«Hochrisikobusiness» – Das harte Geschäft der Programmentwicklung
Hohes Risiko, kaum Ertrag: Eigenentwicklungen lohnen sich nicht. Viele Sender entscheiden sich deswegen vermehrt für Einkäufe. Anders SRF – seit jeher setzt der öffentliche Sender auf Innovation im eigenen Haus. Wieso dieses Risiko und was macht das Fernsehgeschäft so riskant?
Es ist eine fantastische Welt, die über die Leinwand flimmert. Riesige Schlösser, atemberaubende Landschaften, schnelle Schnitte – Könige, Herzoge, Damen in wallenden Seidengewändern. «Versailles», erklärt Arianne Gambino, Programmleitung TV, im abgedunkelten Raum, ganz zuoberst im Leutschenbachturm, ist die bis anhin teuerste europäische Fernsehserie. 30 Millionen Euro investierte der französische Privatsender Canal+ in die Geschichte um den Sonnenkönig Ludwig XIV. «Mit dem erklärten Ziel natürlich, die Staffel in möglichst viele Länder zu verkaufen», erzählt die Fachspezialistin, während sie zur nächsten Sendung wechselt: Sport.
«Mediasnacks» heisst diese Veranstaltung, die Gambinos Team alle zwei Monate veranstaltet. Während rund einer Stunde zeigt sie den 80 teilnehmenden SRF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern bei Bagels und Getränken, was Fernsehanstalten auf der ganzen Welt Neues ausgeheckt haben. Ihr Ziel: Die Teilnehmenden sollen etwas an ihren Arbeitsplatz mitnehmen, «Altes» mit «neuen» Augen betrachten. Und das Gezeigte ist spannend: Da hat zum Beispiel ein deutsches Team Spitzensportler begleitet und deren Weg in einer aufwändigen Webserie hautnah aufgezeigt. In den Staaten versucht ein Projekt mit gerappten Sportnews und lustigen Neusynchronisationen, die Sportfans zu erobern.
Einkaufen im Sendungsshop
Erwartet die Schweizer Zuschauerinnen und Zuschauer also bald weltweite Innovation auf eidgenössisch? Wohl kaum, denn was in der Theorie so einfach klingt, ist knallhartes Geschäft. Als «Hochrisikobusiness» bezeichnet Programmentwickler Unterhaltung Yves Schifferle die Kreation einer neuen Sendung. Der 40-Jährige spricht aus Erfahrung; für deutsche Privatsender hat er «Rent a Pocher» entwickelt, für SRF «Happy Day». Seit Februar ist er nach Abstechern zu ProSieben und Joiz zurück bei SRF als Programmentwickler Unterhaltung. Zuerst steht da die Idee. Entweder finden Ausschreibungen statt oder Aufträge werden direkt der Redaktion erteilt. Festigt sich eine Idee zu einem handfesten Konzept, untersucht die Marktforschung deren Tauglichkeit. Ist auch diese Hürde überstanden, beginnt die Pilotierung – eine erste Folge wird gedreht. Noch immer kann jetzt eine Sendung scheitern, bevor sie die grosse Bühne der Fernsehwelt erreicht hat. Dann nämlich, wenn ein nach wissenschaftlichen Kriterien ausgewähltes Testpublikum die Sendung mit einem Daumen nach unten bewertet.
Um dieses Risiko zu mindern, setzen viele Sendestationen, darunter auch SRF, auf Lizenzierungen. Unternehmen wie Endemol («Wer wird Millionär», «1 gegen 100»), Freemantle Media («Got Talent», «The X Factor») oder Constantin («Frauentausch», «Shopping Queen») bieten fixfertige und vor allem getestete Formate zum Verkauf. «Diese Sendungen haben Marktreife erlangt», erklärt Schifferle deren Vorteile. «Das heisst, wir sehen, wie eine Sendung in verschiedenen Ländern performt hat und welche Zielgruppe sie anspricht.» Trotzdem muss auch in diese Fertig-Menü-Sendungen investiert werden. «Kaum ein Format kann eins zu eins übernommen werden. Jede Sendung muss an unsere Gegebenheiten, die Kultur und die Mentalität angepasst werden. Manchmal gar so stark, dass man das Original fast nicht mehr erkennt.»
Exportschlager «Seoska gozba»
Harte Konkurrenz, hohe Produktionskosten – Fernsehmachen ist ein kompetitives Geschäft, der Schweizer Markt gilt gar als der härteste der Welt. Wieso das? «Wir haben ein Publikum von maximal fünf Millionen Deutschschweizern», erklärt Schifferle, «müssen das aber inzwischen mit 80 ernsthaften Mitbewerbern teilen.» Denn obwohl SRF nur für die Schweiz produziert, buhlt auch die ausländische Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der hiesigen Zuschauerinnen und Zuschauer. Viele Schweizer Mitbewerber lassen sich kaum auf das Geschäft mit Eigenproduktionen ein – zu teuer, zu hohes Risiko.
Als gebührenfinanzierter Sender ist SRF diesen Marktgesetzen nicht unterstellt und kann auf das Schweizer Publikum zugeschnittene Sendungen produzieren. Dabei gilt das Schweizer Unternehmen schon fast als Exot: Als eines der wenigen Unternehmen entwickelt und produziert es viele seiner Formate noch selbst. «Die meisten privaten wie öffentlichen Sender lagern die gesamte Produktion an private Unternehmen aus», so Schifferle. «Wir sind stolz, dass wir redaktionelles Know-how und technische Kompetenz unter einem Dach vereinen und damit unabhängig sind.» Die Zahlen bestätigen es: Zwei Drittel aller Unterhaltungssendungen tragen «Leutschenbach» in ihrem Geburtsschein. Und sie scheinen erfolgreich zu sein – in «Seoska gozba» kochen kroatische Frauen nach dem Vorbild der «Landfrauenküche». Nur eines von vielen verkauften Formaten.
Qualität statt Massenware
Die öffentliche Finanzierung setzt aber auch Schranken. Während viele Privatsender mehr oder weniger freiwillig auf günstige Produktionen setzen – sogenannte «Scripted Reality», fiktionale Dokumentationen mit Laiendarstellern – muss SRF dem Leistungsauftrag gerecht werden. «Als Service-public-Sender müssen und wollen wir gewisse Qualitätsstandards erfüllen. Ausserdem schreibt das Leben immer noch die spannendsten Geschichten, wir brauchen gar keine zu erfinden», erklärt Schifferle. Identität stiften sollen seine Unterhaltungssendungen: «Berühren, inspirieren, Wissen vermitteln oder zum Nachdenken anregen. Dann haben wir etwas richtig gemacht.»
Doch der Wind bläst wegen der Service-public-Debatte und der «No-Billag»-Initiative stärker am Leutschenbach. Angst verspürt der Vollblutprogrammentwickler Schifferle aber nicht. «Man kann dieser Entwicklung nur entgegenwirken, indem man starke Geschichten sucht, welche die Zuschauerinnen und Zuschauer interessieren und berühren.» Denn ohne Service public, ist Schifferle überzeugt, gäbe es kein qualitatives Unterhaltungsfernsehen in der Schweiz. Zu teuer, zu wenig Zuschauer – Unterhaltung lässt sich in der Schweiz kaum refinanzieren.
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