«SRF-DOK ‹Die Macht des Volkes› war kritisch, nicht tendenziös»
«Fühlt das Schweizer Fernsehen der SVP wegen deren rechtsstaatlich heikler Initiativen auf den Zahn, so ist das nicht nur zulässig. Es gehört sogar zum Auftrag des Senders.» – Dies schreibt Tristan Brenn, SRF-TV-Chefredaktor SRF, im Kommentar in der «NZZ am Sonntag», nachdem zwei SVP-Nationalräte den DOK-Film «Die Macht des Volkes» (17.12.2015) bei der Ombudsstelle beanstandeten.
Die Ökonomie der Aufmerksamkeit hat banale Regeln. Zum Beispiel diese: Je kraftvoller und provokativer die Ausdrücke, umso grösser eben diese Aufmerksamkeit. Das weiss auch SVP-Nationalrat Alfred Heer. Und so poltert er im Dokumentarfilm «Die Macht des Volkes», den SRF am 17. Dezember 2015 zur besten Sendezeit zeigte: «Das ist das Kommunisten-Schweizer-Fernsehen (. . .) das sind alles linke Kommunisten.» Ebenfalls kein Blatt vor den Mund nahm SVP-Nationalrätin Natalie Rickli, die nach der Ausstrahlung des Films auf Twitter von «Staatspropaganda» sprach und mit Kollege Gregor A. Rutz eine Beanstandung bei der Ombudsstelle der SRG einreichte. Diese hat noch nicht entschieden. Ausdrücke wie Kommunistenfernsehen oder Staatspropaganda lassen aber auf ein seltsames Medienverständnis schliessen.
Ausdrücke wie Kommunistenfernsehen oder Staatspropaganda lassen aber auf ein seltsames Medienverständnis schliessen.
Die SRF-Journalistin Karin Bauer war in ihrem Film der Frage nachgegangen, welche Folgen die von der SVP lancierten Initiativen für ein Minarettverbot, zur Ausschaffung straffällig gewordener Ausländer oder zur Forderung «Schweizer Recht statt fremde Richter» für die direkte Demokratie haben. Es ging um grosse politische Themen, um die Frage, ob das Volk in der direkten Demokratie immer recht habe oder ob in einem Rechtsstaat das Prinzip der Gewaltenteilung darüber stehe. Was heisst es, wenn mit der Annahme von Volksinitiativen der geltende Rechtsstaat ausgehebelt wird? «‹Die Macht des Volkes› sucht nach Antworten auf eine der brisantesten Fragen unserer Zeit», hiess es in der Ankündigung des Films. So weit, so legitim. Müsste man meinen.
Es ging um grosse politische Themen, um die Frage, ob das Volk in der direkten Demokratie immer recht habe oder ob in einem Rechtsstaat das Prinzip der Gewaltenteilung darüber stehe.
Doch für Rickli und Rutz war schon die Themenauswahl des Filmes problematisch, weil einseitig. Es gebe schliesslich auch von linker Seite Vorstösse, welche die Grundrechte einschränken wollten, zum Beispiel «die Abschaffung des Bankgeheimnisses». Selbstverständlich kann man auch die Herausgabe von Steuerdaten kritisch unter die Lupe nehmen. Doch selbst wenn man diese aus freiheitlicher Sicht verurteilt und selbst wenn man nicht mit den Staatsrechtlern einiggeht, die in den SVP-Initiativen eine besondere Gefahr für Rechtsstaat und Menschenrechte sehen: Das ist, mit Verlaub, nicht der Punkt. Es geht darum, dass es Journalistinnen und Journalisten in diesem Land – auch wenn sie bei SRF arbeiten – erlaubt sein muss, ihre Themen so auszuwählen, wie sie es für richtig halten. Im Idealfall also nach ihrer politischen und gesellschaftlichen Relevanz. Ganz sicher nicht nach dem Gutdünken von Politikerinnen und Politikern. Das nennt man unabhängigen Journalismus. Gerade von Vorstandsmitgliedern der «Aktion Medienfreiheit», deren Präsidentin Rickli ist, müsste man hier eigentlich Zustimmung erwarten.
Es geht darum, dass es Journalistinnen und Journalisten in diesem Land – auch wenn sie bei SRF arbeiten – erlaubt sein muss, ihre Themen so auszuwählen, wie sie es für richtig halten.
Nun steht ausser Diskussion, dass sich der Film kritisch mit den Volksbegehren der SVP auseinandersetzte. Und ja, er ging das Thema aus der Sicht jener rechtsstaatlichen Werte an, die – wie im Film dargestellt – in Gefahr gerieten, wenn die Ausschaffungsinitiative oder die Durchsetzungsinitiative nach dem Wortlaut der SVP umgesetzt würden. Auch hier stellt sich die Frage, ob ein gebührenfinanzierter Fernsehsender mit öffentlichem Auftrag das darf. Auch hier ist die Antwort völlig klar: Ja, er darf.
Rickli und Rutz schreiben in ihrer Beanstandung, Ziel des «absolut tendenziösen» Filmes sei es gewesen, die SVP zu «diffamieren» und ihre Exponenten zu «diskreditieren». Sie liegen falsch damit. Selbstredend produziert SRF keine Filme, um eine Partei zu diffamieren. Und tendenziös wäre, wenn Fakten verdreht, aus dem Kontext gerissen oder weggelassen würden. Eine transparente, kritische Haltung ist aber nicht tendenziös, sondern trägt am effektivsten zur Meinungsbildung in einer Demokratie bei, sofern die Fakten stimmen und die im Film kritisch konfrontierten SVP-Vertreter mit ihren besten Argumenten zu Wort kommen. Das war der Fall, und wie. Insgesamt hatten die SVP-Exponenten sogar mehr Sendezeit als die anderen Protagonisten. Auch in der «Arena» wittern Wähler der SVP schnell ungleiche Behandlung, weil ihren Politikern angeblich dauernd das Wort abgeschnitten werde. Zählt man die Redezeiten zusammen, stellt sich nicht selten heraus, dass der eingeladene SVP-Politiker am längsten sprach.
Eine transparente, kritische Haltung ist aber nicht tendenziös, sondern trägt am effektivsten zur Meinungsbildung in einer Demokratie bei, sofern die Fakten stimmen und die im Film kritisch konfrontierten SVP-Vertreter mit ihren besten Argumenten zu Wort kommen.
Unfreiwillig komisch mutet der Vorwurf von Rickli und Rutz an, der Film habe den Eindruck vermittelt, «die Aktivitäten der grössten schweizerischen Regierungspartei würden subversive Absichten beinhalten». Könnte es sein, dass dieser Eindruck eher mit den Initiativen als mit deren Darstellung im Film zu tun hat? Oder mit dem Verhalten von Alfred Heer, der als moderner Subversiver von rechts mal ironisch, mal hemdsärmlig pöbelnd, immer jedoch auf alle Konventionen pfeifend im Film auftritt? Geschadet zu haben scheint es ihm nicht. Er habe nur positive Reaktionen gehabt, sagte er dem «Sonntags-Blick». Viele hätten sich bedankt, dass er seine Meinung vertreten habe. Meinungsbildung eben. Hüben wie drüben.
Tristan Brenn
Tristan Brenn, 50, ist seit knapp zwei Jahren Chefredaktor von Fernsehen SRF. Der Germanist und Historiker war schon zuvor in verschiedenen Funktionen bei SRF tätig, unter anderem als Redaktor bei der «Tagesschau» und bei der «Arena» sowie als Reporter und Produzent der «Rundschau», die er von 2007 bis 2011 auch leitete. (NZZaS)
- Hinweis: Der Schlussbericht des Ombudsmannes zum angesprochenen Ombudsfall 4120 ist noch in Bearbeitung. Achille Casanovas Beurteilung wird zu gegebener Zeit aufgeschaltet und ist nachzulesen unter srgd.ch/Ombudsstelle
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