«Tagesschau» über Nationalität von Straftätern beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 21. September 2016 beanstandeten Sie den Bericht über die Statistik der Ausländerkriminalität in der „Tagesschau“ von Fernsehen SRF vom 20. September 2016.[1] Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen, die an eine Beanstandung gestellt werden. Somit kann ich auf sie eintreten. Sie verlangten allerdings, dass Sie in sieben Tagen Bescheid erhalten. Dies ist bei einer seriösen Prüfung einer Beanstandung nicht möglich. Die zuständige Redaktion muss die Möglichkeit haben, dazu Stellung zu nehmen. Ich als Ombudsmann muss dann sowohl die Sendung als auch Ihre Beanstandung wie auch die Antwort der Redaktion gründlich evaluieren. Das Radio- und Fernsehgesetz sieht in Artikel 93 Absatz 3 für diesen Prozess eine Frist von 40 Tagen vor.[2] Diese läuft mit dem heutigen Tag ab.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Die Tagesschauredaktion hat nur die Teilstatistik genommen, sie so visualisiert und gefälscht, dass der Eindruck entsteht, Ausländer mit Ausländerausweis B und C aus Ex- Jugoslawen sind sehr kriminell.
Was die Bevölkerung wahrscheinlich auch so denkt.
Die Statistik müsste als ganze und richtig gezeigt werden!
Bei Ex- Jugoslawien wurde absichtlich das Land inkl. Albanien weggelassen?
Das Land Albanien hat nie zu Ex-Jugoslawien gehört, aber wo Prozente fehlen, wird man erfinderisch.
Die Statistik wurde auch so visualisiert und dargestellt, dass die Ex – Jugoslawen krimineller gemacht wurden als sie sind.
Da die Tagesschau sehr viele Zuschauer hat, wird dieser Eindruck in der Bevölkerung verstärkt und danach haben die unbescholtenen Bürger leider nur Nachteile. Die Statistik von Tagesschau war meiner Meinung nach auch ‚rassistisch‘, weil sie Ex- Jugoslawien ohne Vermerk mit Albanien genommen und nicht erwähnt hat. Dazu nahm sie Ex-Jugoslawien als Mittelfeld? Im Mittelfeld gibt es viele andere Länder! Bei einem so wichtigen und richtigen Dauerthema wurde absichtlich gefälscht und manipuliert.
Ich frage mich wieso? Die Leute aus Ex - Jugoslawien werden immer weniger und weniger straffällig laut verschiedenen Statistiken!
Bitte geben Sie mir innerhalb von sieben Tage Bescheid.“
B. Wie bereits erwähnt, konnte die zuständige Redaktion zu Ihrer Beanstandung Stellung nehmen. Herr Franz Lustenberger, stellvertretender Redaktionsleiter der „Tagesschau“, schrieb:
„Mit Schreiben vom 21. September beanstandet Herr X den Beitrag zum Thema Ausländerkriminalität in der Tagesschau Hauptausgabe vom Dienstag, 20. September.
Überlegungen zur Statistik:
Zum ersten Mal hat das Bundesamt für Statistik (BfS) überhaupt Zahlen zur Nationalität von Verurteilten veröffentlicht. Diese Statistik war angesichts der Diskussion über Kriminalität in der Schweiz in den letzten Jahren aktuell und von breitem Interesse. Das belegen auch die vielen Online- und Presseartikel zum Thema.
Die Tagesschau hat die Einteilung des Bundesamtes für Statistik übernommen, die mit Nationalitäten und Herkunftsgebieten arbeitet. Diese Einteilung hat eine gewisse Logik, obwohl sie auf zwei unterschiedlichen Ebenen angesiedelt ist. Die Zusammenfassung in ehemaliges Jugoslawien mit Albanien wurde vom Bundesamt für Statistik so vorgegeben; eine weitere Aufschlüsselung der Herkunftsgebiete in einzelne Nationalitäten ist aufgrund des Datenmaterials des BfS nicht möglich.
Die Unterscheidung zwischen Nationalität und Herkunftsgebiet kann nicht genau gemacht werden. Sei es, weil Identität und Nationalität gar nicht genau festgestellt werden können (Beispiel Westafrika), sei es, weil Personen mehrere Nationalitäten angeben (Beispiel Kosovo/Albanien). Das Bundesamt für Statistik schreibt dazu in der Medienmitteilung: ‚Eine wichtige Massnahme war es, Länder wie beispielsweise das ehemalige Jugoslawien oder Regionen wie Westafrika zu gruppieren, da mehrfach verurteilte Personen oft mit unterschiedlichen Nationalitäten aus ein und derselben Region im zentralen Schweizerischen Strafregister registriert wurden.‘ Die Zuordnung ist mit Unschärfen verbunden; die Tagesschau hat diese Zuordnung des BfS trotzdem übernommen.
Die Auswahl der Nationalitäten, respektive der Herkunftsgebiete im Beitrag der Tagesschau ist zugegebenermassen subjektiv. Die Tagesschau hat für die Auswahl der Nationalitäten und Herkunftsgebiete drei Kriterien angewendet: Höhe der Kriminalitätsrate gemäss Statistik (wer ist an der Spitze?), die Diskussion der letzten Jahre (welche Herkunftsgebiete/Nationalitäten werden mit Kriminalität in Verbindung gebracht?) sowie Anzahl der Fälle (lässt sich eine Aussage überhaupt machen?).
Das Kriterium der Anzahl Fälle hat dazu geführt, dass die meisten in der Statistik ausgewiesenen Nationalitäten und Herkunftsgebiete für die Tagesschau nicht in Betracht kamen. Es braucht eine genügend hohe Fallzahl, um eine Aussage machen zu können. Das Bundesamt für Statistik weist in seiner Medienmitteilung selber darauf hin: ‚Bei den Belastungsraten gilt es zu berücksichtigen, dass bei Nationalitäten, von denen sich nur sehr wenige Personen in der Schweiz aufhalten, der Einfluss einer einzelnen verurteilten Person sehr gross ist.‘ Aufgrund dieser Überlegung hat die Tagesschau alle Nationalitäten und Herkunftsgebiete mit weniger als 100 Verurteilungen von vornherein ausgeschlossen. Die höchste Belastungsrate (Anzahl Verurteilte pro 1000 Personen) weist mit 5 Prozent übrigens Monaco auf.[3]
Folgerungen für die Berichterstattung:
Die Tagesschau war sich sehr bewusst, dass die Strafurteilsstatistik der Erwachsenen 2014 sehr interpretationsbedürftig ist. Aus diesem Grund hat die Tagesschau – dies im Gegensatz zu den allermeisten Printmedien– diese Zahlen in einem Gespräch mit Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch vertieft. Er hat im Interview die Vorbehalte, die teilweise bereits vom Bundesamt für Statistik in der Medienmitteilung (Abschnitt Methodische Präzisierungen) angebracht wurden, in verständlicher Sprache verdeutlicht. Bereits der Text vor dem ersten Quote von Daniel Jositsch sagt, dass die Aussagekraft der Zahlen ohne tiefere Analyse beschränkt sei. Daniel Jositsch weist im weiteren darauf hin, dass die Statistiken über eine längere Zeit ausgewertet werden müssten, dass verschiedenste Straftaten zusammengeführt würden, dass die Schwere der Tat also gar nicht in die Statistik eingeflossen sei und dass ein einfacher Rückschluss auf die Nationalität nicht zulässig sei. Er wies zudem auf die unterschiedliche Struktur der einzelnen Ausländergruppen und der Schweizer Bevölkerung hin.
Die Tagesschau hat bei Ex-Jugoslawien den Zusatz ‚mit Albanien‘ weggelassen. Dies ist als Mangel zu betrachten. An der Aussage, dass die Kriminalitätsrate bei Personen aus diesem Gebiet, im Mittelfeld angesiedelt ist, ändert dies nicht. Das Wort ‚Ex-Jugoslawien‘ ist als geographischer Raum gemeint, ähnlich Westafrika oder Nordafrika. Denn die albanische Bevölkerung verteilt sich über mehrere ehemalige Teilrepubliken und autonome Provinzen des damaligen Jugoslawiens sowie Albaniens.
Fazit:
Die Tagesschau hat über die ‚Strafurteilsstatistik der Erwachsenen 2014‘, die erstmals eine Aufschlüsselung nach Nationalitäten und Herkunft macht, im Wesentlichen sachgerecht berichtet. Der Bericht hat die Vorbehalte, die sich rein aus der Statistik ergeben (Fallzahlen pro Nation) in die Überlegungen einbezogen. Der Bericht war in keiner Art und Weise „rassistisch“. Im Bericht wird von einem anerkannten Professor für Strafrecht die Aussagekraft der Zahlen eingeordnet.
Die Tagesschau hat nach bestem Gewissen und mit hoher Sorgfalt über ein umstrittenes Thema berichtet. Ohne Einordnung wäre es nicht korrekt gewesen. Gar nicht zu berichten hätte man auch als ‚Totschweigen‘ interpretieren können, wenn schon erstmals Zahlen vom Bundesamt für Statistik veröffentlicht werden.
Die Tagesschau hat im Zusammenhang mit dem Bericht sehr viele Mails erhalten, welche dem Beitrag vorwerfen, er habe die ‚Ausländerkriminalität schön geredet oder gar verharmlost‘. Auch dies ist nicht der Fall: Die Tagesschau hat die wesentlichen Fakten aus der Statistik vermittelt und gleichzeitig und intensiv auf die Gefahr voreiliger Schlüsse hingewiesen.
Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Einschätzung der Angelegenheit. Eigentlich haben Sie Ihre Beanstandung an die falsche Adresse gerichtet. Sie hätten sich beim Bundesamt für Statistik (BfS) in Neuenburg beschweren müssen. Denn das BfS hat in einzelnen seiner am 20. September 2016 veröffentlichten Tabellen teilweise Länder zu Ländergruppen zusammengefasst. In zwei der vier Tabellen, nämlich in der Tabelle „Straf- und Massnahmenvollzug: Einweisungen nach Staatszugehörigkeit 1984-2015“[4] und in der Tabelle „Straf- und Massnahmenvollzug: Mittlerer Insassenbestand nach Staatszugehörigkeit 1984-2015“[5], werden die einzelnen Länder zwar durchaus ausgewiesen, also beispielsweise Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Mazedonien, Slowenien, Kosovo, Albanien je einzeln. Aber in zwei Tabellen, nämlich in der Tabelle „Schweizer und Ausländer mit B- und C-Ausweis 2014“[6] und in der Tabelle „Restliche Ausländer (ohne B- und C-Ausweis) 2014“[7], wird Ex-Jugoslawien zusammen mit Albanien in einen Topf geworfen. Dies ist unglücklich, ja unzulässig.
Zwar gibt es durchaus einen Bezug zwischen Albanien und Ex-Jugoslawien: In Kosovo, das ursprünglich ein Teilstaat der Republik Serbien war, sind 91 Prozent der Bewohner Albaner. In der Republik Mazedonien leben 25 Prozent Albaner, in Montenegro 5 Prozent. Aber der wesentliche Kitt der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien war die gemeinsame slawische Sprache und die gemeinsame Geschichte seit 1918, und da war der Staat Albanien nie mit von der Partie. Es ist zwar wahr, dass das gemeinsame Jugoslawien ein Vielvölkerstaat war, in dem Serbisch-Orthodoxe, Katholiken und Muslime lebten, der im Norden und in Dalmatien durch den früheren habsburgischen und im Süden und Osten durch den früheren osmanischen Einfluss geprägt war und in dem es neben der albanischen auch ungarische, türkische, bulgarische, ruthenische, walachische, bunjewakische, tschechische, deutsche, italienische, slowakische, rumänische und Roma-Minderheiten gab. Aber Ex-Jugoslawien mit Albanien zu „vereinen“, ist ein Unding. Das ist nicht einmal eine geografische Region. Wenn schon, dann hätte das BfS eine Region „Südosteuropa“ oder „Balkan“ bilden können, dann aber auch mit Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Moldawien.
Dass das Fernsehen SRF die erstmals nach Nationalitäten gegliederte Statistik des BfS aufgriff, war richtig. Eine solche Premiere gehört in die „Tagesschau“. Und es war auch richtig, dass das Fernsehen nur die auffälligsten Gruppen nannte und dazu noch Ex-Jugoslawien und die Schweiz sowie die USA und Großbritannien. Warum die Schweiz? Weil die Ausländerkriminalität immer mit der Inländerkriminalität verglichen wird. Und warum Ex-Jugoslawien? Weil im Volksmund die Vorstellung grassiert, dass die Kriminalitätsrate unter Ex-Jugoslawen hoch sei. Der Prozentsatz dementiert dies deutlich. Kommt dazu, dass in dem Wert auch noch Albanien einbezogen ist und dass die Zahlen überhaupt relativiert werden müssen, wie dies Ständerat und Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch sehr plausibel ausführte. Von Rassismus kann daher keine Rede sein, eher im Gegenteil: Der Bericht hat die gängige Vorstellung dementiert, dass die Kriminalitätsrate unter Ex-Jugoslawen hoch sei.
Sie haben allerdings Recht: In der Mittelgruppe hätte man zusammen mit Ex-Jugoslawien auch Brasilien, Ecuador, Haiti, Kolumbien, Kuba, Peru, die Türkei, den Nahen Osten und Bangladesch nennen können, allerdings zum Teil, wie Herr Lustenberger ausführt, mit sehr geringen Fallzahlen und daher mit wenig Signifikanz. Und unter jenen mit auffälliger Rate hätte man auch Jamaika, Südwestafrika und Tadschikistan erwähnen können (mit den gleichen Vorbehalten). Nur: Das Fernsehen muss sich jeweils auf wenige Beispiele konzentrieren, weil das Auge des Zuschauers und der Zuschauerin so viele Fälle gar nicht erfassen kann.
Das Fernsehen hat darum vieles richtig gemacht: Es hat die auffälligsten und die am meisten interessierenden Nationalitäten herausgegriffen. Es hat die Statistik relativiert durch den Kommentar von Professor Daniel Jositsch. Und es hat mit der Mär aufgeräumt, dass die Kriminalitätsrate von Ex-Jugoslawen hoch sei. Dabei hätte man im Bericht allerdings sagen müssen, dass das BfS Ex-Jugoslawien mit Albanien in einen Topf geworfen hat. Dass dies nicht geschah, erachte ich allerdings als entschuldbaren Fehler in einem Nebenpunkt. Ihren Hauptvorwurf, dass die „Tagesschau“ die Statistik gefälscht habe, kann ich hingegen nicht gelten lassen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-20-09-2016-1930?id=d6397078-c449-4f65-8cf6-599e1b16c2ef
[2] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html
[3] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht.assetdetail.927270.html
[4] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht.assetdetail.300133.html
[5] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht.assetdetail.257578.html
[6] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht.assetdetail.929835.html
[7] https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht.assetdetail.929842.html
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