Fehlende Berichterstattung über Mossul in der Sendung «Tagesschau» beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 29. Dezember 2016 beanstandeten Sie die fehlende Berichterstattung der „Tagesschau“ von Fernsehen SRF über die Offensive gegen die irakische Stadt Mossul. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann daher auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„ Meine Beschwerde begründet sich in der Unterdrückung der Nachrichten über die Belagerung und Bombardierung der irakischen Stadt Mosul durch eine US-geführte Allianz im Gegensatz zur Berichterstattung zur syrischen Stadt Aleppo.
Wie Frau Messerli Durisch (Stv. Redaktionsleiterin Tagesschau) im angehängten mail schreibt [1], hat die Tagesschau letztmalig am 04.12.2016 über Mosul berichtet. Das ist eine sehr lange Zeit ohne irgendwelche Informationen für die Zuschauer zu Mosul und zum Leiden der Zivilbevölkerung, wo z.B. mehr als 750'000 Menschen auf Grund zerstörter Wasserleitungen unter akutem Wassermangel leiden...aber kein Wort dazu in der Tagesschau. Die Belagerung Mosuls wird von US-amerikanischen und alliierten Luftangriffen und einer Armee von zehntausend US- und Nato-Soldaten und Söldnern sowie des Iraks getragen. Aber trotz der barbarischen Bedingungen spricht die Tagesschau nicht über ‚Kriegsverbrechen‘...im Gegensatz zu Aleppo.
Weiterhin schreibt sie:
<Die Zurückhaltung hat nichts mit einer Geringschätzung des Leidens der Menschen von Mosul zu tun. Es ist bloss so, dass sich seit Beginn der Grossoffensive der irakischen Streitkräfte nicht viel verändert hat; die Nachrichtenlage ist in etwa gleich, anhaltend dramatisch natürlich.>
Da verwundert mich schon, was da die Frau Messerli Durisch so schreibt, wenn man Mosul mit der Berichterstattung über Aleppo vergleicht. Über das Schicksal der ehemals rund zwei Millionen Einwohner Mosuls informiert uns die Tagesschau überhaupt nicht; im Ostteil von Aleppo waren vor der Befreiung knapp 0,3 Millionen Einwohner betroffen und dagegen mussten wir uns in der Vergangenheit z.B. täglich über zerstörte ‚letzte‘ Krankenhäuser in Aleppo wundern (total wohl über 90 bei nur etwas über 80 Spitäler in ganz Syrien).
Und so lässt die ‚Nachrichtensperre‘ (selbst verordnet oder von aussen?)...oder anders formuliert: der völlige ‚Black-Out‘ der Tagesschau bezüglich Mosul ganz allgemein auf eine politisch motivierte und selektive Berichterstattung der srf-Tagesschau schliessen, anders ist das völlige Schweigen der Tagesschau zu dem Leiden der Bevölkerung von Mosul für mich nicht zu erklären.
Über die Gründe dazu bitte ich die srf-Tagesschau um eine Stellungnahme. Aber bitte nicht damit begründen, dass die Tagesschau keine Reporter in Mosul vor Ort hat; die hatte sie nämlich in Aleppo ebenfalls nicht; stattdessen berief man sich ja permanent auf nicht nachprüfbare Äusserungen eines 1-Mann-Büros in England.“
B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Redaktion zur Stellungnahme vorgelegt. Herr Franz Lustenberger, stellvertretender Redaktionsleiter der „Tagesschau“, schrieb dann:
„Herr X kritisiert die Tagesschau, sie würde Berichte über den Kampf um die irakische Stadt Mossul unterdrücken – dies im Gegensatz zur Berichterstattung über die Kämpfe um die syrische Stadt Aleppo. Er vermutet darin eine bewusste Unterdrückung von Nachrichten.
Berichterstattung zu Mossul
Die Tagesschau berichtet vor allem dann schwerpunktmässig über Kriege und militärische Auseinandersetzungen, wenn sich ‚auf dem Schlachtfeld‘ oder ‚in der Politik‘ Entscheidendes ereignet. Wie die stv. Redaktionsleiterin Regula Messerli in ihrem Mail an Herrn X am 21. Dezember schreibt, trifft diese Beurteilung auch auf die Belagerung der von der Terroristenmiliz IS beherrschten Stadt Mossul zu. Die Nachrichtenlage hat sich seit Beginn der irakischen Offensive gegen Mossul im letzten Herbst nicht wesentlich verändert. Nach anfänglich raschen Geländegewinnen durch die IS-Gegner (eine breite Koalition aus regulärer irakischer Armee, schiitischen Milizen und kurdischen Truppen, unterstützt von den Westmächten), ist an eine schnelle Entscheidung auf dem Schlachtfeld nicht zu denken.
Die Tagesschau hat am 1. Januar wieder einen Bericht zur Lage rund um Mossul gesendet: Die irakische Offensive kommt langsam voran; viele Menschen fliehen aus Angst und Not aus der belagerten Stadt, eine militärische Entscheidung wird nicht schon in den nächsten Tagen und Wochen fallen. Das Leiden der Menschen in Mossul kann also noch Monate lang dauern.[2]
Die Tagesschau verkennt das Leiden der Bevölkerung in Mossul nicht. Darum hat sie im Bericht am 1. Januar auch auf die Flucht der Menschen aus der Stadt hingewiesen. Es gibt kaum Bilder aus der Stadt selber – und wenn dann höchstens Propaganda-Bilder des IS. Diese können aber von aussen nicht überprüft werden.
Herr X hat Recht; die Tagesschau hat keinen Reporter in Mossul vor Ort. Dies ist ein absolut vernünftiger Entscheid aus Gründen der Sicherheit. Welche verantwortungsbewusste Fernsehanstalt schickt schon einen Reporter in eine vom IS gehaltene Stadt? Demgegenüber waren Journalisten in Aleppo auf beiden Seiten der Front immer wieder präsent und konnten über das Vorgefallene berichten.
Vergleich mit Aleppo
In Aleppo hat sich im letzten Dezember militärisch und politisch Entscheidendes getan: Die Truppen von Präsident Assad und ihre Verbündeten haben die ehemalige Rebellenhochburg Aleppo praktisch vollständig zurück erobert. Politisch haben sich Russland und die Türkei auf eine Waffenruhe geeinigt; bald sollen eigentliche Friedensverhandlungen in der kasachischen Hauptstadt Astana beginnen.[3] Die USA und ihre westlichen Verbündeten spielen im syrischen Bürgerkrieg derzeit keine wichtige Rolle mehr.
‚Nachrichtensperre‘
Herr X wirft der Tagesschau vor, sie würde politisch motiviert und selektiv berichten. Natürlich muss die Tagesschau-Redaktion jeden Tag eine Auswahl aus den tausenden von Meldungen und Stunden an Videomaterial treffen. Sie macht dies ohne politische Motivation. Schon gar nicht aufgrund einer ‚selbst verordneten oder von aussen verordneten Nachrichtensperre‘, wie dies im Mail unterstellt wird. Die Tagesschau-Redaktion arbeitet unabhängig, sie lässt sich durch keine politischen Druckversuche beeinflussen. Dies im Gegensatz zu den Medien in diktatorisch oder autokratisch geführten Staaten, bei denen politisch Verantwortliche oft über einen direkten Draht in die Nachrichtenredaktionen der einzelnen Medien verfügen, oder ihnen genehme Personen in den wichtigsten Funktionen platzieren.
Zukünftige Berichterstattung
Die Tagesschau-Redaktion verfolgt die militärischen Aktionen rund um Mossul genau. Sie wird auch wieder grösser berichten, wenn sich die militärische und/oder die politische Lage entscheidend verändern. Das Leiden der Bevölkerung wird dabei nicht ausser Acht gelassen. Die Tagesschau versteht sich nicht als Medium, das ‚nur‘ militärische Aktionen im Fokus hat. Im Gegenteil – Pascal Weber, unser Korrespondent im Nahen Osten, hat immer wieder beeindruckende Reportagen über das Schicksal der Menschen, über die Opfer dieses Krieges gemacht.
Hier einige Beispiele vom letzten Herbst.[4]
Pascal Weber wird weitere solche Reportagen aus dem Kriegsgebiet im Irak machen; allerdings nur, wenn es die Sicherheitslage erlaubt.
Ich bitte Sie, die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“
C. Damit komme ich zu meinem eigenen Kommentar zu Ihrer Beanstandung. Es ist legitim, Nichtberichterstattung zu beanstanden, wenn ein offensichtliches Ungleichgewicht entsteht dadurch, dass über einen vergleichbaren Vorgang berichtet wird. Sie stellen daher zu Recht die Frage, warum in der „Tagesschau“ von Schweizer Fernsehen SRF über das Geschehen in der umkämpften syrischen Stadt Aleppo immer wieder berichtet und über das Geschehen in der umkämpften irakischen Stadt Mossul kaum berichtet wird. Es ist unzweifelhaft, dass das Leiden der Zivilbevölkerung in Aleppo nicht höher gewichtet werden kann als das Leiden der Zivilbevölkerung in Mossul. Es ist auch nicht einzusehen, warum man über eine militärische Aktion, die von der syrischen Armee mit russischer und iranischer Unterstützung durchgeführt wird, anders berichten soll als über eine militärische Aktion, die von der irakischen Armee mit kurdischer, amerikanischer und britischer Unterstützung durchgeführt wird.
Herr Lustenberger hat dargelegt, was die Kriterien dafür sind, dass die „Tagesschau“ berichtet. In der Tat gab es in Aleppo nicht nur kriegerische Vorstösse, sondern immer wieder auch politische Vereinbarungen über eine Waffenruhe, die dann wieder gebrochen und danach neu ausgehandelt wurden. Das gab es in Mossul bisher nicht. Dazu kommt, dass Aleppo aufgeteilt war in Reviere verschiedener „Parteien“: Einen Teil kontrollierte schon immer die syrische Regierung. Andere Teile kontrollierten islamistische Rebellen. Einen kleinen Teil kontrollierten säkulare Rebellen. Dadurch öffneten sich Couloirs für Journalistinnen und Journalisten je nachdem, welche „Partei“ zu ihnen am ehesten Vertrauen aufzubauen bereit war. Diese Vielfalt gab und gibt es in Mossul nicht. Diese Stadt war ganz in den Händen des „Islamischen Staates“. Bisher ist es kaum einem wirklichen Journalisten gelungen, das Vertrauen des IS zu gewinnen. Jürgen Todenhöfer ist ja nun wirklich alles andere als ein Journalist.
Aus der Stadt Mossul selber kann also das Fernsehen nicht journalistisch berichten, es sei denn, „embedded“ aus dem inzwischen von der irakischen Armee eroberten Teil westlich des Tigris, in dem sich zu bewegen es aber ziemlich gefährlich ist. SRF-Korrespondent Pascal Weber hat im letzten Herbst mehrfach aus Dörfern in der Umgebung Mossuls berichtet, teils im Schutze der kurdischen Peschmerga, teils im Schutze der irakischen Armee. Danach kam die Offensive ins Stocken, und es gab kaum Neues zu berichten. Aus diesem Grund kann man meines Erachtens der „Tagesschau“ nicht den Vorwurf machen, sie berichte einseitig zu Gunsten der Bevölkerung Aleppos und zu Lasten der Bevölkerung Mossuls. Ich kann daher im Sinne Ihrer Beanstandung nicht erkennen, dass Fernsehen SRF das Sachgerechtigkeitsgebot verletzt hätte. Aber gerne nehme ich Ihre Beanstandung als Mahnung an Fernsehen SRF entgegen, Mossul nicht zu vergessen. Pascal Weber hat ja schon festgestellt, dass sich in dieser Stadt eine der größten humanitären Katastrophen anbahne. Man kann also nicht, wie Sie vermuten, unterstellen, dass SRF Katastrophen und Verbrechen benennt, wenn die Russen mit im Spiel sind, nicht aber, wenn die Amerikaner mit im Spiel sind.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] Vgl. Beilage
[2] http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-01-01-2017-1930?id=ae906b12-2ae1-45a9-a023-a49fcff6109a
[3] Diese Gespräche haben in der Zwischenzeit stattgefunden. Die Stellungnahme der „Tagesschau“ stammt vom 20. Januar 2017 (Anmerkung des Ombudsmanns)
[4] http://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/10vor10-vom-21-10-2016?id=a75edb20-6959-4be6-a53a-0400e316f446; http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/vormarsch-auf-mossul---humanitaere-katastrophe-befuerchtet?id=d2205961-cc57-40e7-9f2d-f85f6f2296cb; http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/mossul-weiter-umkaempft?id=181b1702-22bd-4d35-98d2-1e75d2176c78
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