«Rundschau» über Suizid-Fall in Malters beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 31. März 2016 haben Sie den Beitrag „Suizid-Drama von Malters“ in der Sendung „Rundschau“ von Fernsehen SRF vom 30. März 2016 beanstandet. Ihre Zuschrift erfüllt alle Anforderungen einer Beanstandung vor der Ombudsstelle. Folglich kann ich darauf eintreten.

A. Sie begründen Ihre Beanstandung wie folgt:

„1. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, konnte die Staatsanwaltschaft ihren Standpunkt nicht oder nur unzureichend einbringen. Hingegen konnten sich die Anwälte der Opferseite nach ihrem Ermessen frei äussern und die Sachverhalte nach ihrem Gutdünken darstellen. Diese wurde durch einen ‚sogenannten Experten‘ untermauert;

2. Beim anschliessenden Interview fällt Frau Wille hauptsächlich durch Suggestivfragen auf, wie ‚Sind Hanfpflanzen ein Menschenleben wert?‘ und hakt bei entsprechendem Nichtgefallen der Antwort nochmals nach.

Ich stelle mir unter seriösem, neutralen Journalismus etwas Anderes vor.“

B. Bevor ich mich selber mit der Beanstandung befasste, wurde die zuständige Redaktion eingeladen, dazu Stellung zu nehmen. Herr Mario Poletti, Redaktionsleiter der Sendung „Rundschau“, äußerte sich so:

„Gerne nehmen wir wie folgt Stellung zur Beanstandung von Herrn X.

Bei einem Polizeieinsatz in Malters am 9. März 2016 hat sich eine 65-jährige Frau das Leben genommen. Der zuständige Luzerner Justiz- und Sicherheitsdirektor Paul Winiker hat in der ‚Rundschau‘ vom 30. März 2016 festgehalten, Ziel dieses Einsatzes sei gewesen, den Suizid der Frau zu verhindern. Dieses Ziel sei nicht erreicht worden.

Die wohl fundamentalste Aufgabe des Staates ist der Schutz des Lebens seiner Bürgerinnen und Bürger. Es besteht deshalb in diesem Fall ein hohes öffentliches Interesse daran, das Handeln der Polizei als Organ staatlicher Gewaltanwendung kritisch zu hinterfragen. Gemäss Sendemandat gehören Recherchen dieser Art zum Auftrag des Politmagazins ‚Rundschau‘ von SRF.

Die Beanstandung bemängelt, dass die Staatsanwaltschaft ihren Standpunkt wegen des laufenden Verfahrens nicht oder nur unzureichend einbringen konnte. Der Autor hat Oberstaatsanwalt Daniel Burri und den Sprecher der Staatsanwaltschaft Luzern mehrfach per Mail mit seinen Fragen konfrontiert. Denn grundsätzlich wäre es sehr wohl möglich gewesen, zu allgemeinen Fragen wie etwa der Polizeitaktik oder des Beizugs eines Psychiaters zu antworten.

Alle Kontaktversuche blieben jedoch unbeantwortet, es erfolgte auch kein Hinweis auf das laufende Verfahren.

Umso wichtiger war es, die Opferseite kritisch zu befragen. So wurde Dr. Flurin von Planta, einer der Opferanwälte, mit der Frage konfrontiert, weshalb er selbst den Kontakt zur Polizei nicht intensiver gesucht habe. Denn von Planta führte kurz vor dem Zugriff ein Telefongespräch mit der verschanzten Frau, worin sie ihre Suizidabsichten unmissverständlich wiederholte. Der Anwalt hat es aber unterlassen, den Polizeioffizier hartnäckig auf dem Laufenden zu halten. Ebenso hat der Autor im Kommentartext deutlich gemacht, dass die Einsatzleitung auch den Schutz der eigenen Beamten sicherzustellen hatte.

In der Beanstandung wird der deutsche Polizeipsychologe Dietmar Heubrock als „sogenannter“ Experte apostrophiert. In der Einführung wurde dem Publikum klar dargelegt, dass Heubrock als einer der renommiertesten Fachpersonen in diesem Bereich gilt.

Mit dem Auftritt von Regierungsrat Paul Winiker an der Theke kam schliesslich der politisch Verantwortliche für den Polizeieinsatz zu Wort. Der Beanstander bemängelt auch die Gesprächsführung durch Moderatorin Susanne Wille. Es gehört zur Anlage dieser Gespräche, dass offene Fragen direkt gestellt werden. Wer an die Theke der Rundschau kommt, weiss, dass ihn ein kritisches, aber faires Interview und kein Gefälligkeitsgespräch erwartet. Als Regierungsmitglied des Kantons Luzern ist Paul Winiker zudem gewandt in öffentlichen Auftritten. Regierungsrat Winiker ist denn auch souverän und sympathisch aufgetreten. Winiker konnte im Gespräch wiederholt auf die anspruchsvolle Arbeit der Polizei hinweisen – und er wehrte sich gegen eine Vorverurteilung des Polizeikommandanten. Die Staatsanwaltschaft hat den Justiz- und Sicherheitsdirektor nachweislich kurz vor der Sendung auf den neuesten Stand gebracht. So konnte Winiker in der Sendung im Rahmen der Möglichkeiten auch die stärksten Argumente von Polizei und Justiz vortragen.

Aus diesen Gründen bitten wir Sie, Herr Blum, die Beanstandung zurückzuweisen. Wir haben die Fakten umfassend präsentiert und alle relevanten Stellen damit konfrontiert. Wir sind der Auffassung, dass sich das Publikum so eine eigene Meinung zum Polizeieinsatz von Malters bilden konnte.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung. Es geht darum, Ihre Argumente und die der Redaktion gegeneinander abzuwägen, und zusätzlich vor allem zu überprüfen, was das Publikum im Beitrag eigentlich gesehen hat. Sie haben natürlich Recht: Wenn laufende Verfahren im Spiel sind, ist die Berichterstattung immer heikel, und es kann durchaus darauf hinauslaufen, dass die eine Seite redet und die andere schweigt. Es stellt sich daher die Frage, ob es überhaupt opportun, richtig und zulässig war, dass die „Rundschau“ diesen Film gedreht hat. Grundsätzlich gilt: Medien können sich ihre Berichterstattung oder ihre Nicht-Berichterstattung nicht von den Untersuchungsbehörden, der Justiz oder der Polizei diktieren lassen. Medien müssen eigenverantwortlich entscheiden, ob und worüber sie berichten. Dabei sind vor allem die Relevanz des Themas, das öffentliche Interesse und die Betroffenheit bestimmter Bevölkerungsgruppen die Kriterien. Falls in einem Themenbereich Strafuntersuchungen laufen, muss dies nicht automatisch dazu führen, dass die Medien auf Berichterstattung verzichten. Es gehört zum Beispiel zu ihrer Kritik- und Kontrollfunktion, sich zu Wort zu melden, wenn eine Strafuntersuchung nicht vorangeht oder wenn hinter den Kulissen gemauschelt wird.

Im konkreten Fall waren der Polizeieinsatz und der Suizid von Malters ein öffentliches Thema; alle Medien berichteten darüber. Es war legitim, wissen zu wollen, warum der Polizeieinsatz so stattfand und warum es nicht gelang, den Suizid der 65jährigen Frau zu verhindern. Es sprach daher nichts gegen die Recherche und den Bericht von Roman Banholzer.

Wer sich den Beitrag ansah, wurde zunächst Zeuge eines „Tatort“-ähnlich nachgestellten Polizeieinsatzes. Man erfährt, dass die Polizei in Malters in ein Mehrfamilienhaus eindringen wollte, in dem sich eine 65jährige Frau verschanzt hatte, die schon längere Zeit psychische Probleme hatte und bei der eine paranoide Schizophrenie festgestellt wurde. Die Frau befand sich mit ihrer Katze und bewaffnet in der Wohnung ihres Sohnes, der in Zürich wegen Hanfproduktion in Untersuchungshaft sass. Die Bewohner der anderen Wohnungen waren evakuiert worden, und nach längeren, rund zweitägigen Verhandlungen stürmte die Polizei das Haus, konnte aber nicht mehr verhindern, dass die Frau zuerst ihre Katze und dann sich selber erschoss. Die „Rundschau“ erhielt bei ihren Recherchen von der Staatsanwaltschaft und der Polizei keine weiteren Auskünfte, redete aber mit dem früheren Anwalt der Frau und mit dem Anwalt des Sohnes sowie mit dem Bremer Professor Dietmar Heubrock, der Rechtspsychologie lehrt. Heubrock, der keineswegs ein „sogenannter Experte“ ist, wie Sie annehmen, sondern sich in dem Gebiet bestens auskennt und viel publiziert hat [1], zeigt auf, was man hätte tun können, damit der Suizid vermieden worden wäre. Es wird aber auch deutlich, dass die Polizei von der Psychiatrischen Klinik und von einem der Anwälte hängen gelassen wurde. Insofern war der Beitrag sehr differenziert.

Doch man fragte sich die ganze Zeit: Warum musste eigentlich diese Wohnung gestürmt werden? Der beschuldigte Sohn sass ja bereits in Untersuchungshaft. Wozu war das polizeiliche Großaufgebot gut? Dieses Rätsel löste der Beitrag nicht auf, sondern die Antwort auf diese Fragen gab dann erst Regierungsrat Paul Winiker im Interview. Er wies darauf hin, dass die Luzerner Polizei im Auftrag der Zürcher Kollegen handelte, dass man sich organisierter Kriminalität gegenübersah und dass die Polizei in der Wohnung nicht nur Hanf, sondern auch ein Waffenlager gefunden habe.

Das Interview mit Regierungsrat Winiker, das untadelig war, glich so allfällige Schwächen des Beitrags aus. Susanne Wille stellte keineswegs ungehörige Fragen; sie führte das Gespräch hartnäckig, aber nicht fies. Es war ein Interview, bei dem der Gesprächspartner gefordert war, aber nicht vorgeführt wurde. Der Luzerner Justiz- und Sicherheitsdirektor antwortete souverän und klar. Er trug zur Aufklärung bei, ohne der laufenden Untersuchung durch einen außerkantonalen Staatsanwalt vorzugreifen. Er machte mehr als wett, was die schweigenden Polizei- und Justizbehörden durch ihre Auskunftsverweigerung versäumt hatten.

Sie sagen am Schluss Ihrer Beanstandung, dass Sie sich unter seriösem, neutralem Journalismus etwas Anderes vorstellen. Da liegt zur Hälfte ein Missverständnis vor. Journalismus soll seriös sein. Er soll sich auszeichnen durch solide Recherche und durch kluge Analyse. Aber Journalismus muss nicht durchwegs neutral sein. Beiträge in Radio und Fernsehen dürfen auch anwaltschaftlich, kritisch sein. Entscheidend ist, dass die, die kritisiert werden, sich wehren können. Und das war hier der Fall: Regierungsrat Paul Winiker konnte die Vorwürfe parieren, und er hat es hervorragend getan. Ich kann daher Ihr negatives Urteil über die Sendung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] https://www.ipk.uni-bremen.de/de/mitglieder/heubrock/heubrock_lang.html

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