Aussagen über Atomausstiegsinitiative in Late-Night-Show «Deville» beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 25. November 2016 beanstandeten Sie die Sendung „Deville“[1] vom gleichen Tag. Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Somit kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Da der Inhalt gezielt für die politische Aussage zur Abstimmung beiträgt, finde ich es nicht in der Ordnung, Stimmung zu machen für ein Ja zur Initiative. Leider fand ich die Sendung auch sonst sehr verstörend, da auch wenn Satire dabei sein soll, die Aussage JA klar definiert wurde, besonders am Schluss der Sendung.

Für so etwas bezahle ich Billag gebühren? Service Public bedeutet für mich neutrale Berichterstattung, jedoch habe ich das Gefühl, dass Sie erheblich in die Meinungsbildung für den Abstimmungssonntag eingegriffen haben. Ich verstehe Satire eigentlich, jedoch wurde hier besonders einseitig bashing gegen KKW’s betrieben und für die Initianten gesprochen.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt die Möglichkeit, zu Ihrer Beanstandung Stellung zu nehmen. Frau Andrea Weber, Redaktionsleiterin Comedy, schrieb:

„Bei der Sendung ‚Deville’ handelt es sich um eine Satiresendung. Inhalt sind die aktuellen Themen, welche Dominic Deville verbal, mit Bildern oder Einspielfilmen sowie mit Gästen satirisch behandelt. Dies ist auch in der Sendung vom 25. November 2016 geschehen. Die Volksinitiative ‚Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie‘ wurde in verschiedenen Formen thematisiert.

Herr X stört sich daran, dass über dieses Thema nicht neutral und ausgewogen berichtet wurde.

D ie Satire ist ein besonderes Merkmal der Mei­nungsäusserung, bei dem sich die Form bewusst nicht kongruent zur ange­strebten Aussage verhält. Die Form der Satire übersteigt die Wirklichkeit, verfrem­det sie, stellt sie um, kehrt wieder zu ihr zurück, banalisiert sie, karikiert sie, macht sie lächerlich. In diesem Sinne profitiert die Satire von der in den Artikeln 16 und 26 der Bundesverfassung sowie in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleisteten Meinungsäusserungs- und Kunstfreiheit. Der Rahmen, den satirische Sendungen zu beachten haben, ist demnach weit abgesteckt.

Diese geltende Praxis lässt in satirischen Sendungen mit anderen Worten sehr vieles zu, was in nicht-satirischen Sendungen nicht mehr als zulässig be­zeichnet werden könnte. Die Praxis erlaubt der Satire auch tendenziöse Aussagen, welche nicht neutral und ausgewogen sind.

Das Publikum ist sich dessen bewusst und beurteilt die einzelnen Aussagen anders als in Informationssendungen. Vorliegend die Haltung von Dominic Deville, die ein JA zur Volksinitiative ‚Für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie‘ befürwortet.

Voraussetzung dafür, dass eine Sendung vom ‚Satireprivileg‘ Gebrauch machen kann, ist allerdings, dass diese Sendung klar als Satire erkennbar sein muss, was bei ‚Deville‘ eindeutig der Fall ist. Dass sich diese Sachlage nicht immer für alle Zuschauer einfach erschliesst, ist uns bewusst. und äussert sich nicht selten bei neueren Sendungen, deren Format noch nicht abschliessend etabliert ist.“

C. Soweit die Ausführungen von Frau Andrea Weber. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung der Sendung. Frau Weber hat Recht: Satire darf fast alles; ihr Spielraum ist weit. Sie profitiert von der Meinungsäußerungs- und Kunstfreiheit. Dabei ist unerheblich, ob es sich um gute oder schlechte Satire handelt. Recht und Ethik definieren die Grenzen des Freiraums; sie definieren nicht, was guter Geschmack ist. Wenn auf der Büchse „Satire“ steht, dann ist Satire drin.

Aber für Radio- und Fernsehsender mit einer Konzession gilt nicht nur die Medienfreiheit und je nach Sendeformat zusätzlich die Meinungsäußerungs- und Kunstfreiheit. Für sie gilt auch das Vielfaltsgebot. Die SRG ist ein Radio- und Fernsehsender mit einer Konzession. In Artikel 4, Absatz 4 des Radio- und Fernsehgesetzes heißt es: „Konzessionierte Programme müssen in der Gesamtheit ihrer redaktionellen Sendungen die Vielfalt der Ereignisse und Ansichten angemessen zum Ausdruck bringen“[2]. Dies gilt für den Normalfall. Im Normalfall können innerhalb eines längeren Zeitraums durchaus auch diverse einseitige, anwaltschaftliche, kommentierende oder satirische Beiträge vorkommen. Wichtig ist, dass in der Bilanz dieses längeren Zeitraums alle relevanten Fakten und alle relevanten Positionen irgendeinmal zum Ausdruck gekommen sind. SRF darf also im Längsschnitt keine Schlagseite haben, sondern muss im Sinne der Artikulationsfunktion alle relevanten Ansichten spiegeln.

Die Wochen vor einer Abstimmung gehören aber in Bezug auf die Abstimmungsthemen nicht zum Normalfall, sondern sie bilden einen Spezialfall. Vor Wahlen und Abstimmungen gelten besondere journalistische Sorgfaltspflichten, und das Vielfaltsgebot ist auf jede einzelne Sendung anwendbar, wie das Bundesgericht und die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) wiederholt festgestellt haben.[3] Das heißt: In der heißen Phase vor Wahlen und Abstimmungen, die gemäß publizistischen Leitlinien von SRF drei Wochen, gemäß UBI bis zu acht Wochen dauert, sind die relevanten Positionen in jeder Sendung zu spiegeln, vor einer eidgenössischen Volksabstimmung also sowohl die Ja- als auch die Nein-Position. Die Sendung „Deville Late Night“ fand vier Tage vor der Abstimmung über die Atomausstiegsinitiative statt, fiel also ohne jeden Zweifel in die heiße Phase.

Nun kann man natürlich argumentieren, diese Vorschrift zur Ausgewogenheit gelte nur für Informationssendungen, nicht aber für Satiresendungen, Kultursendungen, Quizsendungen, Sportsendungen. Das aber wäre fatal: Denn dies würde bedeuten, dass sich die Redaktionen von Informationssendungen neutral zu verhalten und ausgeglichen die verschiedenen Positionen zu spiegeln haben, während die Redaktionen aller anderen Sendungen aus allen Rohren schießen und einseitig eine bestimmte Position einnehmen könnten. Das würde indes das Vielfaltsgebot vor Wahlen und Abstimmungen aus den Angeln heben: Der Sender wäre in der einen Hälfte des Programms neutral, in der anderen Hälfte aber betriebe er heftige Propaganda für eine Seite.

Das Vielfaltsgebot gilt daher in der heißen Phase vor Wahlen und Abstimmungen auch für Sendungen, die nicht dem Informationsbereich zuzuordnen sind, also auch für Satiresendungen. Die Kunstfreiheit und die Meinungsäusserungsfreiheit haben zurückzutreten hinter die besondere journalistische Sorgfaltspflicht, die deshalb gilt, weil Radio und Fernsehen die Meinungsbildung der Stimmberechtigten einseitig beeinflussen könnten. Es gilt also, das Publikum vor Manipulation zu schützen.

Die Sendung „Deville Late Night“ war am 25. November 2016 mehrfach eine Propagandasendung für die Atomausstiegsinitiative – in der bildlichen Anmoderation, im thematischen Schwerpunkt zwischen den Minuten 6:40 und 11:50 sowie am Schluss. Niemand verbietet Dominic Deville, für die Atomausstiegsinitiative zu sein, aber er kann seine Sendung nicht zu einer Propagandasendung umfunktionieren, auch nicht in einer satirischen Variante. Darum kann ich Ihrer Beanstandung beipflichten.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/sendungen/deville/sendungen

[2] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

[3] BGE 132 II 290 E. 3.2.3 S. 296 [„Dipl. Ing. X“] ; BGE 138 I 107 E. 2.1f. S. 109 [„Cash TV“], vgl. Auch http://www.ubi.admin.ch/x/b_727.pdf

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