«10vor10»-Beitrag über Erbschaftssteuer beanstandet
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Mit eingeschriebenem Brief vom 15. Mai 2015 hat mir die Unabhängige Beschwerdeinstanz UBI Ihre Eingabe vom 11. Mai zur Behandlung weiter geleitet. Sie wurden darüber informiert. Sie beanstanden den Beitrag über die Abstimmung vom 14. Juni betreffend die Erbschaftssteuer in der Sendung „10vor10“ vom 11. Mai. Den Erhalt Ihrer Eingabe habe ich mit meinem Brief vom 18. Mai bestätigt.
Wie üblich, habe ich die Verantwortlichen von SRF gebeten, zu Ihren Kritiken Stellung zu beziehen. Dies ist erfolgt und in der Zwischenzeit habe ich die Angelegenheit analysieren können. Ich bin somit in der Lage, Ihnen heute meinen Schlussbericht zu senden und entschuldige mich für die Verspätung.
1. Sie begründen Ihre Beanstandung wie folgt:
„In diesem Beitrag wurde dargestellt, dass lediglich 2 % der Bevölkerung ein Einkommen über 2 Mio versteuern und von der neuen Steuer erfasst würden. Diese Aussage hält einer genauen Betrachtung nicht stand, da die vorgesehene Erbschaftssteuer ausdrücklich nicht den Steuerwert von Immobilien als Basis nimmt, sondern den Verkehrswert. Der Steuerwert von Immobilien ist in vielen Kantonen bei ca 60% des Verkehrswertes und in einigen wenigen noch um einiges geringer. Meine Erben müssten bereits die neue Erbschaftssteuer bezahlen, trotzdem ich zu den 69% gehöre, welche weniger als 1 Mio versteuern. Dies trifft auf die Mehrzahl der Immobilienbesitzer zu. Aus meiner Sicht war somit die Berichterstattung nicht korrekt, sondern unausgewogen. Deshalb erhebe ich Beschwerde.
Zudem ist von den Initianten offen gelassen worden, wie der Verkehrswert berechnet werden soll und in der Ausstrahlung wurde auch nicht dargelegt, dass bei einer Summe von 1,999 Mio keine Steuer zu zahlen ist, im Gegenzug aber bei einer Summe von 2,1 Mio 420.000 Fr. Erbschaftssteuer an den Fiskus abzuliefern sind – das heisst die Steuer beginnt nicht bei 2 Mio sondern bei 0.
Ich bin mir bewusst, dass in einer Ausstrahlung nicht alle Details dargelegt werden können, aber im vorliegenden Fall ist eine objektive Beurteilung nicht mehr möglich.“
2. Wie erwähnt, haben die Verantwortlichen von SRF zu Ihren Kritiken Stellung bezogen. Herr Christian Dütschler, Redaktionsleiter von „10vor10“, schreibt dabei Folgendes:
„Der Beitrag zeigt auf, weshalb die Initianten um Hans Kissling eine nationale Erbschaftssteuer einführen wollen – und was aus Sicht der Initiativ-Gegner, repräsentiert durch den Luzerner Volkswirtschafts-Professor Christoph Schaltegger, gegen eine solche Steuer spricht. Der Beitrag stellt die Frage in den Fokus, ob eine Erbschaftssteuer tatsächlich mehr Gerechtigkeit schaffe und zeigt auf, dass die Meinungen diametral auseinandergehen. Beide Seiten kommen mit ihren besten Argumenten zu Wort. Um im Hinblick auf den Urnengang am 14. Juni ausgewogen zu berichten, haben wir darauf geachtet, dass beiden Seiten etwa gleich viel Redezeit eingeräumt wird. Herr Kissling beansprucht insgesamt 45 Sekunden, Herr Schaltegger 48 Sekunden. Hans Kissling, der Befürworter, wird als einer der Väter der Erbschaftssteuer eingeführt, der die Schweiz auf diesem Weg gerechter machen will. Bei seinem Kontrahenten, Wirtschaftsprofessor und Initiativ-Gegner Christoph Schaltegger, wird einleitend gesagt, dass er der Ansicht ist, dass die Ungleichheit in der Schweiz viel weniger zunehme als im Ausland und Vermögen schon genug besteuert würden. Beide sind somit als Gegner beziehungsweise Befürworter klar erkennbar. In einem kurzen Zwischenteil nehmen ausserdem zwei Studenten – eine Pro und eine Contra Stimme – Stellung.
Herr X wirft uns in seiner Beanstandung vor, im Beitrag werde dargestellt, ‚dass lediglich 2% der Bevölkerung ein Einkommen über 2 Mio. versteuern und von der neuen Steuer erfasst würden. Diese Aussage hält einer genauen Betrachtung nicht stand, da die vorgesehene Erbschaftssteuer ausdrücklich nicht den Steuerwert von Immobilien als Basis nimmt, sondern den Verkehrswert. Der Steuerwert von Immobilien ist in vielen Kantonen bei ca. 60% des Verkehrswertes und in einigen wenigen noch um einiges geringer. Meine Erben müssten bereits die neue Erbschaftssteuer bezahlen, trotzdem ich zu den 69% gehöre, welche weniger als 1 Mio. versteuern. Dies trifft auf die Mehrzahl der Immobilienbesitzer zu.‘ Wir gehen davon aus, dass er nicht das Einkommen meint, sondern das Vermögen, da es bei der Initiative um eine Besteuerung des vererbten Vermögens geht. Der Beanstander stellt sich also auf den Standpunkt, dass mehr als 2% der Bevölkerung betroffen wären.
In unserem Beitrag sagen wir wörtlich: ‚Und 2 Prozent haben mehr als zwei Millionen Franken. Ihr Nachlass würde bei einem Ja zur Initiative besteuert.‘ Wir stützen uns dabei auf die Vermögensstatistik der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV), also auf offizielle Zahlen des Bundes.[1] Die Aussage ist also zulässig, wonach der Nachlass jener 2 Prozent, die gemäss ESTV mehr als zwei Millionen Franken Vermögen haben, bei einem Ja zur Initiative besteuert würde. Im direkten Anschluss weisen wir sogar noch zusätzlich darauf hin, dass die Initiativ-Gegner von höheren Zahlen als diesen 2 Prozent ausgehen, wie sie der ESTV-Statistik zu entnehmen sind. Wir führen sogar die inhaltlichen Gründe der Initiativ-Gegner an. Im Wortlaut: ‚Laut Gegnern wären viel mehr betroffen, da diese Statistik etwa Vorsorge-Gelder ignoriere.‘
Die Unterscheidung zwischen Steuer- und Verkehrswert thematisieren wir im Beitrag nicht. Das wäre nur dann sinnvoll gewesen, wenn wir im Anschluss ausführlich dargelegt hätten, worin sich diese Werte unterscheiden und welche Auswirkungen das Abstellen auf den Verkehrswert unter welchen Annahmen hätte. Das hätte den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen des Beitrags gesprengt.
Die Initianten stellen sich übrigens auf den Standpunkt, die öffentlichen Statistiken würden die Wirklichkeit ‚ziemlich gut‘ wiedergeben. Wörtlich sagt etwa Hans Kissling in einem Interview mit dem Tages Anzeiger: ‚Insgesamt bilden die öffentlichen Statistiken die Vermögensverteilung ziemlich gut ab [2]. Die Initianten gehen unabhängig vom Verkehrswert sogar davon aus, dass weniger als 2 Prozent betroffen wären [3]. Ihr Argument: Ein Grossteil der Liegenschaften werde von einem Elternpaar vererbt, von dem laut Initiative vier Millionen steuerfrei auf die Nachkommen übertragen werden kann. Nach Abzug der Hypotheken gebe es nur sehr wenige Fälle, in denen der Nettoverkehrswert 4 Millionen übersteige. Abschliessende Beweise haben beide Seiten nicht, dazu fehlen schlicht verlässliche Zahlen.
Ob am Ende weniger als 2 Prozent, genau 2 Prozent oder mehr als 2 Prozent der Bevölkerung betroffen wären, lässt sich mit dem bestehenden Datenmaterial nicht abschliessend bestimmen. Uns war wichtig, mit offiziellen Daten zu arbeiten und offenzulegen, dass diese teilweise in Frage gestellt werden.
Herr X schreibt in seiner Beanstandung weiter, es sei ‚von den Initianten offen gelassen worden, wie der Verkehrswert berechnet werden soll (...)‘. Auch das war nicht das Thema und hätte den Rahmen gesprengt. Zudem kritisiert der Beanstander: ‚(...) in der Ausstrahlung wurde auch nicht dargelegt, dass bei einer Summe von 1,999 Mio. keine Steuer zu zahlen ist, im Gegenzug aber bei einer Summe von 2,1 Mio. 420.000 Fr. Erbschaftssteuer an den Fiskus abzuliefern sind – das heisst die Steuer beginnt nicht bei 2 Mio. sondern bei 0.‘ Ganz abgesehen davon, dass auch dies den Rahmen des Beitrages gesprengt hätte, liegt der Beanstander mit seiner Aussage nicht richtig. Aus dem beiliegenden Schreiben des Eidgenössischen Finanzdepartements an unsere Redaktion geht hervor, dass ein Freibetrag von 2 Millionen Franken besteht und nur auf den Betrag, der darüber hinausgeht, Steuern erhoben werden. Wörtlich heisst es da: ‚Da die Definition aus der Botschaft gilt (sprich Freibetrag von 2 Mio.) haben Sie recht gehabt, der Zuschauer nicht.‘
Zusammenfassend möchten wir nochmals festhalten: Wir haben uns auf offizielle Zahlen gestützt. Zudem haben wir im Beitrag offengelegt, dass die Daten der ESTV teilweise angezweifelt werden, die Unterscheidung von Steuer- und Verkehrswert hätte den Rahmen des Beitrages jedoch gesprengt, und auf weitere konkrete Zahlenbeispiele haben wir ebenfalls aus diesem Grund verzichtet.
Wir sind überzeugt, dass sich die Zuschauerinnen und Zuschauer mit dem vorliegenden Beitrag sehr wohl eine eigene Meinung zum Thema Erbschaftssteuer bilden konnten. Aus diesen Gründen bitten wir Sie, die Beanstandung zurückzuweisen.“
3. Soweit die umfassende Stellungnahme des Redaktionsleiters von „10vor10“. Herr Dütschler argumentiert plausibel, warum seiner Meinung nach Ihre Beanstandung abgewiesen werden sollte.
Geht es nun um meine eigene Beurteilung, so gilt es zu berücksichtigen, dass es im Beitrag von 10vor10 weniger um die Erbschaftssteuer an sich geht, als vielmehr um die Frage, ob diese neue Steuer mehr Gerechtigkeit schafft. Diese Frage wurde kontrovers diskutiert. Es ist aber trotzdem zwingend, dass auch die Informationen über die nun verworfene Erbschaftssteuer stimmen.
Sie werfen 10vor10 vor, behauptet zu haben, dass „lediglich 2 % der Bevölkerung ein Einkommen über 2 Mio versteuern und von der neuen Steuer erfasst würden“. Als Beispiel nehmen Sie Ihre eigene Situation: Ihre Erben müssten bereits die neue Erbschaftssteuer bezahlen, obwohl Sie zu den 69% gehören, welche weniger als 1 Mio versteuern.
Hier liegt möglicherweise ein Missverständnis vor. Denn bei den in der Graphik von 10vor10 gezeigten Zahlen ging es nicht um das Einkommen und entsprechende Steuern, sondern nur um das Vermögen. Dies war im Beitrag korrekt ausgewiesen, betraf doch die Initiative die Besteuerung des Erbvermögens und nicht des Einkommens.
Ob die Anzahl Betroffenen genau „2 Prozent“ beträgt, lässt sich nicht genau eruieren. Dafür fehlen die notwendigen genauen Zahlen, welche – wie Sie zu Recht unterstreichen – auch vom jeweiligen Verkehrswert beeinflusst werden. Doch ist es nachvollziehbar, wenn sich 10vor10 auf die offizielle Vermögenstatistik der Eidgenössischen Steuerverwaltung bezieht. Auch wenn diese lediglich die Steuerperiode 2011 betrifft, ergibt sich daraus eindeutig, dass zirka 2 Prozent (genauer 1,91%) der Pflichtigen über ein Reinvermögen von mehr als 2 Mio Franken verfügen würden.
Sie kritisieren auch, dass in der Sendung nicht dargelegt worden sei, dass laut Initiative die Erbschaftssteuer über das gesamte Vermögen bezahlt werden müsste. Bereits bei einer Summe von 2,1 Mio würde man dem Fiskus 420.000 Franken Erbschaftssteuer abliefern, das heisst „die Steuer beginnt nicht bei 2 Mio, sondern bei 0“.
Tatsächlich war in der ganzen Kampagne nicht immer klar, ob von einem „Freibetrag“ oder von einer „Freigrenze“ die Rede ist. Die Unterscheidung ist wichtig: Sobald die Freigrenze von 2 Mio überschritten ist, zahlt man auf die gesamte Erbschaft/Schenkung Steuern. Bei einem Freibetrag zahlt man nur auf jenen Betrag Steuern, der die 2 Mio Grenze überschreitet. Sogar für die Initianten war diese Sache nicht klar, sie sprechen sowohl von Freibetrag als auch von Freigrenze.
Die Verantwortlichen von 10vor10 haben deshalb diese Frage der Eidgenössischen Steuerverwaltung unterbreitet. Die Antwort ist deutlich: Sowohl in der Botschaft wie auch im Abstimmungsbüchlein wird klar von einem „Freibetrag“ gesprochen. In Ihrem Beispiel hätte man somit bei einem Vermögen von 2,1 Mio nur 100.000 Franken versteuern müssen, was zu einem Steuerbetrag von 20.000 Franken geführt hätte.
Aus all diesen Gründen gelange ich zur Auffassung, wonach der Beitrag von 10vor10 als korrekt und sachlich zu werten ist. Das Publikum war somit in der Lage, sich über das Thema eine eigene Meinung zu bilden. Das Sachgerechtigkeitsgebot wurde nicht verletzt. Ihre Beanstandung, soweit ich darauf eintreten konnte, kann ich deshalb nicht unterstützen.
4. Ich bitte Sie, das vorliegende Schreiben als meinen Schlussbericht gemäss Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes RTVG entgegenzunehmen. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen UBI (Monbijoustrasse 51A, Postfach 8547, 3001 Bern) orientiert Sie der beiliegende Auszug aus dem Bundesgesetz über Radio und Fernsehen.
[1] Die Vermögensstatistik ist online abrufbar (auf Seite 11 ist die entsprechende Stelle zu finden): http://www.estv.admin.ch/dokumentation/00075/00076/00717/index.html?lang=de
[2] Etwa Hans Kissling in einem Interview mit dem Tagesanzeiger: http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Das-ist-eine-Kampfschrift-gegen-drei-Initiativen/story/13182978
[3] Mail von Hans Kissling an die Redaktion 10vor10 vom 19.Mai 2015.
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