht widerlegen. Dazu müsste man schon die Programme der SRG abschalten und schauen, ob die Demokratie tatsächlich kollabiert. Für die SRG und die privaten Gebührensender bedeutet der Systemwechsel deshalb eine noch stärkere Verpflichtung gegenüber ihrem Leistungsauftrag. Was dies im konkreten Fall bedeutet, wie sich das allenfalls auch im Programm niederschlägt, dazu hat man bis jetzt noch wenig bis nichts vernommen.

SRG fürchtet Mindereinnahmen

Bei der SRG gilt derweil die grösste Sorge dem Geld. Auch nach dem Systemwechsel erwartet die SRG gleich hohe Einnahmen wie mit den heutigen Empfangsgebühren. Doch sie fürchtet finanzielles Ungemach. Grund dafür ist der von Behörden und Bundesrat immer wieder genannte Betrag von 400 Franken pro Haushalt.Das wären gut 60 Franken weniger als heute. Bei der SRG bestehen Zweifel darüber, ob eine flächendeckende Zahlungspflicht tatsächlich zu einer Reduktion führen würde.Schliesslich gibt es nicht allzu viele Haushalte, die heute keine Gebühren zahlen. Am Ende wird, wie bisher, der Bundesrat die Höhe der Abgabe festlegen.

Billag steht zur Disposition

Die Vorlage soll noch in diesem Jahr in die Eidgenössischen Räte kommen. Da es nicht um den Grundsatz geht, werden Detailfragen im Zentrum der parlamentarischen Beratung stehen. Neben der Beitragshöhe und dem Opting-out wird es dabei auch um das Inkasso der neuen Abgabe gehen.

Klar ist: Die künftige Inkassostelle bräuchte keine Kontrolleure mehr.

Eine Erhebung über die direkte Bundessteuer will der Bundesrat nicht, weil dies eine Verfassungsänderung erforderte (siehe Kasten unten). Damit bleibt der Weg über eine Inkassostelle, wie sie für die aktuellen Gebühren von der Billag erfüllt wird. Auch für das künftige Inkasso käme die Billag infrage oder eine neue Stelle. Gemäss dem Gesetzesvorschlag ist hierfür vorgesehen, den Auftrag auszuschreiben. Klar ist: Die künftige Inkassostelle bräuchte keine Kontrolleure mehr. Die Billag müsste im Fall des Zuschlags Personal reduzieren. Für den Abgabepflichtigen wäre das ein gutes Signal, weil die Kosten für den administrativen Aufwand sinken würden.

Radikale Vorschläge zur Umgestaltung oder Abschaffung der Radio- und TV-Finanzierung gehören ins Reich der kurzfristigen Online-Empörung.

Wenig realistisch scheint eine Beseitigung der Billag mittels Volksinitiative. Eine Einzelperson aus der Ostschweiz versucht bereits zum zweiten Mal, die Billag und damit die öffentliche Rundfunkfinanzierung komplett abzuschaffen. Die erste Unterschriftensammlung musste mangels Sammelerfolgs frühzeitig abgebrochen werden. Auch andere radikale Vorschläge zur Umgestaltung oder Abschaffung der Radio- und TV-Finanzierung gehören ins Reich der kurzfristigen Online-Empörung. Damit ist der Weg vorgespurt für den Systemwechsel.

Neues System auf solider Grundlage

Gerade weil mit der Vorlage die Grundsatzfrage gestellt wird nach der Leistung von Radio und Fernsehen für Gesellschaft und Staat, stünde es einer Demokratie gut an, darüber die Bevölkerung befinden zu lassen. Wenn der Service public tiefer verankert werden soll, erfordert dies eine solide Legitimation, die mittels Volksabstimmung erreicht werden könnte. Eine Zustimmung der Bevölkerung zum Systemwechsel wäre ein starkes Vertrauensbekenntnis zum ­öffentlichen Radio und Fernsehen. Eine ­Ablehnung hätte dagegen keine unmittelbaren Folgen, da damit «nur» ein neues ­Finanzierungsmodell verworfen würde.

Nah am Bundeshaus, aber trotzdem staatsfern: Die SRG bleibt unabhängig. Bild: Imagopress / Patrick Lüthy

Ein solches Misstrauensvotum müsste indes Anlass zur Diskussion über Rolle und Aufgaben des Service public geben. Eine Abstimmung ist bisher nicht vorgesehen. Nur wenn jemand das Referendum ergreift, kommt die Vorlage an die Urnen. Als einzige Partei lehnt bisher die SVP den Systemwechsel grundsätzlich ab. Ob sie mit einem Referendum dagegen vorgeht, steht erst fest, wenn das Parlament das revidierte Radio- und Fernsehgesetz verabschiedet hat. Bis es so weit ist, wird es wohl noch rund zwei Jahre dauern.

Nick Lüthi ist Medienjournalist und Redaktionsleiter der «Medienwoche»

Auch künftig kein Staatssender
Jederzeit, überall: Heute nutzen praktisch alle Menschen elektronische Medien. Die Idee hat etwas bestechend Einfaches: Wieso die Medienabgabe nicht über die Steuern einziehen? Hierfür existiert bereits ein bewährtes Inkasso, und ein paar Franken mehr oder weniger würden das System auch nicht auf den Kopf stellen. Tatsächlich wurde die Rundfunkfinanzierung über die Steuer geprüft. Konkret hat der Bundesrat ein Modell geprüft, bei dem Radio und Fernsehen über eine Erhöhung der direkten Bundessteuer finanziert werden sollten.

Zwei gewichtige Argumente sprechen ­allerdings gegen diesen Weg. Zum einen müsste dafür die Verfassung geändert werden. Das hätte einen längeren Rechtssetzungsprozess zur Folge. Ein neues System wäre «nicht innert sachdienlicher Frist zu realisieren», schreibt der Bundesrat. Zum anderen würde eine Finanzierung über die Steuern die Staatsunabhängigkeit der SRG infrage stellen. Wenn das Geld für die öffentlichen Medien aus dem Staatshaushalt stammt, könnte die Politik ungleich ­stärker auf die Mittelzuteilung Einfluss nehmen. Vorstellbar wäre etwa, dass Parteien die SRG für missliebige Berichterstattung abstrafen wollen und in ­Budgetdebatten drohen, die Mittel zu kürzen. Da dies an den Grundfesten des schweizerischen Rundfunksystems ­rütteln würde, hat der Bundesrat bereits frühzeitig solche Varianten verworfen. Schliesslich sollen die SRG und die gebührenfinanzierten Privatsender auch in Zukunft als staatsferne Medien funktionieren können.
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