«Tagesschau» und «10vor10» über UNO-Bericht zu Eritrea beanstandet
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Mit Ihrer e-Mail vom 11. Juni 2016 beanstandeten Sie die „Tagesschau“ (19.30 Uhr) sowie die Sendung „10 vor 10“ des Fernsehens SRF vom 8. Juni 2016. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Ich erhebe Einsprache gegen den völlig einseitigen, linksgerichteten, unausgewogenen und inhaltlich fragwürdigen Bericht von Mirjam Mathis von der UNO ‚über die Menschenrechtsverletzungen in Eritrea‘. Dieser Bericht entbehrt jeglicher Grundlage, da sich die UNO nur auf die Aussagen von Flüchtlingen abstützt. Sehr fragwürdig ist auch der Zeitpunkt der Ausstrahlung. Just jetzt, wo die meisten Flüchtlinge aus Eritrea (im Klartext: keine Kriegsflüchtlinge) kommen, wird dieser Bericht ausgestrahlt.
Warum müssen die Massenmedien, im konkreten Fall das Schweizer Fernsehen, bereits zum wiederholten Mal ausgerechnet über das Land (Eritrea) berichten und somit die Situation der Flüchtlinge ‚rechtfertigen‘? Zur Entlastung wurde in der Tagesschau um 19.30 Uhr über die ‚fragwürdige‘ Grundlage des UNO-Berichtes diskutiert, im Bericht 10 vor 10 wurde jedoch kein Wort darüber erwähnt. Meine persönliche Bemerkung: Das sieht für mich eher nach einer gezielten ‚Beeinflussung‘ von Frau Sommaruga aus und ist somit eine ‚Propaganda‘ oder mit anderen Worten eine ‚Willkommenskultur‘ für eritreische Flüchtlinge. .....und die Eritreer kommen in Scharen, wie sich zeigt.
Dieser Fall ist ein gutes Beispiel für die linksgerichtete Berichterstattung der Schweizer Medien (Radio, Fernsehen, Zeitungen). Ich störe mich, dass
- die Massenmedien sehr oft (vor allem beim Thema Asyl und Flüchtlinge) die Tatsachen verschweigen, einseitig und unausgewogen berichten.
- Ich habe den Anspruch, als Schweizer Bürger und pflichtbewusster Steuerzahler, sachlich, wahrheitsgetreu, ehrlich und ausgewogen informiert zu werden. (es gibt nicht zu verschönern, was ist, ist!!!)
Ich erlaube mir, Sie untenstehend auf die ‚Aufgaben‘ (Kodex) eines Journalisten aufmerksam zu machen.
Darin verpflichten sich Journalisten zum Beispiel dazu,
• Die Wahrheit, die Menschenwürde und die wahrheitsgemäße Unterrichtung der Bevölkerung einzuhalten,
• Nachrichten und Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen,
• Falschmeldungen unverzüglich richtig zu stellen,
• In der Berichterstattung nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter beeinflussbar zu sein,
• Keine Diskriminierung zu betreiben und
• Das Privatleben, die Intimsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu achten.
Darüber hinaus gelten weitere Regeln für den Journalismus, die ebenfalls im Pressekodex festgehalten sind:
• Mindestens zwei unabhängige Quellen müssen einer Nachricht zugrunde liegen.
• Es sind stets alle Positionen von gegnerischen Seiten darzustellen.
• Ein Journalist wahrt seine Unabhängigkeit und seine kritische Distanz.“
B. Wie bei einer Beanstandung üblich, habe ich Ihre Begründung der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Franz Lustenberger, stellvertretender Redaktionsleiter der „Tagesschau“, schrieb darauf:
„Die Beanstandung von Herr X beschäftigt sich mit der Berichterstattung der Tagesschau und von 10vor10 über den Bericht der UNO-Kommission zur Lage der Menschenrechte in Eritrea, welcher am 8. Juni in Genf veröffentlicht wurde. Es ist anzumerken, dass die Sendung 10vor10 in einer Kurzmeldung über den wesentlichen Inhalt des UNO-Berichts informierte.
Auftrag und Bericht der UNO-Kommission
Der Auftrag für diesen Bericht wurde vom Menschenrechtsrat der UNO am 27. Juni 2014 erteilt:
‘The Human Rights Council established the Commission through resolution 26/24 of 27 June 2014 and extended its mandate for one year to June 2016.
On 8 June 2016, the Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea released its second report.
On 21 June 2016, the Commission will present its second report to the Human Rights Council. In October 2016, it will present an oral update to the General Assembly.’
Ein paar Passagen aus dem Presserohstoff:
UN Inquiry finds crimes against humanity in Eritrea
Geneva (8 June 2016) – Crimes against humanity have been committed in a widespread and systematic manner in Eritrean detention facilities, military training camps and other locations across the country over the past 25 years, according to a new report by the UN Commission of Inquiry on Human Rights in Eritrea, released Wednesday.
Crimes of enslavement, imprisonment, enforced disappearances, torture, persecution, rape, murder and other inhumane acts have been committed as part of a campaign to instil fear in, deter opposition from and ultimately to control the Eritrean civilian population since Eritrean authorities took control of Eritrean territory in 1991, the report says.
‘Eritrea is an authoritarian State. There is no independent judiciary, no national assembly and there are no other democratic institutions in Eritrea. This has created a governance and rule of law vacuum, resulting in a climate of impunity for crimes against humanity to be perpetrated over a quarter of a century. These crimes are still occurring today’, said Mike Smith, chair of the Commission of Inquiry.
Ausgewogene Berichterstattung in der Tagesschau
Es gehört zum Auftrag der Tagesschau, dass sie über wichtige Ereignisse im In- und Ausland berichtet. Der UNO-Bericht zur Menschenrechtslage in Eritrea gehört unzweifelhaft zu diesen aktuellen und relevanten Informationen. Der Beitrag von SRF-Korrespondentin Mirjam Mathis gibt die wesentlichen Fakten aus dem Bericht wieder.
Herr X schreibt von einem ‚einseitigen, linksgerichteten, unausgewogenen und inhaltlich fragwürdigen Bericht‘; und der Bericht entbehre ‚jeglicher Grundlage‘. Dies ist die ganz persönliche Wertung des UNO-Berichtes durch den Beanstander. Einziges Argument von X ist das Faktum, dass der Bericht im Wesentlichen auf Aussagen von Flüchtlingen beruht. Dies macht die Moderation nach dem Beitrag auch transparent: ‚Ihr Bericht beruht aber im Wesentlichen auf Zeugenaussagen von eritreischen Flüchtlingen. Untersuchungen vor Ort sind der Kommission von der dortigen Regierung verwehrt worden.‘
Im Presserohstoff der UNO-Kommission ist zu lesen: Despite requests to the Government of Eritrea, the Commission was denied access to visit the country. The Commission remains open to visiting Eritrea to present its latest findings and recommendations directly to the Government.
Herr X wirft der Tagesschau Unausgewogenheit vor. Diesen Vorwurf weise ich in aller Form zurück. Die Tagesschau hat sachgerecht und wahrheitsgetreu über den Inhalt des UNO-Berichtes berichtet. Sie hat im gleichen Beitrag den Vertreter der eritreischen Regierung, Yemane Gebreab, zu Worte kommen lassen, der den Bericht der Kommission zurückweist. Beide Seiten kommen im gleichen Tagesschau-Bericht vor. Dies ist Ausgewogenheit; der Zuschauer kann sich eine eigene Meinung bilden.
Der Zeitpunkt der Berichterstattung ist keineswegs fragwürdig, wie der Beanstander schreibt. Das Mandat der UNO-Kommission vom Juni 2014 ist bis zum Juni 2016 befristet (siehe oben). Es liegt in der Natur der Sache und in der Pflicht einer beauftragten Kommission, dass sie den Bericht fristgerecht abliefert und publiziert.
Gerade zu absurd ist die Vorstellung, Frau Bundesrätin Simonetta Sommaruga oder die ‚linksgerichteten‘ Schweizer Medien hätten einen Einfluss auf den Inhalt oder den Zeitpunkt der Veröffentlichung eines Berichtes einer UNO-Kommission.
Ergänzende Informationen
Die Redaktion der Tagesschau weiss um die Brisanz des Berichtes der UNO-Kommission zur Menschenrechtslage in Eritrea. Gerade weil aus diesem Land sehr viele Asylsuchende in die Schweiz kommen. Deshalb hat die Tagesschau in einem zweiten Beitrag zwei Nationalräte – Thomas Aeschi (SVP) und Yvonne Feri (SP) – um eine Einschätzung des Berichtes gebeten. Beide haben anfangs Jahr an einer umstrittenen Reise nach Eritrea teilgenommen. Auch in diesem Teil des Themenblocks Eritrea hat die Tagesschau beide politischen Seiten der ‚inner-schweizerischen‘ Flüchtlings- und Asyldiskussion zu Wort kommen lassen. Auch dieser Bericht ist absolut ausgewogen.
Zum Abschluss des Themenblocks wird über die neusten Zahlen von illegal Einreisenden im Kanton Tessin berichtet; es wird gesagt, dass die Zahl in den letzten Tagen zugenommen hat und dass sehr viele Menschen aus Eritrea um Asyl ersuchen.
10vor10
Angesichts der sehr breiten Berichterstattung in der Tagesschau hat sich die Sendung 10vor10 darauf beschränkt, das Thema in einer Kurzmeldung aufzugreifen. Diese konzentrierte sich auf die News des Tages, also auf den wesentlichen Inhalt des Berichtes der UNO-Kommission. Der Kern dieses Berichts wurde korrekt wiedergegeben. Dass in einer Kurzmeldung nicht alle Aspekte eines Themas abgehandelt werden können, liegt auf der Hand.
Vergleich mit anderen Medien
Die meisten Schweizer Medien haben ausführlich über den Bericht der UNO-Kommission berichtet. Sie haben dies praktisch gleich gemacht wie die Tagesschau. Neben einer ausführlichen Berichterstattung über den Bericht der UNO-Kommission werden auch Schweizer Parlamentarier (vornehmlich aus der Eritrea-Reisegruppe) befragt. Ich zitiere einige Headlines aus den Zeitungen respektive den Online-Portalen: ‚Menschenrechtslage hat sich nicht verbessert‘ (NZZ Online); ‚Sklaverei und Folter an der Tagesordnung‘ (Basler Zeitung); ‚Schutzbedürftig‘ (Walliser Bote); ‚UNO-Bericht zeichnet düsteres Bild‘ (Südostschweiz); ‚Eritrea-Reisegruppe läuft auf‘ (Aargauer Zeitung); ‚Terror in Eritrea hat laut UNO nicht nachgelassen‘ (Neue Luzerner Zeitung).
Fazit
Das Schweizer Fernsehen SRF hat sehr breit über den Bericht der UNO-Kommission zur Menschenrechtslage in Eritrea berichtet; es hat auch den Vertreter der eritreischen Regierung zu Wort kommen lassen. Es hat im Weiteren zwei Schweizer Politiker Stellung nehmen lassen, die wenige Monate vorher das Land kurz bereist hatten. Es hat die aktuellsten Zahlen aus dem Kanton Tessin dazu gestellt und damit über die Entwicklung an der Südgrenze der Schweiz informiert.
Die Berichterstattung ist ausgewogen, wahrheitsgetreu und sachlich korrekt. Sie hat in keiner Art und Weise jemanden ‚gezielt beeinflusst‘ oder sonst wie ‚Propaganda‘ betrieben.
Ich bitte Sie daher, die Beanstandung in diesem Sinne klar abzulehnen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendungen von „Tagesschau“ und „10 vor 10“. Der Beitrag von „10 vor 10“ ist schnell abgehandelt: Es war eine von mehreren Kurzmeldungen, die die wichtigsten Ereignisse des Tages rekapitulierten. Eine Kurzmeldung hält nur ein Faktum fest; sie differenziert, relativiert und ergänzt nicht. Und die Veröffentlichung des UNO-Kommissionsberichtes über die Menschenrechtslage in Eritrea war ein solches Faktum. Die breitere Auslegeordnung hatte am gleichen Tag schon die „Tagesschau“ gemacht.
Was wissen wir über Eritrea und was wissen wir nicht? Wir wissen, dass Eritrea (oder in den einheimischen Sprachen: Tigrinya oder Iritriyya) ein totalitärer Staat ist. Es gibt eine einzige Partei, die „Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit“, die alles kontrolliert: die Verwaltung, die Justiz, die Wirtschaft, die Kultur, die Medien. Das Land ist gegen außen total isoliert. Die amerikanische Organisation Freedom House kommt daher zum Schluss, dass die Bevölkerung Eritreas „not free“ sei. Amnesty International berichtet davon, dass Tausende willkürlich verhaftet, gefoltert, umgebracht wurden. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ weiß, dass 2001 alle privaten Medien verboten wurden. Die verbliebenen Medien sind Staatsmedien, die vom Informationsministerium gelenkt werden. Das Internet wird zensuriert. Seit 2010 dürfen keine ausländischen Korrespondenten mehr einreisen. Und die amerikanische Nichtregierungsorganisation IREX bescheinigt Eritrea mit ihrem Media Sustainability Index die für Medien und Journalismus weltweit tiefsten Werte, wie man sie nur noch in Nordkorea oder Turkmenistan vorfindet.
Eritrea, das mit 121‘144 Quadratkilometer dreimal so ausgedehnt ist wie die Schweiz, aber mit 6,3 Millionen weniger Einwohner zählt und etwa halb-halb von christlichen Kopten und von muslimischen Sunniten bevölkert wird, ist seit 1993 Mitglied der UNO. Warum lässt ein Mitgliedsland eine UNO-Kommission nicht einreisen und im Land selber einen Augenschein vornehmen? Wohl nur, weil es etwas zu verbergen gibt. Die UNO-Kommission hatte gar keine andere Wahl als mit Exilierten zu sprechen.
Was aber soll man glauben? Inwiefern tischen Flüchtlinge Gräuelmärchen und Lügengeschichten auf, um ja in Europa oder Amerika bleiben zu können? Die Erfahrung zeigt, dass die Zustände meist noch viel schlimmer sind, als man aufgrund von Augenzeugenberichten denkt. Heute starrt man im Fall von Syrien auf die Gräuel des „Islamischen Staates“ und auf jene der von Saudi-Arabien und Katar finanzierten Al-Nusra-Front, aber man vergisst, dass das Baath-Regime von Präsident Assad schon seit Jahrzehnten die Insassen in den staatlichen Gefängnisse auf grauenhafte Weise foltert und erniedrigt. Niemand glaubte am Anfang, dass das Regime der Roten Khmer in Kambodscha auf derart grässliche Art wütete, wie es dann tatsächlich der Fall war. Und als während des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz die ersten Berichte über die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten in Deutschland eintrafen, tat man sie als „Gräuelmärchen“ ab. Man wollte das Schreckliche nicht wahrhaben – und wies die jüdischen Flüchtlinge ab.
Deshalb sollte gerade die Schweiz vorsichtig sein mit dem Urteil: Das ist doch alles halb so schlimm. Und deshalb hat es die „Tagesschau“ genau richtig gemacht: Sie hat den Bericht der UNO-Kommission vorgestellt, die Replik der eritreischen Regierung wiedergegeben, den UNO-Bericht kritisch gewürdigt, zwei Parlamentarier der Eritrea-Reisegruppe mit unterschiedlichen Meinungen dazu befragt und einen Blick auf die illegalen Einwanderer im Tessin geworfen. Besser kann man es eigentlich gar nicht machen.
Und wenn Sie eine ganz nüchterne Analyse vornehmen, dann müssen Sie zugeben, dass die Redaktion der „Tagesschau“ jene ethischen Prinzipien, die Sie zu Recht einfordern, allesamt eingehalten hat. Sie stützte sich auf mehrere Quellen: die UNO-Kommission, die eritreische Regierung und die Schweizer Parlamentarier. Sie zeigte Positionen und Gegenpositionen. Sie vermittelte Fakten und hinterfragte sie.
Besonders merkwürdig ist Ihr Vorwurf, dass diese Fernsehberichte „ein gutes Beispiel für die linksgerichtete Berichterstattung der Schweizer Medien“ seien. Das Regime in Eritrea ist ein linkes Regime. Die „Linke Zeitung“ in Deutschland schreibt unter dem Titel „ Eritrea – das nächste Opfer für Regime-Wechsel?“: „Wie kommt es, dass Eritrea als großes Menschenrechts-Problem angesehen wird? Eritrea zu dämonisieren, ist eine Obsession in den herrschenden Kreisen des Westens und besonders von Leuten, die niemals in Eritrea gewesen sind. Die Menschenrechte sind wertvoll, aber werden als ideologische Waffe missbraucht, um Länder zu isolieren und zu zerschlagen, die sich den Absichten Washingtons nicht unterwerfen. Die Einrichtung einer Sonderkommission zur Untersuchung der Menschenrechte in Eritrea muss in diesem Licht gesehen werden.“ Die extreme Linke sieht also Eritrea als antikoloniales, antiimperialistisches, antibürgerliches Bollwerk. Vor diesem Hintergrund müsste man eine Berichterstattung, die die Menschenrechtsverletzungen in Eritrea anprangert, als rechtsgerichtet bezeichnen, wenn überhaupt. Das macht deutlich, dass es wenig bringt, wenn man die Medien mit Schablonen wahrnimmt. Man sollte immer auch in Rechnung stellen, welche Berichterstattung unter den herrschenden Umständen überhaupt möglich ist. Ich kann mich daher den Ausführungen von Herrn Lustenberger nur anschliessen und muss Ihrer Kritik eine Absage erteilen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
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