Sommerkrimi «Wilde Nächte» aus der Reihe «Der Kommissar und das Meer» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 10. August 2016 beanstandeten Sie die Ausstrahlung des Sommerkrimis „Wilde Nächte“ vom Vortag. Ihre Eingabe entspricht den Anforderungen, die an eine Beanstandung gestellt werden. Somit kann ich auf sie eintreten. Wegen Ferienabwesenheiten und wegen technischer Probleme ist leider die Frist, die normalerweise dem Ombudsmann für die Behandlung einer Beanstandung zur Verfügung steht, um fast vier Wochen überzogen worden. Dies bitte ich Sie zu entschuldigen.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Was sich die SRG am 9. August 2016 unter dem Titel ‚Sommerkrimi‘ leistete, ist die schlimmste Entgleisung seit wir fernsehen. Zur allerbesten Sendezeit, mitten in den Schulsommerferien, wird unter dem familienfreundlichen Titel ‚Sommerkrimi‘ die an Brutalität und sexueller Explizität kaum mehr zu übertreffen ist. Dass ein öffentlich-rechtlicher TV-Sender sich derart erlaubt, die Zuschauerinnen und Zuschauer – abgesehen von Jugendlichen und Kindern, die in der Sommerferienzeit zuschauen – derart zu brüskieren, explizite Brutalität und Sexszenen zu zeigen, ist verantwortungslos. Praktisch von der ersten Minute an bis zum Schluss der Sendung wiederholte sich dieses Strickmuster. Selbst wir als reife Erwachsene (Jahrgänge 1947 und 1951) konnten uns die Sendung nur mit allergrösster Abscheu ansehen.
Wir bitten Sie, diese Entgleisung sorgfältig und mit Verantwortungsgefühl zu überprüfen und die TV-Sendungsverantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Danke.“
B. Wie üblich, hatte die zuständige Redaktion die Gelegenheit, zu Ihrer Beanstandung Stellung zu nehmen. Herr Heinz Schweizer, Redaktionsleiter Einkauf Fiktion, Factual und Einsatzprogramme, schrieb:
„Bereits zum vierten Mal programmierte Schweizer Radio und Fernsehen in den Sommerwochen am Dienstagabend eine Krimireihe, die von einem Quiz begleitet wird, daher die Bezeichnung ‚Sommerkrimi‘. Der Sendeplatz um 20.00 Uhr ist seit Jahrzehnten für den Dienstagskrimi reserviert. Eine Krimireihe bedient daher die Erwartungshaltung des Publikums.
Der ‚Sommerkrimi‘ soll möglichst an attraktiven europäischen Schauplätzen spielen. Bereits zum zweiten Mal (nach 2014) haben wir uns daher für die ZDF-Produktion ‚Der Kommissar und das Meer‘ entschieden. Das ZDF zeigt diese Eigenproduktion seit vielen Jahren im Hauptabendprogramm am familienfreundlichen Samstag. Es ist daher selbstverständlich, dass sie den Bestimmungen des Jugendschutzes entspricht, der in Deutschland gesetzlich geregelt ist. Die Übernahme eines solchen Programmes ist für SRF daher grundsätzlich unbedenklich. SRF und ZDF sind ja auch seit vielen Jahren Koproduktionspartner beim ‚Dienstagskrimi‘.
Um 20.00 Uhr beginnt das Hauptabendprogramm, das sich an ein mündiges bzw. beaufsichtigtes Publikum richtet, und die Programmverantwortlichen achten darauf, dass entsprechende Filme oder Serien Zuschauern ab 12 Jahren zugemutet werden können. Kriminalfilme sind aber per Definition keine leichte Unterhaltung. Dass solche Produktionen in den vergangenen Jahren bei der Darstellung von Gewalt oder Sexualität etwas expliziter geworden sind, ist sicher auch die Folge eines veränderten Zuschauerverhaltens und wird vom Publikum in der Regel entsprechend gewichtet und eingeordnet.
In der beanstandeten Folge ist einer der Protagonisten offensichtlich sexsüchtig. Das wird im Film thematisiert und in vier kurzen Szenen auch inszeniert, allerdings - dem Sendeplatz entsprechend – sehr zurückhaltend. Zu keiner Zeit gibt es explizite Einstellungen. Als Programmverantwortliche gehen wir davon aus, dass eine entblösste Frauenbrust heute nicht mehr als jugendgefährdend eingestuft wird. Auch die wenigen Szenen mit Gewaltdarstellungen – es geht natürlich auch in dieser Folge um einen Mord – übersteigen nicht das für dieses Genre und diesen Sendeplatz übliche Mass. An dieser Stelle möchten wir auch auf unsere strengen, transparenten und jederzeit einsehbaren Kinder- und Jugendschutzrichtlinien verweisen [1], die auf der Webseite www.srf.ch abrufbar sind.
Wir bedauern, dass die Ausstrahlung von „Wilde Nächte“ bei Herrn X zu einer so starken Irritation geführt hat, dass er zum Mittel der Beanstandung greifen musste. Wir hoffen, dass er im breitgefächerten fiktionalen Angebot von SRF auch viele für ihn attraktive Programme findet.“
C. Soweit die Stellungnahme des verantwortlichen Redaktionsleiters. Damit komme ich zu meinem eigenen Kommentar zu diesem Film. Der Krimi „Wilde Nächte“ ist die 17. Folge der schwedisch-deutschen Fernsehserie „Der Kommissar und das Meer“, der in Deutschland vom ZDF und von Sat.1, in Schweden von TV4 und in der Schweiz von SRF ausgestrahlt wird. Die meisten Folgen wurden in Deutschland von der Freiwilligen Selbstkontrolle Filmwirtschaft (FSK) für Zuschauerinnen und Zuschauer ab 12 Jahren freigegeben. Ob auch die Folge „Wilde Nächte“ von der FSK behandelt wurde, ist auf deren Website nicht ersichtlich.[2] Fest steht allerdings, dass auch das ZDF alle Folgen problemlos ausgestrahlt hat.
Wir müssen zunächst grundsätzlich unterscheiden zwischen journalistisch gestalteten Sendungen und fiktionalen Werken. Eine journalistisch gestaltete Sendung – beispielsweise eine „Tagesschau“ – kann von den Machern bis ins Detail beeinflusst werden. Die Journalistinnen oder Journalisten können einzelne Beiträge reinnehmen oder weglassen, sie können Interviews kürzen, sie besitzen volle Gestaltungsfreiheit. Ein fiktionales Werk hingegen kann man einkaufen und senden oder eben nicht. Es ist heute nicht mehr üblich, einzelne Stellen herauszuschneiden, einen Film also zu zensurieren. Ein eingekaufter Film wird entweder in extenso gesendet oder gar nicht.
Seit der 68-Bewegung ist die Sexualmoral offener und vielfältiger geworden. Es gibt weniger Tabus. Man ist freizügiger. So wurde denn auch die Filmzensur in den Kantonen nach und nach abgeschafft, so zuerst 1971 in den Kantonen Zürich, Luzern, Solothurn und Basel-Stadt, 1972 im Kanton Zug, zuletzt 2014 im Kanton Uri. Es mag sein, dass die Moralvorstellungen zwischen Stadt und Land und je nach Religion der Menschen leicht unterschiedlich sind. Aber allgemein gilt, dass die Verklemmtheit und Prüderie der 50er und 60er Jahre der Vergangenheit angehören und dass man mehr zulässt, auch in den Medien. Diese Grundhaltung hat sich auch auf die Gesetzgebung und auf die Medienethik ausgewirkt. Und die Social Media tun das Ihre dazu: Vieles, was früher als privat und intim galt, wird dort preisgegeben. Manche Menschen sind sich allerdings dabei zu wenig bewusst, dass sie zu ihrem eigenen Nachteil zu viel enthüllen.
Was nach wie vor strikt gilt, ist der Jugendschutz. Bei Radio und Fernsehen SRF können ab 20 Uhr auch Sendungen mit heiklem Inhalt ausgestrahlt werden, aber nur solche, die ab dem 12. Altersjahr freigegeben sind. Solche, die erst ab dem 14. Altersjahr freigegeben worden sind, müssen mit einem besonderen Jugendschutz-Signal angekündigt werden. Ab 22 Uhr sind Sendungen mit Altersfreigabe ab 16 Jahren, ab 23 Uhr auch solche mit Altersfreigabe ab 18 Jahren möglich. Diese werden aber nur mit Warnsignal ausgestrahlt. Es ist indessen allen klar, dass diese Regeln heute nur noch relative Gültigkeit haben. Das Internet stellt den Unterschied zwischen den Programmen am helllichten Tag und den Programmen zur Nachtzeit auf den Kopf. Denn Kinder und Jugendlich können, sofern sie über die nötigen Zugangskenntnisse verfügen, die „verbotenen“ Sendungen unschwer in der Mediathek oder auf Youtube angucken, zu jeder Tages- und Nachtzeit. So ist der Film „Der Kommissar und das Meer. Wilde Nächte“ auf Youtube problemlos zu finden.[3] Dies macht allerdings die Jugendschutz-Massnahmen nicht unnötig: Es ist weiterhin richtig, wenn sich Radio und Fernsehen SRF strikt an die vorgeschriebenen Tageszeiten und die vorgeschriebenen Signale halten. Und es ist weiterhin richtig und wichtig, wenn Eltern dafür sorgen, dass die Kinder nicht zur falschen Zeit vor dem Fernseher sitzen.
Fernsehen SRF hat entschieden, dass der Film „Wilde Nächte“ gut ins Programm passt. Ich kann mich diesem Urteil praktisch uneingeschränkt anschliessen. Im Film werden – neben der verwickelten Kriminalgeschichte – einander zwei Männertypen gegenübergestellt. Da ist auf der einen Seite der Immobilienmakler, der triebgesteuert ist und es mit mehreren Frauen treibt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder, unterhält aber eine Parallelbeziehung mit einer jungen Frau, mit der zusammen er eigens eine Wohnung gemietet hat, schläft auf einem Schiff im Hafen regelmäßig mit einer Prostituierten und versucht auch, eine attraktive Russin zu verführen. Dem steht auf der anderen Seite der Kommissär gegenüber, der eine sehr zärtliche Beziehung zu seiner Partnerin hat. Um die Sexsucht des Maklers zu illustrieren, die nur seiner Lustbefriedigung und seinen Geschäftszielen dient, werden verschiedene kurze Sexszenen gezeigt. Sie sind meines Erachtens praktisch alle unproblematisch und gehen nicht über das hinaus, was heute in Spielfilmen üblich ist. Es gibt eine einzige problematische Szene. Als nämlich die Familie des Maklers per Post von einem anonymen Absender eine DVD erhält, schiebt sie der etwa 10jährige Sohn in den Fernseher, und im Bild erscheint eine Oralsex-Szene mit dem eigenen Vater. Man sieht zwar nichts Genaues, aber die von hinten sichtbare nackte junge Frau, die vor dem Mann kniet, deutet alles an, und vor allem hört man den Makler stöhnen. Der Sohn und die herbeigeeilte Mutter gucken erstarrt auf die Szene, und man merkt, dass die Ehefrau angewidert und der Sohn schockiert sind. Die Tatsache, dass das Kind im Film schockiert reagiert, deutet darauf hin, dass die Szene nicht jugendfrei ist. Da sie aber erst nach 21 Uhr über den Sender lief und da um diese Zeit Kinder eigentlich nicht mehr fernsehen sollten, kann man hier ein Auge zudrücken. Und die Szene verdeutlicht noch einmal mehr den Männlichkeitswahn des Mannes: Er hat es nicht nur wild getrieben, er hat auch alles auf Videos festgehalten. Das Zerstörerische dieses Lebenswandels kommt dadurch noch prägnanter zum Ausdruck.
Fazit: Der Film will einen Mann zeigen, der durch seine Sexsucht und seine Geldsucht letztlich alles zerstört: seine Ehe, seine Parallelbeziehung, die Zukunft der jungen Frau, indirekt auch das Leben von deren Vater. Um dies deutlich zu machen, sind die kurzen Sexsequenzen nötig. Sie sind alle harmlos – mit Ausnahme der Fellatio-Szene am Fernseh-Bildschirm, die aber im Interesse der Erzähl-Logik hingenommen werden kann. Ich kann Ihre Beanstandung gut verstehen, aber ich kann ihr nach der Abwägung aller Argumente nicht beipflichten.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/allgemeines/kinder-und-jugendmedienschutzrichtlinien
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