Radio-Nachrichtensendung «Heute Morgen» über die Wehrpflicht Norwegischer Frauen beanstandet
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Sie haben mit Ihrer e-Mail vom 25. Juli 2016 die Sendung „Heute morgen“ von Radio SRF 1 des gleichen Tages und darin den Beitrag über die neu eingeführte Wehrpflicht für Frauen in Norwegen beanstandet. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Voraussetzungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Ich erachte den eingangs genannten Beitrag als mangelhaft im Sinne von journalistischer Irrelevanz einerseits und einer Verletzung der Pflicht zu einer wirtschaftlichen Betriebsführung anderseits. Einen ‚Sonderkorrespondenten‘ auf Kosten der Gebührenzahler eigens per Linienflug ins norwegische Stavanger zu schicken, damit dann in einer Nachrichtensendung zur ‚Prime Time‘ ein nur gerade knapp zweiminütiger Beitrag über die Wehrpflicht norwegischer Frauen (!?) ausgestrahlt werden kann, zeugt von einer Geringschätzung der Bedürfnisse des (zahlenden) Publikums und von finanziellem Abenteurertum.
Man könnte über dieses neueste Fehlverhalten von Radio SRF 1 höchstens dann hinwegsehen, wenn es sich um eine einmalige Entgleisung handeln würde. Regelmässige Radiohörer wundern sich allerdings schon seit geraumer Zeit darüber, wie häufig sich insbesondere Fredy Gsteiger aus den entlegensten Ecken und Winkeln der Welt meldet, um von dort seine oft schwammigen ‚Einschätzungen‘ über irgendwelche Nicht-Ereignisse zu verbreiten. Meist handelt es sich dabei um Geschehnisse, über die sich allfällige Interessierte auch direkt in dafür geeignet(er)en Medien informieren könnten. Mit unverständlichen Toneinspielungen in exotischen Sprachen wird aber jeweils suggeriert, dass Herr Gsteiger gerade unmittelbar am Puls der Ereignisse stehe und von seinen Gesprächspartnern vielleicht sogar hautnah Exklusivitäten erfahre.
Die ständigen Einsätze von Herrn Gsteiger an oft weit entfernten Orten verletzen meines Erachtens den der SRG gesetzlich auferlegten Grundsatz, mit dem Gebührengeld wirtschaftlich und effizient umzugehen. Bekanntlich bestehen gut zwei Drittel der Einnahmen des Unternehmens aus den Empfangsgebühren, weshalb man als Zahlungspflichtiger erwarten darf, dass mit den Gebühren sorgfältig und zielgerichtet umgegangen wird. Einen sogenannten ‚diplomatischen Sonderkorrespondenten‘ bloss für einen Kurzbeitrag nach Stavanger fliegen zu lassen, überschreitet jeden ökonomisch vernünftigen Massstab, zumal da das gewählte Thema für die weit überwiegende Mehrheit der Hörerschaft weder relevant noch interessant ist.
Im Übrigen würde man von der SRG angesichts der von ihr stets beteuerten Transparenz erwarten, dass sie den finanziellen Aufwand für die vielen Reisen von Herrn Gsteiger ebenso offenlegt wie die von ihm jeweils gebuchte Flug-Reiseklasse.“
B. Wie immer, ging die Beanstandung an die zuständige Redaktion zur Stellungnahme. Da Radio-Chefredaktorin Lis Borner ferienabwesend war, äusserte sich Fredy Gsteiger als stellvertretender Chefredaktor selber. Er schrieb:
„Gerne nehme ich die Gelegenheit wahr, auf die Beanstandung zu reagieren:
Herr X kritisiert am Beitrag in der Sendung „Heute Morgen“ vom Montag, 25. Juli 2016 zweierlei: Irrelevanz und Verschwendung von Gebührengeldern.
Zur angeblichen Irrelevanz: Das bestreiten wir ganz entschieden. Das Thema ‚Frauen in der Armee‘ ist eines von höchster gesellschaftlicher Relevanz. Und von zurzeit hoher Aktualität. Gerade für ein ‚klassisches Wehrpflichtland‘ wie die Schweiz, in dem die Diskussion über die Militärdienstpflicht stets intensiv geführt wird. Für ein Land aber auch, das die Wehrpflicht für Männer seit langem kennt, wo aber der Frauenanteil in der Armee nach wie vor äusserst gering ist – weniger als ein Prozent.
In sehr vielen westlichen Ländern erleben wir seit einigen Jahren ein fundamentales Umdenken. Der Frauenanteil in den Streitkräften stieg innerhalb kurzer Zeit von Werten im tiefen einstelligen Prozentbereich auf inzwischen vielerorts über zehn, zum Teil gar gegen zwanzig Prozent. Viele Länder ermöglichen Frauen neuerdings auch, in Kampfeinheiten zu dienen (Norwegen, seit diesem Jahr die USA, demnächst Grossbritannien). Das ist eine wichtige Neuerung, denn nur so stehen Frauen auch die höchsten Generalsränge offen.
Was zurzeit passiert, ist eine markante, ja durchaus als historisch zu bezeichnende Veränderung in einer zentralen staatlichen Institution. Man könnte auch von einem überfälligen Schritt ins 21. Jahrhundert sprechen. Norwegen ist unter den westlichen Ländern ein Pionier, in dem es als einziges nicht nur Anreize schafft, damit mehr Frauen Wehrdienst leisten, sondern jetzt als erstes Nato-Land gar die Wehrpflicht für Frauen einführt. Gerade auf die norwegische Entwicklung wird zurzeit auch in der Schweiz immer wieder Bezug genommen, wenn es um die Erhöhung des Frauenanteils in der Armee geht. Grund genug also, sich das norwegische Modell genauer anzuschauen und darüber zu berichten.
Zum haushälterischen Umgang mit Gebührengeldern: Selbstverständlich schicken wir keine Journalisten auf Auslandreisen, wenn dann lediglich ein Zweiminuten-Beitrag herausschaut. Der Besuch in Norwegen liefert vielmehr die wichtigste Grundlage für eine halbstündige ‚International‘-Sendung, die wir im Herbst vorgesehen haben zum Thema ‚Frauen in der Armee‘. Geplant sind ausserdem Beiträge im ‚Echo der Zeit‘ oder im ‚Rendezvous‘, die auf diesen Recherchen basieren. Dabei wollen wir die Thematik umfassend ausleuchten, mit ihren positiven, aber auch mit ihren problematischen Aspekten (sexuelle Übergriffe, Militarisierung der Gesellschaft etc).
Grundsätzlich machen die Reisekosten lediglich einen sehr geringen Anteil an den redaktionellen Gesamtkosten aus. Grössenordnung: rund drei bis vier Redaktionsstellen. Allerdings ermuntern wir unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten, unsere Redaktorinnen und Redaktoren zu reisen. Sie sollen die Welt nicht nur aus der Büro- und Studioperspektive wahrnehmen, sondern wo immer möglich und sinnvoll vor Ort recherchieren. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Journalisten von jeder Reise neben den geplanten Berichten Anregungen für zahlreiche weitere Themen mitbringen, ausserdem sehr viele persönliche Kontakte, die in späteren Fällen überaus nützlich sein können.
Um die Reisekosten tief zu halten, achten die Chefredaktion und die Redaktionsleitung Ausland auf die Einhaltung des Budgets. Das Reisekostenregime bei Radio SRF ist streng. Konkret heisst das zum Beispiel: Obschon das Spesenreglement der SRG bei Überseeflügen ab acht Stunden Business-Klasse-Reisen erlauben würde, verzichten wir konsequent darauf und reisen ausschliesslich in der Economy-Klasse. (Wer in der Business-Klasse reisen will, zahlt die Mehrkosten privat.) Wir nehmen gelegentlich sogar Umwege in Kauf, wenn das wesentlich billiger ist als ein Direktflug. Und wir steigen nicht in Luxushotels ab und suchen nach Aktionen und Rabatten. Im Inland begleichen wir einzig die Kosten für den öffentlichen Verkehr (Halbtax), weil die Benutzung des Autos gemäss Kilometertarif fast immer teurer wäre. Und wir überlegen selbstverständlich bei jeder einzelnen Reise, ob der journalistische Nutzen die finanziellen Ausgaben rechtfertigt.“
C. Damit komme ich zu meinen eigenen Überlegungen. Ich pflichte Ihnen bei, dass es absurd ist, für einen zweiminütigen Beitrag von der Schweiz nach Norwegen zu reisen. Recherchen für einen solchen Kurzbericht kann man auch per Telefon oder e-Mail erledigen. Außerdem gibt es ja in allen Weltgegenden Korrespondenten, die dazu da sind, über Ereignisse und Entwicklungen in ihrem Gebiet zu berichten. Und ich stimme Ihnen auch zu, dass SRF kein Geld für Reisen verschleudern sollte. Die SRG trägt in der Tat für den Einsatz der Gebührengelder eine gesellschaftliche Verantwortung.
Aber die Wirklichkeit ist komplexer. Die Korrespondentennetze waren schon mal dichter als heute. Viele renommierte amerikanische, britische und französische Zeitungen und Fernsehunternehmen haben aus Kostengründen Korrespondentenstellen abgebaut. Über große Auslandskorrespondentennetze verfügen in Deutschland nach wie vor die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Süddeutsche Zeitung“; die ARD ist in der Welt mit 30 Auslandsstudios präsent. In der Schweiz kann sich die „Neue Zürcher Zeitung“ auf 35 Auslandkorrespondenten stützen, der „Tages-Anzeiger“ auf 14, Radio SRF auf 19 und Fernsehen SRF auf 17. Wenn man den Anspruch hat, die Welt in allen ihren Teilen zu beobachten, zu beschreiben und zu erklären, dann ist das nicht viel. Radio SRF hat beispielsweise niemand in Spanien und Portugal und niemand in China, Fernsehen SRF fehlt jemand in Osteuropa und jemand in Australien. Lateinamerika ist gänzlich unbesetzt. Afrika, Südamerika und Russland, also ganze Kontinente oder das ganze russisch beeinflusste Gebiet Eurasiens - werden durch nur je eine Person für das Radio und für das Fernsehen abgedeckt.
Auslandkorrespondenten, ganz gleichgültig, ob sie für Radio SRF, für Fernsehen SRF oder für die NZZ arbeiten, sollen nicht die gleichen Aufgaben erfüllen wie die Nachrichtenagenturen. Die Agenturen liefern die Fakten. Sie berichten über vorgesehene und unvorhergesehene Ereignisse. Sie legen den Informationsteppich. Darauf bauen die Korrespondenten auf mit ihren Reportagen, Analysen, Interviews oder Porträts. Sie vertiefen, ergänzen, interpretieren. Man erwartet, dass sie für Reportagen vor Ort gehen, denn Reportagen bestehen immer aus Recherche und Augenschein. Sie müssen also innerhalb ihres Betreuungsgebietes reisen. Ein Russlandkorrespondent reist dann eben auch nach Armenien oder nach Kasachstan. Ein Afrikakorrespondent ist mal in Senegal, mal in Tansania. Ein Südamerikakorrespondent recherchiert in der einen Woche in Brasilien, in der anderen in Venezuela. Die Herausforderungen sind anspruchsvoll, und die Korrespondenten können sich nicht vierteilen. So kann es beispielsweise sinnvoll sein, einen Journalisten aus der Schweiz nach Georgien zu schicken, wenn dort jemand vor Ort nötig ist, weil der Russlandkorrespondent beispielsweise gerade in Nowosibirsk einem anderen wichtigen und aktuellen Thema nachgeht. Und es ist vermutlich nicht einmal teurer.
Im Unterschied zu Ihnen und im Einklang mit Herrn Fredy Gsteiger halte ich das Thema der allgemeinen Wehrpflicht für Frauen für relevant. Es ist wichtig, zu erörtern, welche Bevölkerungsgruppen eine Armee stellen und tragen und ob die getroffene Lösung sinnvoll ist. Und wie Sie ja aus den Ausführungen von Herrn Gsteiger ersehen, ist er nicht bloß für einen zweiminütigen Beitrag in der Sendung „Heute morgen“ nach Stavanger geflogen, sondern er kam mit dem Material für drei weitere Sendungen zurück, darunter für eine halbstündige Sendung „International“. Dieses Material kann man sich nicht mit ein paar Telefonanrufen oder e-Mails beschaffen. Viele Verantwortungsträger aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kultur oder Sport wollen das journalistische Gegenüber sehen und einschätzen können, bevor sie bereit sind, ausführlich und offen zu reden. Das geht nur mit direkten Treffen von Angesicht zu Angesicht. Auch Schauplätze wie die am Einrückungstag eintreffenden jungen Männer und Frauen kann man sich nicht übers Netz herholen. Da muss man schon vor Ort sein und dann direkt mit den Leuten reden.
Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent von Radio SRF und in dieser Funktion beispielsweise zuständig für die Uno, die Nato, den Europarat und Interpol. Wenn er die Verantwortlichen dieser Organisationen sprechen will, dann muss er zwingend reisen: immer wieder nach New York, Genf, Wien, Bonn, Paris, Rom, Washington, Den Haag, Brüssel, Strassburg, Lyon. Das ist auch richtig so, denn die Hörerinnen und Hörer von Radio SRF erwarten mit Recht fundierte Informationen und kompetente Einschätzungen, die nur möglich sind, wenn die Journalistinnen und Journalisten die Welt nicht nur aus Büchern und Fernsehfilmen kennen, sondern die zuständigen Leute treffen und diese mit kritischen Fragen konfrontieren. Wie die Ausführungen von Herrn Gsteiger zeigen, werden strenge Regeln beachtet, um die Reisekosten im Griff und im Einklang mit dem Budget zu halten. Mir leuchtet die Praxis der Chefredaktion von Radio SRF ein. Aus diesem Grund kann ich Ihrer Beanstandung nicht beipflichten.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
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