Achille Casanova – Pflichtgefühl und Konkordanz. Würdigung eines Weggefährten von Roger Blum

Achille Casanova liebte die Schweiz, die direkte Demokratie, die Konkordanz und die Medienfreiheit. Nur so sind sein Pflichtgefühl und sein Dienst für die Res publica zu erklären.

Schmunzelnd erzählte Achille Casanova bei Gelegenheit, wie er an die Sitten und Bräuche im schweizerischen Politikbetrieb gewöhnt wurde: An seiner ersten Bundesratssitzung als Vizekanzler ging es um ein heftig diskutiertes Tessiner Problem. Casanova, der sich als Tessiner darin auskannte, meldete sich zu Wort, und Bundespräsident Kurt Furgler erteilte es ihm. Nach der Sitzung musste sich der neue Vizekanzler eine Philippika von Bundeskanzler Walter Buser anhören: Was ihm eigentlich einfalle, sich an der hehren Bundesratssitzung zu Wort zu melden, er habe hier kein Rederecht, dieses Recht sei den vom Parlament gewählten Magistraten vorbehalten (also den sieben Bundesräten und dem Bundeskanzler). Erst 19 Jahre später, als Casanova den Zusatztitel «Bundesratssprecher» erhielt, durfte er an den Bundesratssitzungen ebenfalls das Wort ergreifen, allerdings nur zu Informationsfragen.

Achille Casanova war die wandelnde Konkordanz. Oft war den Bundesräten am Schluss nicht klar, was sie nach langer kontroverser Diskussion eigentlich beschlossen hatten, aber der Vizekanzler konnte auch wirre Beschlüsse vor den Medien verständlich und einleuchtend zusammenfassen. Und er fand die richtigen Worte. Als der republikanische New Yorker Senator Alfonse d’Amato, der gegen die Schweiz wegen der nachrichtenlosen Vermögen Gift und Galle gespien hatte, 1998 seinen Sitz verlor, fragte ein Journalist, ob diese Abwahl ein Thema an der Bundesratssitzung gewesen sei. Augenzwinkernd antwortete Casanova: «Der Bundesrat hat davon Kenntnis genommen – natürlich mit dem grössten Bedauern.»

Sachliche Information als Richtschnur

Wie viele andere Schweizerinnen und Schweizer habe ich Achille Casanova in den siebziger Jahren über den Fernseh-Bildschirm kennengelernt, wo er als Journalist sprachgewandt für alle Landessender jeweils die neu- oder wiedergewählten Bundesräte interviewte. In meiner Zeit beim «Tages-Anzeiger» erlebte ich ihn dann in den achtziger Jahren als direktes Gegenüber an Medienkonferenzen des Bundesrates. Mein Kollege Richard Aschinger schrieb einmal, solange das Schweizer Volk über Radio und Fernsehen Casanovas sonore Stimme mit dem speziellen Tessiner Akzent höre, dann wisse es auch in einem Kriegsfall, dass der Bundesrat noch im Amt sei. Der Vizekanzler war der Garant für Legalität und Legitimität. Er hatte eine hohe Achtung vor dem Souverän. Das kam beispielsweise darin zum Ausdruck, dass er strikt dagegen war, wenn die Bundeskanzlei und die Bundesverwaltung vor Volksabstimmungen Staatspropaganda betrieben. Er war dafür, dass man informiert und aufklärt, nicht aber agitiert. 2005, ein Jahr vor seinem offiziellen Pensionsalter, trat er als Vizekanzler zurück, auch, weil ihm die seit kurzem verstärkte Polarisierung im Bundesrat nicht behagte. Im gleichen Jahr erhielt er den Oertli-Preis «als Würdigung für seine glaubhafte und sympathische Personifizierung der mehrsprachigen Schweiz auf oberster staatlicher Entscheidungsebene».

Engagement als Ombudsmann im dritten Lebensabschnitt

Er blieb weiter aktiv und übernahm als Nachfolger von Otto Schoch die Aufgabe des Ombudsmanns der SRG Deutschschweiz. Für zwei Jahre war ich sein Stellvertreter, und damit begann eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft, die fortbestand. Casanova versah sein Amt elf Jahre lang und absolvierte damit die längste Amtszeit, die ein Medien-Ombudsmann im Radio- und Fernsehbereich der Schweiz je ausfüllte – nur im Printbereich gibt es mit Daniel Cornu von der Tamedia romande (früher Edipresse) einen noch länger wirkenden Ombudsmann. Achille Casanova hat in dieser Periode pausenlos gearbeitet, sich kaum Freizeit und Ferien gegönnt, jeden Fall ernst genommen, die Umstände jeweils akribisch geprüft und schließlich mit klarem Blick geurteilt, ob seiner Meinung nach das Programmrecht verletzt ist oder nicht. Nur selten kam die UBI zu einem anderen Resultat (und manchmal hat das Bundesgericht den UBI-Entscheid wieder in Casanovas Sinn korrigiert).

Brückenbauer zwischen Publikum und Programmverantwortlichen

So kann nur arbeiten, wer über ein hohes Pflichtbewusstsein verfügt und die Schweiz, die Medienfreiheit und den öffentlichen Diskurs liebt. Das war bei Achille Casanova in hohem Masse der Fall. Er hatte beim Publikum eine hohe Akzeptanz. Wenn er zum Schluss kam, eine Sendung sei im Prinzip in Ordnung gewesen, dann galt das als Richtschnur, als «Machtwort», vielleicht sogar als «Orakel von Delphi». Nur so ist zu erklären, dass die überwiegende Mehrzahl der Verärgerten nach seinem Schlussbericht irgendwie zufrieden war und keine Beschwerde bei der UBI erhob. Achille Casanova überzeugte.

Bundesrat Willy Ritschard wollte seinerzeit mit der Kommission Reck eine «Klagemauer» einrichten. Genau diese Funktion hat Achille Casanova als Ombudsmann erfüllt: Er hat zugehört, erklärt, Verständnis geweckt – und die Medienfreiheit verteidigt. Er hat sich somit nochmals, wie schon als Vizekanzler, um das friedliche Zusammenleben in der Schweiz verdient gemacht.

Text: Roger Blum, Ombudsmann SRG.D

Bild: Roger Blum und Achille Casanova, SRF/Oscar Alessio

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