«Europaweit einzigartige Klagemauer»
Der ehemals oberste Medienwächter ist der neue Ombudsmann: Roger Blum, Medienwissenschaftler und ehemaliger UBI-Präsident, erklärt im Gespräch mit LINK, wie er mit vermeintlichen publizistischen Fehltritten von SRF-Medienschaffenden umgehen will.
LINK: Herr Blum, Ihr Vorgänger, Achille Casanova, bezeichnete die Ombudsstelle als Klagemauer. Was halten Sie von dieser Bezeichnung?
Roger Blum: Das ist durchaus so und mit Absicht. Die Ombudsstelle ist eine niederschwellige Anlaufstelle, wo die Leute ihre Unzufriedenheit über Sendungen äussern können. Diese Klagemauer ist europaweit einzigartig. Im benachbarten Ausland sind die Beschwerdemöglichkeiten eingeschränkt oder viel komplizierter.
Achille Casanova hat bei Beanstandungen oftmals Verständnis gezeigt, aber immer wieder auf die Programmfreiheit hingewiesen und diese stets hochgehalten. Wo hört bei Ihnen die Medienfreiheit auf?
Die Grenze liegt dort, wo Leute aus dem Publikum willentlich und wissentlich manipuliert worden sind. Wenn also etwas verschleiert wird oder wenn in einem Beitrag nicht transparent ist, worum es eigentlich geht.
Gegenteilige Frage: Wo fängt für Sie die Medienfreiheit an?
Ohne Medienfreiheit keine Demokratie. Bei jedem Putsch wird zuerst einmal die Medienfreiheit eingeschränkt. Am Grad der Medienfreiheit kann man den Grad der Freiheit insgesamt ablesen. Wenn es keine freien Medien und damit keinen öffentlichen Diskurs mehr gibt, ist die Politik in der Hand von wenigen, welche autoritär bestimmen.
«Am Grad der Medienfreiheit kann man den Grad der Freiheit insgesamt ablesen.»
In der Zeit um die eidgenössischen Wahlen im letzten Herbst bemängelten zahlreiche – fast ausnahmslos der SVP zugewandte – Personen diverse Beiträge in Newssendungen als nicht sachgerecht. Besteht für die Ombudsstelle die Gefahr der Instrumentalisierung für Partei-Interessen?
Das würde ich so nicht sehen. Es ist das gute Recht von Bürgerinnen und Bürgern oder auch von politischen Lagern, sich an die Ombudsstelle zu wenden. Und es gibt immer auch berechtigte Beanstandungen von politischen Organisationen, die etwa bei Wahlsendungen zu kurz gekommen sind oder zu Sendungen nicht eingeladen wurden. Genau dafür ist die Ombudsstelle da.
Eben noch waren Sie als UBI-Präsident oberster Medienwächter der Schweiz – heute sind Sie Ombudsmann und beurteilen ausschliesslich Sendeleistungen von SRF. Ist dies kein Rückschritt auf der Karriereleiter?
Es sind zwei verschiedene Funktionen: Die UBI ist ein Gremium, es wird diskutiert, es gibt Auseinandersetzungen und am Schluss wird abgestimmt. Und es wird ein rechtsgültiger Entscheid gefällt wie bei einem Gericht. Die Ombudsstelle ist die erste Anlaufstelle mit Beratungs- und Vermittlungsfunktion. Sie soll die UBI entlasten, indem viele der Fälle abgeschlossen werden und die Leute keine eigentliche Beschwerde machen. Als Ombudsmann bin ich näher bei den Leuten und bei den Sendeverantwortlichen als die UBI. Das finde ich reizvoll.
«Als Ombudsmann bin ich näher bei den Leuten und bei den Sendeverantwortlichen als die UBI.»
Haben Sie neue Ansätze, die Sie als Ombudsmann einbringen wollen?
Ich möchte einmal jährlich mit den Programmschaffenden zusammenkommen und spezifische, bereits behandelte Fälle reflektieren. Auch möchte ich hin und wieder an Universitäten, Fachhochschulen und Journalistenschulen über die Beanstandungs- und Beschwerdeverfahren referieren und mit den Studierenden über Fragen der Medienfreiheit, der Medienqualität und über das Programmrecht diskutieren. Dies, um das Bewusstsein für die Grenzen der Medienfreiheit, aber auch deren Bedeutung zu schärfen.
Die allermeisten Verfehlungen in Radio- und TV-Beiträgen betreffen das Gebot der Sachgerechtigkeit. Wann ist ein Beitrag nicht sachgerecht?
Sachgerecht ist ein Beitrag, wenn die entscheidenden Fakten auf dem Tisch liegen und transparent sind. Wenn in einem Beitrag eine Person angegriffen wird, diese sich aber nicht dazu äussern kann oder ihre Argumente nicht zum Ausdruck kommen, ist dies unsachgerecht. Die eigentliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist aber nicht Aufgabe des Beanstandungs- bzw. Beschwerdeverfahrens nach RTVG, das ist Sache des Zivilgerichts. Wenn das Publikum aber durch eine Sendung die Diffamierung einer Person erlebt, können Ombudsstelle und UBI etwas dazu sagen.
Neben den Radio- und TV-Sendungen beurteilt die Ombudsstelle das übrige publizistische Angebot von SRF und damit auch die Online-Inhalte. Gelten für die digitalen Produkte dieselben Kriterien wie für den Rundfunk?
Es sind dieselben Kriterien. Aber es fehlt noch etwas an Erfahrung. Bei der SRG prüft die Ombudsstelle die Onlinebeiträge, wenn es eine Beanstandung dazu gibt. Neu wird mit Inkrafttreten des revidierten RTVG in diesem Jahr die UBI für Beschwerden im Onlinebereich zuständig sein. Dadurch werden neue Massstäbe gesetzt, wie man damit umgeht. Dies ist dann auch für die Ombudsstelle nützlich.
Als Ombudsmann gibt es gegenüber SRF keine Weisungsbefugnis, Sie können lediglich Empfehlungen abgeben. Ist das nicht unbefriedigend für Sie als Ombudsmann?
Nein, genau das gehört zur Medienfreiheit: Dass man diskutiert und im Diskurs gescheiter wird. Weisungsbefugnis gegenüber SRF hat nicht einmal die UBI. Nur Interne können Weisungen geben, Sendeverantwortliche, Chefredaktoren, Direktoren, allenfalls noch der SRG-Verwaltungsrat. Oder das Parlament, indem es das RTVG ändert.
Zur Person
Roger Blum präsidierte 2008 –2015 die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) und war von Herbst 2005 bis Ende 2007 stellvertretender Ombudsmann der SRG.D. 1991–2001 war er Präsident des Presserats. Bis zu seiner Professur an der Universität Bern war der Medienwissenschaftler, Historiker und Staatsrechtler journalistisch tätig, unter anderem beim «Tages-Anzeiger,» wo er 1985–1989 Mitglied der Chefredaktion war. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte hat er auf politische Kommunikation, Journalistik, Mediengeschichte und Mediensysteme gelegt und in diesen Bereichen mehrfach publiziert.
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