«Tagesschau»-Beitrag über Russland und den Internationalen Strafgerichtshof beanstandet

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Mit Ihrer E-Mail vom 3. Dezember 2016 haben Sie die „Tagesschau“ von Fernsehen SRF vom 16. November 2016 beanstandet, und zwar den Beitrag über den Rückzug Russlands aus dem Internationalen Strafgerichtshof.[1] Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Die Information, dass Russland aus dem Internationalen Gerichtshof ausgetreten ist, ist falsch und irreführend. Fakt ist, Russland hat die Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes nie anerkannt und kann folglich gar nicht austreten.
Interpretation
Russland und die USA sind im Nahen Osten in Kriege verwickelt und betreiben einen grossen propagandistischen Aufwand um die Deutungshoheit. Vor diesem Hintergrund ist eine präzise Berichterstattung der öffentlich rechtlichen Medien der neutralen Schweiz ausserordentlich wichtig. Die gezeigte Grafik mit Burundi, Südafrika und Gambia, die sich als Mitlieder verabschieden wollen, ist in Ordnung. Dazu aber in einem weiteren Schritt Russland einzublenden, riecht nach Propaganda. Russland ist nicht auf dem gleichen Niveau und hat demnach auf der Grafik nichts zu suchen, ausser mal will suggerieren, dass mal wieder die ‚bösen Russen‘ ausscheren wollen und ihnen die internationale Gemeinschaft egal ist. Wie auch immer: wenn man an der Grafik festhält, hätte man auch die USA (und auch Israel) als nicht Mitgliedsländer in der Grafik zeigen müssen.
Fazit:
Die privatrechtlichen Medien können berichten, wie sie es für gut befinden. Als Kunde kann ich ja frei wählen. Von den öffentlich rechtlichen Medien hingegen möchte ich nicht manipuliert werden (siehe Leistungsauftrag von SRF). Es wäre meiner Meinung informativer und neutraler gewesen, dem Zuschauer mitzuteilen, dass sich wohl einige afrikanische vom Internationalen Gerichtshof verabschieden wollen. Aber die Grossmächte, USA und Russland, leider nie dem Internationalen Gerichtshof beigetreten sind und sich daher auch nie vor dem Internationalen Gerichtshof zu verantworten haben.“

B. Die zuständige Redaktion erhielt Ihre Beanstandung zur Stellungnahme. Herr Franz Lustenberger, stellvertretender Redaktionsleiter der „Tagesschau“, schrieb:

„Mit Mail beanstandet X die Berichterstattung über den Internationalen Strafgerichtshof in der Tagesschau-Hauptausgabe vom 16. November. Er kritisiert die einführende Grafik in den Beitrag, in welchem drei afrikanische Länder sowie Russland aufgeführt sind, welche mit dem Internationalen Strafgerichtshof nichts mehr zu tun haben wollen. Russland sei gar nie beigetreten und könne daher auch gar nicht austreten. Man hätte auch andere Länder (USA, Israel) aufführen sollen, die dem Internationalen Strafgerichtshof fernbleiben.

Anlass für den Beitrag

Der Internationale Strafgerichtshof führt Mitte November sein alljährliches Treffen durch. An diesem Treffen sind die Austritte der drei Länder Gambia, Burundi und Südafrika eines der Themen, die auch vom Vorsitzenden angesprochen werden.

Am 16. November teilt Russland mit, dass es ‚das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) nicht weiter befolgen‘ werde. Es ziehe ‚seine Unterschrift unter das Gründungsstatut‘ zurück; dies geschehe auf ‚Anordnung von Präsident Wladimir Putin‘ (NZZ). Eine andere Quelle: ‚Die russische Regierung will den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verlassen‘ (Der Spiegel).

Information durch russische Medien

Der Russische TV-Sender ‚RTDeutsch‘ titelt: ‚Meilenstein des Globalismus bröckelt – Internationaler Strafgerichtshof künftig auch ohne Russland‘[2]

Und weiter: ‚ Nach den jüngsten Austritten mehrerer afrikanischer Staaten kehrt nun auch die Russische Föderation dem Strafgericht den Rücken zu.‘ RT ist ein vom russischen Staat finanzierter Auslandsfernsehsender mit nachrichten- und informationsorientiertem Programm mit Sitz in Moskau.

Die Tagesschau spricht in der Moderation von einem Abgang Russlands. Im Beitrag selber wird gesagt, dass sich Russland vom Strafgerichtshof zurückziehe. Beide Formulierungen sind praktisch identisch mit den Formulierungen im russischen Fernsehen.

Austritt und Gleichstellung mit afrikanischen Staat

Die Tagesschau hat nicht von Austritt gesprochen. Wie Herr X richtig festhält, hat Russland zwar den Gründungsvertrag im Jahre 2000 unterzeichnet, ihn aber nie ratifiziert. Genau dies wird im Schlusssatz des Beitrages auch gesagt. Zur Klarheit für das Publikum hätte sicher beigetragen, wenn die Tagesschau diesen Sachverhalt gleich zu Beginn in der Anmoderation erwähnt hätte.

Die Auflistung der drei afrikanischen Staaten und Russlands in einer Grafik kann man als problematisch bezeichnen. Allerdings stellt auch das russische Fernsehen diesen Zusammenhang her: ‚Ähnlich wie die afrikanischen Staaten wirft auch Russland dem ICC vor, bei der Strafverfolgung einseitig vorzugehen, was sich darin äussere, dass ausschliesslich gegen Angehörige nicht-westlicher Staaten und deren Verbündete Ermittlungen eingeleitet würden.‘ Die Kritik der drei afrikanischen Staaten und Russlands am ICC ist also praktisch deckungsgleich.

Propaganda gegen Russland

Die Tagesschau hat in ihrem Beitrag breit und transparent über die russischen Beweggründe für den Rückzug Russlands aus dem Grundlagenvertrag berichtet. Sie berichtet gemäss ihrem Auftrag über die Tagesaktualität; aktuell an diesem Tag war die Anweisung von Präsident Wladimir Putin, den Rückzug des Landes vom ICC zu veranlassen. Dass andere Länder wie eben die USA oder Israel ebenfalls ihre Mühe mit dem ICC haben, ist zwar richtig, für die aktuelle Berichterstattung aber nicht relevant. Russland selber hat den Rückzug nicht mit dem Abseitsstehen anderer Staaten begründet, sondern (wie im Beitrag erwähnt) mit Aussagen der Chefanklägerin des ICC zur Annektion der Krim und zum Konflikt in der Ostukraine.

Gegenstand des Beitrags war daher nicht eine Bestandesaufnahme über die Mitgliedstaaten des ICC. Gegenstand des Beitrages waren die Beweggründe Russlands für den Rückzug.

Fazit

Die differenzierte Rechtssituation Russland gegenüber dem ICC (kein Austritt wie bei den afrikanischen Staaten, sondern lediglich ein Rückzug) hätte früher in der Sendung, bereits in der Anmoderation, erwähnt werden sollen. Sie wurde am Schluss des Beitrages gemacht. Die Tagesschau hat daher im Wesentlichen sachgerecht berichtet und dem Publikum keine wichtigen Fakten vorenthalten.

Ich bitte Sie, die Beanstandung von Herr X in diesem Sinne zu beantworten.“

C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung des Beitrags. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist eine wichtige Instanz im Rahmen der Durchsetzung der Menschenrechte, aber kein Organ der Vereinten Nationen (Uno).[3] Er unterscheidet sich von den ad hoc eingesetzten internationalen Strafgerichten für das Ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Die Staatenwelt teilt sich in Bezug auf den Internationalen Strafgerichtshof in sechs Gruppen:

1.) 121 Staaten, die das Römische Statut von 1998 unterzeichnet und auch ratifiziert haben, sind eigentliche Mitgliedsländer. Dazu gehören 31 Länder Afrikas, 29 Länder Amerikas, 12 Länder Asiens, 41 Länder Europas und acht Länder Ozeaniens. Unter den Mitgliedern Europas befinden sich auch die Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien.

2.) 27 Staaten haben das Statut unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert, darunter befinden sich beispielsweise Ägypten, Algerien, Marokko, Simbabwe, Syrien, Jemen, Iran, Thailand, Usbekistan, Ukraine.

3.) 2 Staaten haben das Statut unterzeichnet, aber die Ratifizierung abgelehnt, nämlich Indien und China.

4.) 4 Staaten haben das Statut unterzeichnet, aber mittlerweile ihre Unterschrift zurückgezogen, nämlich USA, Russland, Sudan und Israel.

5.) 3 Staaten waren Mitglieder, sind aber wieder ausgetreten , nämlich Südafrika, Burundi und Gambia.

6.) 41 Staaten sind gänzlich nicht dabei, darunter Kuba, Libyen, Äthiopien, Somalia, Saudi-Arabien, Türkei, Pakistan, Kasachstan, Indonesien, Vietnam.

Dabei wird sofort klar: Es ist unmöglich, in einem „Tagesschau“-Beitrag diese Differenzierung darzustellen. Dazu ist das Medium Fernsehen einfach nicht geeignet. Und: Ob Staaten austreten, wie Südafrika, Burundi und Gambia, oder ob Staaten ihre Unterschrift unter das Statut zurückziehen, wie gerade Russland, kommt im Ergebnis auf das Gleiche heraus: Beide Staatentypen sind nicht mehr dabei und anerkennen den Gerichtshof nicht mehr. Die „Tagesschau“ hat das Wesentliche, was neu war, mitgeteilt, und sie hat dem Rückzug Russlands viel Aufmerksamkeit gewidmet. Man hätte allerdings noch anfügen können, dass sich damit die Schwergewichte der Welt, nämlich die USA, Russland, China und Indien, vom Internationalen Strafgerichtshof fernhalten. Aber die Aktualität war korrekt abgebildet, und das Publikum wurde in keiner Weise desinformiert oder manipuliert. Im Gegenteil: Die „Tagesschau“ beschrieb den Vorgang auf gleiche Art wie die staatsoffiziellen Medien Russlands. Ich kann daher Ihrer Beanstandung nicht beipflichten – außer in den Nebenpunkten, die Herr Lustenberger selber eingeräumt hat.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/sendungen/tagesschau/umfrage-atomausstieg-geld-fuer-oev-verspaetungen-mesopotamien

[2] https://deutsch.rt.com/russland/43311-internationaler-strafgerichtshof-afghanistan-usa-russland/

[3] http://www.internationaler-strafgerichtshof.de/

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