Der Mann hinter dem Programm: «Wir müssen es nicht allen recht machen, aber wir müssen allen etwas bieten»

Er ist die zentrale Figur hinter den Kulissen von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF): ­Hansruedi Schoch leitet als stellvertretender Direktor die Abteilung Programme und entscheidet damit massgeblich, was wir zu sehen und hören bekommen. Im Gespräch mit LINK erklärt Schoch, warum es gleichzeitig einfacher und schwieriger geworden ist, ein Angebot zu gestalten, das möglichst breite Bedürfnisse befriedigen muss.

LINK: Als Leiter der Abteilung Programme bei SRF bestimmen Sie massgeblich mit, was das Publikum von Schweizer ­Radio und Fernsehen (SRF) zu sehen und hören bekommt. In der Öffentlichkeit kennt man Ihre Person hingegen nicht. Sind Sie der Schattendirektor?
Hansruedi Schoch: Sicher nicht. Der ­Direktor steht im Rampenlicht und gibt öffentlich zu Programmfragen Auskunft. In dem Sinn teilen wir uns auch so auf. Ich bin ­natürlich involviert in alle Programmentscheide. Aber letztlich ist Ruedi Matter ­derjenige, der SRF gegen aussen vertritt.

Gemäss Organigramm ist die SRF-­Direktion um Rudolf Matter verantwortlich für die Programmstrategie. Müssen Sie einfach umsetzen, was oben entschieden wird?
Die Prozesse laufen in der Realität bei ­Weitem nicht so streng hierarchisch ab, wie man das aufgrund des Organigramms vermuten könnte. Meine Abteilung ist in vielen Belangen der Treiber der Strategie. So haben wir zum Beispiel die Digitalstrategie entwickelt, natürlich immer im Zusammenspiel mit allen Betroffenen und selbstverständlich auch mit der Direktion. Wir sind ein Unternehmen, das zunehmend lernt, interdisziplinär und über das eigene «Gärtli» hinaus gemeinsam Sachen zu entwickeln.

Und das funktioniert gut?
Das führt natürlich zu mehr Diskussionen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann das manchmal etwas unangenehm sein, wenn die Programmabteilung mit­redet und Entscheide infrage stellt. Aber für die Qualität der Produkte ist es extrem ­hilfreich, wenn man eine solche Diskus­sionskultur pflegt.

Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: Ab Herbst kommt eine neue Quiz-Sendung ins Programm von SRF 1. «Wir mal vier» mit Sven Epiney, ein klassisches ­Familienquiz. Welche Überlegungen führten dazu?
Wir haben schon vor längerer Zeit entschieden, am Montagabend zwei Quiz­formate anzubieten. «1 gegen 100» kommt enorm gut an beim Publikum. Aber wir ­fragen uns natürlich auch, wie lange das so gut funktioniert. Mit einem zweiten Format können wir den Wert von «1 gegen 100» über längere Zeit halten, weil wir dann nicht jeden Montag das gleiche Quiz ­zeigen. Darum gaben wir der Abteilung ­Unterhaltung den Auftrag, ein neues Quiz zu evaluieren.

Welche Vorgaben haben Sie gemacht?
Es sollte etwas Neues sein, das man nicht schon von anderen Sendern kennt. SRF hat eine lange Tradition sogenannter Generationenspiele, zuletzt etwa mit «5 gegen 5». Darum sollte dieser Aspekt auch beim ­neuen Spiel einfliessen. Und es muss ein Format sein, das zu unserem Auftrag passt. Der Zuschauer soll dabei etwas lernen. Wenn man sich international umsieht, gibt es relativ viele Zockerformate, von Glücksrad bis Slotmachine. So etwas wollen wir nicht. Die Entwicklung des Spiels übernimmt die Unterhaltungsabteilung. Irgendwann liegt ein Konzept vor, das kommt dann auch zu mir. Dann diskutiert man ­darüber. Habt ihr an alles gedacht? Funktionieren die einzelnen Elemente? Danach folgt der Entscheid, ob ja oder nein.

Geht das schnell oder dauert das lange, bis so eine neue Sendung steht?
Mein Credo lautet: Wenn wir es irgendwie stemmen können, dann sollten wir es ausprobieren und aufgrund des konkreten Formats schauen, wie wir es weiterent­wickeln und ab wann es reif ist. Genau so gingen wir bei «SRF 3 punkt CH» vor, der neuen täglichen Sendung auf Radio SRF 3 mit Musik aus der Schweiz. Da haben wir auch nicht ewig entwickelt. Weil es inzwischen so viel gute Schweizer Musik gibt, fanden wir, dass dafür eine wöchent­liche Sendung nicht mehr ausreicht. Umgesetzt war das Format dann schnell, aber es wird sich nun weiter verändern.

Woher kommt dieses höhere Tempo?
Da lernen wir schon viel von der digitalen Welt. Schneller reagieren, nicht überstürzt, aber mit einem gewissen Tempo und nicht immer alles im Voraus schon perfekt machen wollen. Beim Fernsehen galt lange der Anspruch, bereits bei der ersten Sendung in jedem Belang die bestmögliche Qualität zu bieten. Dort sind wir flexibler geworden. Natürlich auf einem gewissen Niveau, aber wenn’s nicht funktioniert, schrauben wir am Format oder machen etwas anderes.

Das Auslandmagazin «#SRFglobal» sieht nach einer schnell entwickelten Sendung aus. Warum hat es dann sechs Jahre ­gedauert, bis SRF endlich ein Ausland­magazin auf die Beine stellen konnte?
Die Vorgeschichte dauerte sogar noch länger als sechs Jahre. Lange Zeit warteten wir darauf, ausreichend Mittel zur Verfügung zu haben für ein richtiges Auslandmagazin mit langen Reportagen. Irgendwann hat es mir «den Nuggi rausgehauen» und auch die Chefredaktion fand, dass wir die Sache anders angehen sollten. So versuchten wir mit ganz wenig Geld, möglichst viel raus­zuholen. Von dem Moment an ging es dann ziemlich schnell. Es brauchte aber einen Grundsatzentscheid, dass wir uns vom Traum verabschiedeten, irgendwann mit ganz viel Geld ein Hochglanzformat ­aufziehen zu können. Nun haben wir eben ein Low-Key-Projekt realisiert, das von ­unseren ­Korrespondentinnen und Korrespondenten lebt und von ihrem Blick auf Brennpunkte des Weltgeschehens.

Die SRG und damit auch SRF stehen unter verstärkter Beobachtung durch Politik und Publikum. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Selbstverständlich verfolge ich die Diskussionen. Aber die politische Debatte darf unser Programm nicht beeinflussen. Wir haben einen Auftrag, der kann sich in ­Zukunft verändern, aber bis jetzt gilt die laufende Konzession und darin steht unter anderem, dass wir unabhängig von politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Interessen unsere Programme gestalten sollen. Wir wären extrem schlecht beraten, wenn wir aufgrund des Debattenverlaufs mal in diese Richtung und dann wieder in eine andere ziehen würden.

Ganz ohne Einfluss auf Ihre Arbeit wird die Service-public-Debatte wohl kaum bleiben.
Nur weil die Diskussion nun öffentlich und medial so hochschwappt, reiben wir uns jetzt nicht die Augen und sagen: Oh, da gibt es noch einen Service public! Seit ich hier arbeite, ist das ein Thema. Erfüllen wir unseren Auftrag? Werden wir den Anforderungen gerecht? Welcher Mix im Programm ist der richtige? Das beschäftigt uns dauernd.

In letzter Zeit standen die Zeichen auf Abbau. Die SRG spart 40 Millionen ­Franken ein, SRF und tpc bauen rund 100 Stellen ab. Nach welcher Logik ­erfolgten die Abstriche im Programm?
In der Geschäftsleitung haben wir von ­Anfang an gewisse Felder definiert, wo wir sicher nichts abbauen wollen. Zum Beispiel bei den Kinder- und Jugendange­boten, die in früheren Sparrunden bluten mussten. Diesmal aber nicht. Auch im Digital­bereich wollten wir nicht abbauen. Einsparungen gibt es nun vor allem im Sommer, wenn sowieso weniger Leute zuschauen als im Winterhalbjahr.
Die Szenarien für die mittel- und längerfristige Finanzierung von Schweizer ­Radio und Fernsehen reichen von stabi­len Verhältnissen auf heutigem Niveau
bis zum Zudrehen des Gebührenhahns bei einer Annahme der «No-Billag»-Initiative. Was bedeuten diese ungewissen ­Aussichten für die Programmplanung?

Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass es nie mehr Geld gibt, als wir bisher je ­hatten. Im besten Fall bleibt der Mittelfluss konstant. Da wir nicht wissen, welches ­Szenario eintrifft, müssen wir versuchen, das Unternehmen laufend so zu verändern, dass wir möglichst flexibel auf alle Anforderungen reagieren können.

Als Medienhaus, das bald von allen Schweizer Haushalten finanziert wird, ­unabhängig davon, ob sie das Angebot ­nutzen oder nicht, steht die SRG in einer besonderen Verantwortung – sie muss es allen recht machen. Eine unmögliche Aufgabe.
Wir müssen es nicht allen recht machen, aber wir müssen allen etwas bieten. Das ist einfacher geworden. Als ich 1993 an­gefangen habe, für Schweizer Fernsehen zu ­arbeiten, gab es beispielsweise einen einzigen Fernseh­kanal. Heute haben wir SRF 1 und SRF zwei und dank dem ­Internet die Möglichkeit, sehr viele verschiedene Inhalte zu platzieren und zur zeitversetzten Nutzung an­zubieten. Das kommt dem Vielfaltsanspruch entgegen.

Apropos Vielfalt: SRF steht regelmässig in der Kritik, in seinen Programmen eine «Heile-Welt-Schweiz» zu zeigen. So lautete denn auch eine der häufigsten Fragen bei «Hallo SRF!»: «Warum zeigt SRF eine vorwiegend ländliche, idyllische Schweiz?»
Wenn man unser Gesamtprogramm anschaut, hat das «bluemete Trögli» darin kein übermässiges Gewicht. Das ist ein relativ kleiner Prozentsatz. Aber die Sendungen, die eine eher ländliche Schweiz zeigen, sind extrem erfolgreich. Mit «SRF bi de Lüt» erzielen wir regelmässig einen Marktanteil von 40 Prozent oder knapp darunter. Wir ­haben mehrere Hunderttausend Leute, die das schauen. Das führt dazu, dass der Eindruck entsteht, dass solche Sendungen ein grösseres Gewicht hätten im Programm. Aber wie gesagt, das stimmt nicht.

Wenn dem nicht so ist, aber trotzdem der Eindruck besteht, dann hat SRF ein ­Vermittlungsproblem. Sollte Sie aktiver kommunizieren, warum welche Programme ausgestrahlt werden und welche Überlegungen dahinterstehen?
Beim direkten Dialog mit dem Publikum haben wir ganz klar Nachholbedarf. Aber gerade mit «Hallo SRF!» und nun auch bei der «Arena» pflegen wir den Publikums­dialog intensiv und, wie ich meine, auch sehr erfolgreich. Wenn ich die letzten «Arena»-Sendungen anschaue und sehe, welchen Mehrwert die via Publikums­aufruf gecasteten Gäste der Sendung gebracht ­haben, dann ist das sicher wertvoll. Auf diesem Weg wollen wir weitergehen.

Ein Sorgenkind ist das junge Zielpublikum. Verliert SRF den Draht zur Jugend?
Ganz so schlimm ist es nicht. Wir sind mit dem linearen Radio und Fernsehen bei der Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen weiterhin sehr stark. Aber das allein reicht nicht mehr. Darum wollen wir vermehrt ­Inhalte, die SRF bereits heute produziert und die auch für das junge Publikum interessant sein könnten, neu verpackt aus­spielen. Zum Beispiel auf Instagram oder anderen Social-Media-Plattformen, wo sich die Leute aufhalten.

Sie haben selbst fünf Kinder zwischen 13 und 29 Jahren. Also genau die ­so­genannte «junge Zielgruppe». Was beobachten Sie da?
Wenn es eine Erkenntnis gibt, dann die, dass es nicht eine einheitliche «junge Zielgruppe» gibt. Meine fünf Kinder haben je ein komplett unterschiedliches Medienverhalten entwickelt. Das sind individuelle Muster, je nach Interessenlage. Das Alter ­allein ist nicht einmal so entscheidend.

Sie waren zwischenzeitlich TV-Chef­redaktor, dann verschwanden Sie wieder hinter den Kulissen. Haben Sie sich damit arrangiert, dass die Posten an der Front von anderen besetzt werden?
Für mich ist die Sache wichtig, nicht meine Person. Wenn ich etwas vermisse, dann ist es die Arbeit als Journalist. Aber schon als Reporter stand ich lieber hinter der Kamera. Live-Schaltungen habe ich nie wahnsinnig gern gemacht. Mein Job ist heute derart vielfältig und spannend, dass ich es nicht brauche, dauernd im Rampenlicht zu stehen.

Text: Nick Lüthi

Bild: SRF / Oscar Alessio

Zur Person und Abteilung

Hansruedi Schoch (50) ist seit der Zusammenlegung von Schweizer Radio DRS und Schweizer Fernsehen 2011 Leiter der ­Abteilung Programme. Zuvor war er ­Chefredaktor, Stv. Chefredaktor, Leiter ­Magazine und Programmentwickler sowie Redaktor. Seine Abteilung Programme verantwortet das Gesamtangebot von SRF: TV, Radio und Multimedia. Sie stellt insbesondere sicher, dass die Angebote zielgruppengerecht, gemäss Service-public-Auftrag ausgerichtet und nach Möglichkeit vektorübergreifend ausgestaltet sind.

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