Direktsendung zu den «US-Wahlen 2016» (Wahlnacht) beanstandet
4419, 4425, 4432
Zur Direktsendung von Schweizer Fernsehen SRF während der amerikanischen Wahlnacht vom 8. auf den 9. November 2016 sind drei Beanstandungen eingegangen. Ihre e-Mail-Eingaben vom 9. bzw. 11. November 2016 bzw. Ihr Brief vom 14. November 2016 machen deutlich, dass Sie alle dasselbe beanstanden: Die einseitigen Kommentare durch Moderator, Experten und Korrespondenten. Ich behandle daher alle drei Eingaben gemeinsam. Sie erfüllen alle die formalen Anforderungen einer Beanstandung. Daher kann ich auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandungen wie folgt:
„Ich habe einen Grossteil der Berichtserstattung im SRF mitverfolgt und habe null Verständnis für die extreme Pro Hillary Clinton-Haltung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Soviel ich weiss, ist das SRF einer ausgewogenen und informativen Berichterstattung verpflichtet. Davon konnte in dieser Sendung zu keiner Zeit die Rede sein. Insbesondere Herr Klapproth machte mit wiederholten abschätzigen Aussagen (‚Grossmaul‘ etc.) aus seiner tiefen Abneigung und Verachtung gegenüber Donald Trump keinen Hehl. Sind wir jetzt so weit, dass ich mir als zahlende Zuschauerin von Herrn Klapproth sagen lassen muss, welche Weltanschauung die richtige und welche die falsche ist? Die Sendung wurde äusserst respektlos und einseitig moderiert und entsprach in meinen Augen in keiner Weise den Vorgaben und Richtlinien einer ‚ausgewogenen Berichterstattung‘.“
„Herr Klapproth, Herr Honegger und die ‚Expertin‘ waren ganz klar nicht neutral und völlig einseitig für Clinton eingestellt. Dies zeigte sich bei X Statements der oben genannten Personen!“
„Die gebührenbezahlten SRG-Mitarbeiter erlauben sich Äusserungen, die weit unter der Gürtellinie liegen und unanständig sind, von Neutralität oder Objektivität keine Spur. Statt Analysen werden persönliche Statements und Emotionen gesendet.“
B. Die Chefredaktion von Fernsehen SRF erhielt Ihre Beanstandungen zur Stellungnahme. Der Stabchef der Chefredaktion, Herr Gregor Sonderegger, schrieb Folgendes:
„Gerade weil sich am Fall Donald Trump grundsätzliche Fragen für die Medien stellen, möchte ich zuerst etwas ausholen: Donald Trump hat im Wahlkampf unzählige Male bewusst gelogen, ganze Bevölkerungsgruppen auf unerhörte Art und Weise beleidigt und elementare demokratische Spielregeln in Frage gestellt. So zweifelte er Obamas Staatsbürgerschaft an, verunglimpfte Mexikaner als potentielle Vergewaltiger und kündigte an, das Wahlergebnis möglicherweise nicht zu akzeptieren und Hillary Clinton ins Gefängnis zu bringen. E.J. Dionne, politischer Kommentator der ‚Washington Post‘, sagte dazu, Trump habe so viele Rotlichter überfahren, dass die Medien gar nicht mehr nachkämen, ihm Bussen zu verteilen.
Entsprechend hat die Kandidatur Trumps in den Medien zu heftigen Diskussionen geführt. Das Prinzip des ‚unbiased journalism‘ wurde grundsätzlich hinterfragt: Je extremer und verletzender die Positionen eines Kandidaten sind, desto stärker müssen sich Medien überlegen, ob sie diese Positionen nach dem üblichen Schema abbilden und dazu einfach eine Gegenposition veröffentlichen. ‚The Atlantic‘ nannte das den Tod des ‚He Said She Said Journalism‘ angesichts einer ungewöhnlich scharfen und kritischen – und eben auch einseitigen – Auseinandersetzung der ‚New York Times‘ mit Donald Trump.
Die Medien weltweit nahmen Donald Trump am Anfang nicht ernst, sondern betrachteten ihn als unterhaltsames Element im Kandidatenkarussell der amerikanischen Vorwahlen und liefen auch in die Falle, seine schon damals grenzwertigen Aussagen als News weiterzuverbreiten und zu thematisieren. Gerade auch weil sie beim Publikum gut funktionierten und für Quoten und Klicks sorgten. Treffend formulierte es kürzlich die politische Reporterin Salena Zito: ‚Kritiker und Medien nahmen Trump wörtlich, aber nicht ernst – Unterstützer nahmen ihn ernst, aber nicht wörtlich.‘ Erst im Herbst realisierten vor allem die amerikanischen Medien, dass Donald Trump sie vor völlig neue Fragen stellte: Wie gehen wir mit Demagogen und extremen Populisten um? Wann ist die ausgewogene Berichterstattung nicht mehr adäquat und wann ist es nötig, dass wir eine klare Haltung zeigen und Stellung beziehen? Donald Trump hat uns und vielen Medienhäusern in Europa und den USA vor Augen geführt, dass wir uns diesen Fragen – gerade im ‚Zeitalter des Postfaktischen‘ – nicht mehr verschliessen können.
Ich möchte sie bitten, die Beanstandungen auch vor diesem Hintergrund zu betrachten. Stephan Klapproth hat einige Mal in der Wahlnacht sehr klar deutlich gemacht, dass Donald Trump diese Grenzen überschritten hat und ihn als Populist, Rattenfänger etc. bezeichnet. Dies geschah aber nicht leichtfertig und einfach aus persönlicher Abneigung gegen Donald Trump, sondern gerade wegen dieser massiven Grenzverletzungen, die Donald Trump im Wahlkampf begangen hat. In der internen Sendekritik haben wir aber selbst festgestellt, dass sich Stephan Klapproth hier wohl etwas mehr hätte zurückhalten können. Zumal unsere Expertin im Studio bereits eine sehr pointierte Meinung vertrat. Aber auch für den langjährigen Medienprofi Stephan Klapproth war Trump ein völlig neues Phänomen und ihm war es wichtig, das ‚Kind beim Namen zu nennen‘. Gerne gebe ich hier deshalb auch Stephan Klapproth die Gelegenheit, einige Worte dazu zu sagen:
<In 22 TV-Moderationsjahren habe ich bei demokratischen Ausmarchungen das Prinzip der Ausgewogenheit und des ‘best argument’ strikt beachtet, unbesehen der inhaltlichen Position der involvierten Lager (und selbstredend unabhängig von der Sympathie oder Antipathie, die die Akteure bei mir auslösten).
Dass ich die Äquidistanz zu den beiden Kandidierenden beim Ausgang der Wahl zwischen Hillary Clinton und Donald Trump verliess, geschah bewusst und nach reiflicher vorgängiger Überlegung – und nicht impulsiv und unüberlegt in der Hitze des Gefechts. Aus folgender Überzeugung: Ich sah meine/unsere journalistische Pflicht vor allem anderen darin, zu vermitteln, dass es sich bei diesen Wahlen entgegen dem äusseren Anschein nicht um eine normale Entscheidungsfindung auf Basis der demokratischen Grundwerte handelte, für welche die westliche Führungsmacht USA seit Jahrzehnten steht. Mit seiner Insinuierung, die Legitimität des Wahlgangs nur im Falle seines eigenen Sieges anzuerkennen und mit der Drohung, als Wahlsieger für die Einkerkerung seiner Gegenkandidatin zu sorgen, hat Donald Trump die Kernwerte westlicher Demokratie verletzt und mit der Idee eines revolutionären Systemwechsels mindestens bedrohlich gespielt.
Diese Tatsache nicht immer wieder zu betonen im Verlaufe der (nach einer gewöhnlichen Wahlnacht aussehenden) Ereignisse, hätte in meinen Augen einer Normalisierung des Ungeheuerlichen Vorschub geleistet. Die oft gehörte Auffassung, Trump und Clinton seien in gleicher Weise ungeeignet fürs angestrebte Amt, teile ich in keiner Weise – darum suchte ich in der Wahlnacht auch nicht nach Ausgewogenheit durch systematisches Hervorheben ähnlich vieler Kritikpunkte bei Hillary Clinton - habe Schwachpunkte aber durchaus auch thematisiert. Alle noch lebenden Ex-Präsidenten der USA inklusive der republikanischen Amtsträger haben Donald Trump als inakzeptablen Kandidaten qualifiziert. Und bekanntlich gab es selbst konservative US-Medien, die aus Sorge um die Demokratie zur Wahl der demokratischen Gegenkandidatin aufgerufen haben. Dies schien mir ein entschiedenes Abweichen vom Ausgewogenheitsprinzip zusätzlich zu rechtfertigen, wenn nicht geradezu zu gebieten.
Natürlich hätte eine zurückhaltendere Dosierung meiner Qualifizierung von Donald Trumps Kandidatur als populistisch und demagogisch geholfen, den einmaligen Paradigmenwechsel bei der Moderation eines Wahlausgangs etwas zu kaschieren und damit kritische Publikumsreaktionen möglicherweise etwas zu vermindern. Mir scheint indessen, der herzhafte Positionsbezug gegen die Bedrohung demokratischer Kernwerte entspricht dem Geist und dem Buchstaben der für unseren öffentlich-rechtlichen Sender geltenden Normen viel besser. Bestätigt fühle ich mich dadurch, dass auch andere (wenn nicht die meisten) renommierten Medien bei dieser Präsidentschaftswahl die sonst übliche Ausgewogenheit bewusst aufgegeben haben: So wurden in analysierenden Diskussionen des Wahlausgangs auf ZDF die Positionen Donald Trumps in noch viel schärferen Worten qualifiziert, als ich sie verwendet habe. Und der SPIEGEL veröffentlichte gar einen Kommentar, der Donald Trumps bisheriges Vorgehen als eine Kombination von Populismus und Menschenverachtung beschreibt, für die der Begriff Faschismus ohne jede Einschränkung zutreffe. Reizworte von dieser Schärfe habe ich in meiner Moderation bewusst vermieden - eine allzu grosse Ähnlichkeit mit dem Moderationsbusiness as usual aus den angeführten Gründen allerdings gleichzeitig auch.>
Einen wichtigen Faktor bei der Beurteilung der Beanstandungen möchte ich Sie bitten, noch zu berücksichtigen: Die Wahlnacht war Teil eines Gesamtpaketes zur Wahlberichterstattung mit ‚10vor10‘ am Vorabend und am Wahltag aus den USA, dem ‚Club‘ aus Bern, einer vorausgehenden Dokumentation zu den USA und der grossen Spezialsendung der ‚Rundschau‘ am Abend danach. In der Wahlnacht ging es vor allem darum, das Geschehen in den USA, auf den amerikanischen Sendern und in den Social Media zu kommentieren, zu begleiten und gemeinsam mit dem Publikum die Wahlnacht mitzuerleben. Hier war es von Anfang nicht die Absicht, eine klassische Nachrichtensendung zu produzieren, sondern mehr ein Panoptikum der Geschehnisse der Wahlnacht und der amerikanischen Medien – mit etwas mehr Freiheit für die Moderation als in einem klassischen Newsformat. Bereits ab 06:00 Uhr morgens, aber vor allem ab 07:00 Uhr morgens und in allen folgenden regulären Nachrichten- und Sondersendungen am Abend haben wir dann wieder auf klassische Berichterstattung umgestellt, welche im Tonfall deutlich neutraler war.“
C. Soweit die Stellungnahmen von Herrn Gregor Sonderegger im Namen der Chefredaktion sowie von Herrn Stephan Klapproth als kritisierter Moderator. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung der Wahlnacht-Sendung. Es hat Tradition in der Schweiz, dass man als politisch interessierte Bürgerin und als politisch interessierter Bürger amerikanische Präsidentenwahlen nicht teilnahmslos verfolgt, sondern dass man sich für das eine oder andere Lager engagiert und mitfiebert. Sie alle, die Sie eine Beanstandung eingereicht haben, scheinen sich auf die Seite von Donald Trump geschlagen zu haben. Das ist Ihr gutes Recht. Und wenn man Trump-Anhänger ist, fühlte man sich im Laufe der Wahlsendung in der Tat durchaus ein paar Mal vor den Kopf gestossen. Noch drastischer als Sie hat es Chefredaktor Roger Köppel in der „Weltwoche“ ausgedrückt:
„Wie ‚unabhängig‘ der SRG-Journalismus wirklich ist, davon konnte man sich vor zwei Wochen in der US-Wahlnacht erschöpfend überzeugen, als sich das Senkblei einer suizidalen Niedergeschlagenheit auf den Bildschirm legte, nachdem die Hoffnungen des reportierenden Hillary-Clinton-Fanklubs im Leutschenbach-Studio am ‚Rattenfänger‘ Trump zerschellt waren. Das war kein Ausrutscher, sondern ein langer Moment der Ehrlichkeit. In dieser Wahlnacht wurde allen klar, dass zwischen Wirklichkeit und Selbstwahrnehmung der SRG als Bastion der Ausgewogenheit und Qualität ein gewaltiger Graben klafft.“[1]
Die Frage stellt sich: Wie war diese Wahlsendung wirklich? War sie ausgewogen? Wenn nein, musste sie überhaupt ausgewogen sein?
Wer diese sechs Stunden Direktsendung genau verfolgt hat, erlebte zunächst einmal eine interessante, erhellende und abwechslungsreiche Abfolge von Diskussionen und Analysen im Studio, Sequenzen der News-Sendungen der amerikanischen Fernseh-Netzwerke ABC[2] und CBS[3], aufschlussreiche Reportagen, Porträts, Interviews und Lageberichte der Korrespondenten Peter Düggeli (Washington), Thomas von Grünigen (New York), Marcel Anderwert (Miami) und Karin Frei (Bern) sowie viele Einblicke in Karten, Grafiken und Social Media-Postings. Mir fiel vor allem auf, wie sachlich, kenntnisreich und souverän SRF-Redaktor Arthur Honegger während der ganzen Zeit die Ergebnisse, ihre Gründe und die demographische Situation der USA analysierte. Auch die später dazu gestossene Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen, Professorin für Anglistik, die in Zürich und in New York lehrt, steuerte gescheite Überlegungen bei, beispielsweise, als sie erläuterte, dass sich die Lügenkultur in den USA verändert hat: Als das Impeachment-Verfahren gegen Präsident Bill Clinton eingeleitet wurde, galt das öffentliche Lügen noch als Sakrileg, inzwischen ruft es nur noch ein Achselzucken hervor. Alles in allem also eine vielfältige, faktenreiche, spannende, auf Analyse ausgerichtete Sendung zur amerikanischen Wahlnacht.
Aber da war noch Moderator Stephan Klapproth. Er eröffnete die Nacht gleich mit einem verbalen Paukenschlag, sagte er doch: „Viele halten sich sogar die Nase zu, denn ein populistischer Protz steht auf der Schwelle zum Weißen Haus“. Im Morgengrauen, es ging schon gegen 5 Uhr, sprach er vom „Rattenfänger“, zwischen 5 und 6 Uhr redete er vom „Protz, Angeber, Prahlhans, der uns so abstösst“, und nach 6 Uhr fand er es erschreckend, dass die Leute „einen Populisten, der so durchsichtig lügt“, wählen. Gemeint war durchgehend der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump.
Darf ein Moderator so reden?
Ich muss, um diese Frage zu beantworten, auch etwas ausholen, und den Kontext beleuchten:
1. Wenn Radio und Fernsehen in der Schweiz über Wahlen berichten, so muss man dreierlei unterscheiden: a) Sendungen durch konzessionierte Veranstalter und durch Veranstalter ohne Konzession, b) Sendungen vor den Wahlen und Sendungen am Wahltag und danach und c) Sendungen über Wahlen in der Schweiz und über Wahlen in anderen Ländern.
a) Die besonderen journalistischen Sorgfaltspflichten und das Vielfaltsgebot gelten nur für Veranstalter mit einer Konzession. Die SRG und damit Fernsehen SRF hat eine Konzession. Somit gelten für sie die strengen Regeln für Wahlsendungen.
b) Die strengen Regeln gelten aber deswegen, weil die Wahlberechtigten nicht einseitig beeinflusst werden sollen. Solange die Urnen nicht geschlossen sind, müssen daher konzessionierte Veranstalter ausgewogen berichten, also immer alle Kandidaten beispielsweise für ein Regierungsamt gleichgewichtig behandeln. Hat das Volk gesprochen, gelten die strengen Regeln nicht mehr absolut.
c) Die Regeln gelten primär für Wahlen in der Schweiz. Bei Wahlen in anderen Ländern sind Radio und Fernsehen freier, zumal die Sendungen nicht von Personen verfolgt werden, die wahlentscheidend sein können.
Daraus folgt, dass eine Sendung am Wahltag – also nach abgeschlossenem Wahlkampf – und über eine Wahl im Ausland nicht strengen Regeln unterworfen ist. Es ziemt sich aber, dass auch nach geschlagener Schlacht Anhänger beider Kandidaten zu Wort kommen.
2. Die Ausgangslage für die Präsidentenwahl in den USA war 2016 beispiellos. Zum ersten Mal eroberte sich mit Donald Trump ein Nichtpolitiker ohne Verbindung zu den staatlichen Institutionen die Investitur einer der beiden großen Parteien. Politiker ist zwar in keinem Land ein eingetragener Beruf wie Arzt, Apotheker oder Anwalt. Es bedarf keiner Prüfung und keiner Zulassung, um den Beruf des Politikers auszuüben. Dennoch ist der politische Beruf nicht voraussetzungslos. Der berühmte Soziologe Max Weber sagte: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“.[4] Das heißt: Gerade Spitzenämter im Staat erfordern Erfahrung darin, wie man Gesetzesnovellen vorbereitet und durch parlamentarische Prozesse steuert, wie man Mehrheiten bildet und Minderheiten integriert, wie man Kompromisse aushandelt, wie man mit internationalen Konflikten umgeht und wie man das Vertrauen der Bevölkerung nicht nur erwirbt, sondern auch behält. Nicht von ungefähr waren alle amerikanischen Präsidenten seit dem Zweiten Weltkrieg vorher entweder Mitglieder des Kongresses (Harry S. Truman, John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson, Richard M. Nixon, Gerald R. Ford, Barack H. Obama) oder Vizepräsident (George H. Bush) oder beides (Truman, Johnson, Nixon, Ford) oder Gouverneur eines Bundesstaates (Jimmy Carter, Ronald Reagan, Bill Clinton, George W. Bush) gewesen. Der Spezialfall war Dwight D. Eisenhower, Oberkommandierender im Zweiten Weltkrieg, der aber politische Erfahrung als Militärgouverneur in Deutschland sammelte. Trump kennt diese Welt überhaupt nicht, darum war es völlig logisch, dass maßgebliche Stimmen vor diesem Risiko warnten und dass führende Republikaner nicht bereit waren, ihn zu unterstützen.
Auch in der Schweiz gilt diese Regel der politischen Karriere: Nie war seit 1945 jemand Mitglied des Bundesrates, der oder die nicht vorher schon politische Erfahrung gesammelt hatte.[5] Die späteren Bundesräte waren vorher entweder Mitglieder des eidgenössischen Parlamentes (wie Walther Stampfli, Max Petitpierre, Max Weber, Thomas Holenstein, Friedrich Traugott Wahlen, Jean Bourgknecht, Willy Spühler, Roger Bonvin, Pierre Graber, Kurt Furgler, Georges André Chevallaz, Fritz Honegger, Pierre Aubert, Alphons Egli, Rudolf Friedrich, Otto Stich, Elisabeth Kopp, Arnold Koller, Adolf Ogi, Kaspar Villiger, Pascal Couchepin, Joseph Deiss, Samuel Schmid, Christoph Blocher, Hans-Rudolf Merz, Doris Leuthard, Ueli Maurer, Didier Burkhalter, Simonetta Sommaruga, Johann Schneider-Ammann, Alain Berset und Guy Parmelin) oder kantonale Regierungsräte (wie Enrico Celio, Eduard von Steiger, Rodolphe Rubattel, Hans Streuli, Giuseppe Lepori, Ernst Brugger, Ruth Metzler, Micheline Calmy-Rey und Eveline Widmer-Schlumpf) oder beides (wie Philipp Etter, Karl Kobelt, Ernst Nobs, Josef Escher, Markus Feldmann, Paul Chaudet, Ludwig von Moos, Hans Peter Tschudi, Rudolf Gnägi, Nello Celio, Willi Ritschard, Hans Hürlimann, Leon Schlumpf, Jean-Pascal Delamuraz, Flavio Cotti, René Felber und Moritz Leuenberger). Viele von ihnen waren auch Stadtpräsidenten, Parteipräsidenten, Fraktionspräsidenten. Die Spezialfälle waren Hans Schaffner und Ruth Dreifuss. Hans Schaffner erwarb sich indes politische Erfahrung als Spitzenbeamter und Diplomat. Ruth Dreifuss war in die Politik involviert als wichtiger Kopf des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und als Mitglied des Berner Stadtparlamentes. Nie wollte man einen totalen Quereinsteiger, genau so wenig wie bisher in den USA.
3. Die amerikanischen Wahlkämpfe sind immer hart. Es wird alles ausgegraben, was man Negatives über den Gegenkandidaten in Erfahrung bringen kann (negative campaigning). Dabei wird volle Transparenz erwartet (in Bezug auf private Verflechtungen, Steuern, Gesundheit). Donald Trump hat nicht nur diese Transparenz nicht hergestellt, er hat auch während des ganzen Wahlkampfes in beispielloser Manier ganze Volksgruppen beschimpft und beleidigt, Drohungen ausgestossen und Lügen aufgetischt. Er zelebrierte Anti-Politik als Politik. Das kam zwar bei bestimmten Bevölkerungsschichten an, vor allem bei jenen, die seit langem das Gefühl haben, dass sie auf der Verliererseite sind, aber bei Kennern der amerikanischen Politik – gestandenen Politikern, Journalisten, Diplomaten, Politologen usw. – fiel dieser Kandidat durch. Nur drei Prozent der US-Medien waren auf seiner Seite. Alle noch lebenden Ex-Präsidenten (Jimmy Carter, George H. Bush, Bill Clinton, George W. Bush) sprachen sich gegen ihn aus. Die Fachwelt erachtete ihn nicht als präsidiabel. Auch dies muss als Kontext für die Wahlnacht-Sendung in Erinnerung gerufen werden.
Am Ende der langen Wahlnacht stand fest, dass Donald Trump mit einer Mehrheit der Elektorenstimmen zum Präsidenten gewählt wurde, aber nur die Minderheit der Wählenden hinter sich hat. Trump erhielt 306 Elektorenstimmen, Hillary Clinton 232. Aber für Clinton votierten 64‘874‘143 und damit 48,1 Prozent der Wählenden, für Trump 62‘516‘883 und damit 46,4 Prozent der Wählenden.[6]
All das in Rechnung gestellt, war die sechsstündige Wahlnacht-Sendung vorwiegend analytisch-erklärend und neutral-referierend. Sie spiegelte beide Lager. Ohne die ausfälligen Bemerkungen von Moderator Stephan Klapproth war die Sendung also ausgewogen. Und sie musste nicht einmal zwingend ausgewogen sein. Ging Stephan Klapproth dennoch zu weit? Seine Äusserungen waren angesichts der Vorgeschichte verständlich. Es wäre zwar besser gewesen, wenn er so eindeutige Kommentare den Experten überlassen hätte. Aber wegen der Problematik der Trump-Wahl (die demokratisch zu akzeptieren ist, die aber dennoch kritisch gesehen werden darf) ziehe ich eine klare und sichtbare Haltung einer Scheinneutralität vor. Daher kann ich Ihren Beanstandungen, so sehr ich Ihren Unmut verstehe, nicht zustimmen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] „Weltwoche“ Nr. 47, 24. November 2016, Editorial, S. 7. http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2016-47/artikel/blitzgeburt-die-weltwoche-ausgabe-472016.html
[2] American Broadcasting Company, gehört The Walt Disney Company (California).
[3] Columbia Broadcasting System, gehört Viacom Inc./CBS Corp. (New York)
[4] Max Weber (1919): Politik als Beruf. München und Leipzig: Duncker und Humblot, S. 66
[5] Vgl. Urs Altermatt (Hrsg.,1991): Die Schweizer Bundesräte. Ein biographisches Lexikon. Zürich: Artemis und Winkler.
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