Satiresendung «Vetters Töne» auf Radio SRF 1 beanstandet

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Mit Ihrer e-Mail vom 8. November 2016 beanstandeten Sie die Sendung „Vetters Töne“ auf Radio SRF vom 5. November 2018[1]. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen einer Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Ich bin seit Jahrzehnten ein treuer und durchaus auch aufmerksamer Hörer des Schweizer Radios. Mit Bedauern nehme ich zur Kenntnis, dass die Qualität der meisten Sendungen nach meiner Beurteilung kontinuierlich sinkt. Ich gehe davon aus, dass dies eine subjektive Wahrnehmung ist.

Offenbar ist Gabriel Vetter ein bevorzugter Kabarettist beim Radio (Fernsehen habe ich keines, kann seine Mitwirkung dort also nicht beurteilen).

Ich habe einige Male seine Sendung ‚Vetters Töne‘ gehört. Witzig finde ich seine Beiträge leider nicht. Vielleicht hängt das mit meiner Art von Humorverständnis zusammen.

Zu seiner Sendung am 5. 11. 2016 habe ich aber doch einige Fragen:

a) Darf ein Kabarettist am Fernsehen Herrn Oettinger, früher Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg unbesehen als «Arschloch» bezeichnen? Meines Wissens hat Herr Oettinger eine bemerkenswerte Lebensleistung erbracht und verdient nach meiner Einschätzung ein Minimum an Respekt auch von Mitarbeitern Ihres Radios. Gelten minimale Anstandsregeln nicht für SRF?

b) Ist es normal, dass Herr Vetter in der erwähnten Sendung den US-Präsidentschaftskandidaten als «Geistesgestörten» bezeichnet? Gehört das zu einem liberalen Verständnis Ihres Senders?

c) Darf ich ähnliche Beleidigungen anwenden, wenn ich mich über Verantwortliche von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) in der Öffentlichkeit äussere?“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Gelegenheit, zu Ihrer Beanstandung Stellung zu nehmen. Frau Anina Barandun, Redaktionsleiterin Hörspiel und Satire von SRF Kultur, schrieb:

„Herr X stellt in seiner Mail vom 8. November drei kritische Fragen, die ich im Folgenden einzeln beantworte:

1) ‚Darf ein Kabarettist am Fernsehen Herrn Oettinger, früher Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, unbesehen als <Arschloch> bezeichnen? Meines Wissens hat Herr Oettinger eine bemerkenswerte Lebensleistung erbracht und verdient nach meiner Einschätzung ein Minimum an Respekt auch von den Mitarbeitern Ihres Radios. Gelten minimale Anstandsregeln nicht für SRF?‘

Als Verantwortliche für die Radio-Sendung <Vetters Töne> möchte ich festhalten, dass Gabriel Vetter in seiner Satire-Sendung vom 5. November den EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Kommunikation nicht als ‚Arschloch‘ bezeichnet, was jederzeit online überprüft werden kann (Vgl. Fussnote 1). Gabriel Vetter nennt Günther Oettinger im Zusammenhang mit einer flapsigen, in mangelhaftem Englisch vorgetragenen Aussage wörtlich einen ‚Halbschuh‘. Diese Bezeichnung ist, besonders im mundartlichen Sprachgebrauch, eher harmlos und kann sogar Spuren von Sympathie enthalten.

Ob Gabriel Vetter oder jemand anderes Herrn Oettinger im Fernsehen jemals als ‚Arschloch‘ bezeichnet hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Grundsätzlich gilt festzuhalten: Gabriel Vetter ist kein Mitarbeiter von SRF. Gabriel Vetter ist ein freier Autor und Kabarettist, der mit seinem eigenen Namen und im Rahmen einer klar als satirisch gekennzeichneten Rubrik seine Meinung äussert, und zwar in jener überspitzten Form, die per definitionem zu einer Satire-Sendung gehört.

2) ‚Ist es normal, dass Herr Vetter in der erwähnten Sendung den US-Präsidentschaftskandidaten als <Geistesgestörten> bezeichnet? Gehört das zu einem liberalen Verständnis Ihres Senders?‘

Gabriel Vetter sagt von Donald Trump, er sei ein ‚geistesgestörter Narzisst‘. ‚Narzissmus‘, ‚narzisstische Persönlichkeitsstörung‘, ‚narzisstischer Charakter‘ sind Fachbegriffe aus der Psychologie und Psychiatrie, die wiederholt von namhaften Tageszeitungen unter Berufung auf Spezialisten benutzt wurden, um Donald Trumps Auftreten im Wahlkampf zu beschreiben und zu erklären (u.a. ‚Die Welt‘, ‚Die Presse‘, ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘, ‚heute‘ im ZDF). Der Ausdruck ‚geistesgestörter Narzisst‘ unterstreicht und betont somit einen anerkannten Befund. Satire darf und muss pointiert sein. Sie hat die Aufgabe, sich mit den Mächtigen anzulegen, gerade dann, wenn diese es an Respekt gegenüber Benachteiligten, gegenüber Andersdenkenden, gegenüber Frauen und gegenüber Migranten fehlen lassen.

3) ‚Darf ich ähnliche Beleidigungen anwenden, wenn ich mich über Verantwortliche von Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) in der Öffentlichkeit äussere?‘

Selbstverständlich darf sich Herr X öffentlich so über SRF äussern, wie er es gerne möchte. Wenn dies in satirischer Form geschieht, dann gilt einzig die Spielregel, dass der Satire ein Wahrheitskern zugrunde liegen muss – wie im Fall von Donald Trump ein narzisstisch geprägter Wahlkampf –, der dann nach Herzenslust verzerrt, überhöht und ad absurdum geführt werden kann. Ist hingegen keine satirische Absicht erkennbar, gelten die Regeln des kommunen Anstands und des guten Geschmacks.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Einschätzung der Sendung. Es ist ein großes Verdienst von Radio SRF, dass es seit Jahrzehnten am Samstag einen satirischen Akzent setzt. So haben Künstler wie Ruedi Walter, Margrit Rainer, Walter Roderer, Zarli Carigiet, Hans Gmür, Franz Hohler, Walter Andreas Müller, Birgit Steinegger, Peter Bichsel, Ernschd Born, Gisela Widmer, um nur einige zu nennen, Generationen von Schweizerinnen und Schweizern zugleich unterhalten und zum Nachdenken gezwungen. Gabriel Vetter steht in dieser Traditionslinie. Seine Sendung „Vetters Töne“ ist allerdings weniger Satire von der lustigen, denn von der nachdenklichen Art.

Was will Satire? Ich hatte in meiner Tätigkeit als Ombudsmann in relativ kurzer Zeit schon mehrfach Gelegenheit, mich zur Satire zu äussern. Ich zitiere daher aus meinem Schlussbericht zu den Fällen Nr. 4252, 4253 und 4258, in dem es um die satirische Diskriminierung von Transmenschen ging[2]: <Satire ist die scharfe, sarkastische, bissige, witzige Übertreibung und Überspitzung der Wirklichkeit, die Sachverhalte und menschliches Handeln zur Kenntlichkeit entstellt. Der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky schrieb 1919, Satire dürfe alles. Auch der Komiker Oliver Polak sagt heute: „Man kann Witze über alles machen.“[3] Dieser Meinung bin ich nicht. Der Spielraum der Satire ist zwar weit, aber es sind ihr auch Grenzen gesetzt. So ist es beispielsweise allzu billig, wenn sich Humoristen und Witzbolde über menschliche Eigenschaften wie Kleinwüchsigkeit oder Dickleibigkeit oder über die Hautfarbe lustig machen. Die Satire kann nicht scharf genug sein, wenn deplatziertes menschliches Handeln zur Debatte steht, sie kann nicht bissig genug sein, wenn Fehlleistungen oder Größenwahn-Entwicklungen von Politikern oder Wirtschaftsbossen aufs Korn genommen werden, aber sie sollte über angeborene menschliche Merkmale nicht spotten. Die Satire stützt sich auf die Kunstfreiheit und auf die Meinungsäusserungsfreiheit, und wenn sie über Medien vermittelt wird, auch auf die Medienfreiheit. Aber diese Freiheiten stehen nicht absolut. Sie müssen abgewogen werden gegenüber anderen Grundrechten wie: Recht auf Menschenwürde, Religionsfreiheit, Diskriminierungsverbot.>

Im von Ihnen beanstandeten Beitrag werden mehrere Personen aufs Korn genommen: EU-Kommissar Günter Oettinger, US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump, SC-Freiburg-Trainer Christian Streich, der Imam der Winterthurer An’Nur-Moschee, Alt-Bundesrat Christoph Blocher und Postchefin Susanne Ruoff. Sie werden satirisch aufgespiesst wegen dummer Äusserungen oder wegen kritisierbarer, ja verwerflicher Taten. Damit erfüllt Gabriel Vetter genau die Funktion der Satire: Er macht Leute lächerlich, die sich entsprechend benommen haben. Und er apostrophiert sie. Wie Frau Barandun bin ich der Meinung, dass die Bezeichnung Oettingers als „Halbschueh“ – ein Wort, das im Hochdeutschen härter klänge als im Dialekt – kein Regelverstoss ist, besonders angesichts der vom EU-Kommissar ausgestossenen Beleidigungen. Die Schlussfolgerung des Satirikers ist messerscharf: Entweder hat Oettinger nicht alle Tassen im Schrank, oder er hat ausnahmsweise – „frei von der Leber“ – die Wahrheit gesagt und lügt sonst permanent. Was wirklich gilt, lässt er offen.

Etwas anders verhält es sich mit der Qualifikation „geistesgestörter Narzisst“, mit der Gabriel Vetter Donald Trump versieht. Dass Trump ein Narzisst ist, dürfte unbestritten sein, und dass Narzissmus die Folge einer Störung ist, auch. Aber „geistesgestört“? Dafür gibt es keine belegbaren Anhaltspunkte. Diese Formulierung erachte ich daher selbst in einer Satire für tadelnswert.

Als Ombudsmann muss ich mir indes die Frage stellen, ob die Redaktion in einem konkreten Fall die journalistischen Pflichten derart vernachlässigt hat, dass die Grundsätze des Radio- und Fernsehgesetzes verletzt sind. Die Redaktion sollte einen Satiriker nur im äussersten Fall zensurieren. Dieser Fall war hier nicht gegeben: Die Redaktion hat mit Recht die Kunstfreiheit über die absolute Korrektheit gestellt. Aber die Redaktion kann solche Grenzfälle mit dem Satiriker pro futuro besprechen. Das sollte sie jedenfalls tun.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu Ihrer Wahrnehmung von Radio SRF: Sie müssen „Vetters Töne“ nicht mögen. Ich selber bin begeistert von der Art und Weise, wie Gabriel Vetter Vorfälle seziert und miteinander in Verbindung bringt. Aber Sie sagen es richtig: Vieles ist Geschmacksache, und der Witz des einen stösst beim andern nicht automatisch auf Gegenliebe. Hingegen bedaure ich, wenn Sie zum Schluss kommen, dass die Qualität der Radiosendungen kontinuierlich sinke. Ich nehme es anders wahr: Obwohl die Anforderungen wegen der Globalisierung, der Ereignisdichte, der Komplexität der Themen, der Vielzahl der Quellen (auch im Internet und in den Social Media) sowie der verlangten Schnelligkeit enorm gestiegen sind, können wir nach wie vor kompetent gemachte, informative, anschauliche, anrührende und bereichernde Radiosendungen konsumieren. Radio SRF schneidet in der wissenschaftlichen Qualitätsforschung regelmässig sehr gut ab.[4]

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/sendungen/vetters-toene/fenster-schliessen

[2] https://www.srgd.ch/de/aktuelles/news/2016/04/19/sketch-giacobbomuller-uber-transmenschen-beanstandet/

[3] „Der Spiegel“ Nr. 16, 16.4.2016, S. 18.

[4] http://medienqualitaet-schweiz.ch/files/5814/7428/9436/MQR-16_Hauptbefunde.pdf; https://www.foeg.uzh.ch/dam/jcr:4bf34f40-d9a5-476a-91ee-bdaa427e73de/Hauptbefunde_2016_ohneSperrfrist.pdf

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