Online-Kommentarfunktion bei SRF News beanstandet
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Mit Ihrer E-Mail vom 23. Dezember 2016 haben Sie die Kommentarfunktion auf SRF News an und für sich beanstandet. Ihre Eingabe entspricht den formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Ich kann folglich auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„Es ist so, dass in letzter Zeit die Kommentare zu Beitragen unter www.srf.ch (bei einem öffentlichen Angebot völlig sinnlosen Funktion) enorm an Boshaftigkeit zugenommen haben, ja teilweise an rassistische Aussagen grenzen.
Es ist zwar seit langem so, dass Experten im Bereich Social Media meinen, dass sich statistisch die Aussagen auf solchen Plattformen/Funktionen neutralisieren, aber das ist hier definitiv nicht mehr der Fall.
Studieren Sie bitte eine Zeit lang solche Kommentare, gerade zu politischen Fragen. Dann werden Sie sicher auch zum Schluss kommen, dass es besser wäre, diese Funktion abzuschalten. Das braucht es nun wirklich nicht auf einem seriösen Angebot, falls es dies journalistisch noch sein sollte.“
B. Ihre Beanstandung wurde der zuständigen Abteilung von SRF zur Stellungnahme vorgelegt. Frau Sandra Manca, Bereichsleiterin SRF News, schrieb:
„Besten Dank, geben Sie uns Gelegenheit, auf die Beanstandung von Herrn X betr. User-Kommentare auf srf.ch einzugehen.
Herr X moniert, dass die Kommentare auf www.srf.ch ‚enorm an Boshaftigkeit zugenommen haben‘, ja teilweise an rassistischen Aussagen grenzen würden. Zudem bezeichnet er die Kommentarfunktion als ‚bei einem öffentlichen Angebot völlig sinnlos‘ und empfiehlt, die Funktion abzuschalten.
Leider liefert Herr X keine konkreten Beispiele, wir versuchen trotzdem so detailliert wie möglich die Beanstandung zu beantworten.
Alleine auf der Nachrichtenseite srf.ch/news gehen pro Tag im Schnitt 550 Kommentare ein. Kommentieren kann nur, wer sich vorgängig mit Namen und Telefonnummer bei SRF registriert hat. So ist sichergestellt, dass User identifizierbar sind und keine anonymen Kommentare unter Pseudonymen abgegeben werden. Die User müssen zudem die Netiquette von SRF akzeptieren.[1] Diese Netiquette beinhaltet u.a., dass keine ehrverletzenden, vulgären oder hasserregende Inhalte publiziert werden und dass die Redaktion sich das Recht vorbehält, solche Kommentare zu löschen.
Im Gegensatz zur teilweise vorherrschenden Praxis anderer Medienhäuser werden unsere Kommentare nicht von Studenten oder durch automatisierte Tools freigeschaltet, sondern wird jeder einzelne Kommentar von einem Redaktor gelesen und manuell freigeben. Bei wie erwähnt gut 550 Kommentaren ein nicht unerheblicher Aufwand. Sollte trotz dieser Qualitätskontrolle ein Kommentar gegen die Netiquette verstossen, kann er auch nach Publikation zurückgezogen und gelöscht werden Gut 1⁄4 der eigegangenen Kommentare werden aber wegen Verstoss gegen die Netiquette schon gar nicht publiziert. Zudem schalten sich unsere Redaktoren auch in laufende Diskussionen ein, wenn Debatten aus dem Ruder zu laufen drohen. Wenn wir sehen, dass ein vernünftiger Dialog leider nicht mehr möglich ist, wird die Kommentarfunktion deaktiviert.
Bei vereinzelten Themen wie zum Beispiel Familiendramen, bleibt die Kommentarfunktion von Anfang an geschlossen. Nur am Rande sei erwähnt, dass das Nicht-Publizieren von User-Kommentaren uns wiederum regelmässig den unberechtigten Vorwurf der Zensur oder der politischen Meinungsmache einbringt.
Wir sind uns bewusst, dass die Kommentare von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Im Unterschied zur klassischen Leserbriefspalte der Zeitungen, werden Online-Kommentare aber nie redaktionell gewichtet oder redigiert.
Zur Frage, ob die Kommentarfunktion grundsätzlich deaktiviert werden sollte: Es gibt Medienhäuser, zum Beispiel VICE, welche sich zu diesem Schritt entschlossen haben. Wir sind der Ansicht, dass wir als gebührenfinanziertes Unternehmen diese Kommentarfunktion weiterhin anzubieten haben. Der Dialog unter den Usern, wie aber auch der Dialog auf Augenhöhe zwischen Journalisten und Publikum, ist für ein öffentliches Medienhaus wie SRF im digitalen Zeitalter geradezu zwingend.
Selbstverständlich sind wir weiterhin darum bemüht, die Qualität der Kommentare zu steigern. Dies durch fortlaufende Moderation und durch das Durchsetzen unserer Netiquette.
Wir bitten Sie deshalb, die vorliegende Beanstandung abzuweisen.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Beurteilung des Sachverhalts. Sie haben sicherlich Recht, dass im digitalen Zeitalter auf Online-Seiten mehr rüde, boshafte, dummdreiste Kommentare veröffentlicht werden als in den Leserbriefspalten der Zeitungen – aus zwei Gründen: Erstens haben die Zeitungsredaktionen schon aus Platzgründen rigider ausgewählt als Online-Redaktionen, bei denen es das Platzargument nicht gibt. Zweitens ist ein online-Kommentar schneller und leichter abgegeben als ein Leserbrief verschickt, bei dem man entweder die richtige E-Mail-Adresse der Redaktion heraussuchen oder einen Brief frankieren und in den nächsten Briefkasten werfen muss. Online-Kommentare werden so leichthin abgegeben wie Bemerkungen am Stammtisch. Es ist ein digitaler Stammtisch entstanden, dem Stammtisch in einem Wirtshaus vergleichbar, mit dem Unterschied allerdings, dass das Publikum nicht bloss aus fünf, sechs Freunden besteht, sondern aus einer theoretisch schier unendlichen Öffentlichkeit.
Das Publikum ist heute als Diskurspartner wichtiger geworden. Die Medien können sich über die im Publikum vorhandenen Meinungen nicht schnöde hinwegsetzen. Darum sind online-Kommentarfunktionen wichtig, ja unerlässlich, und es wäre absurd, Ihrem Vorschlag zu folgen und sie aufzuheben. SRF News macht es daher genau richtig: Die eingehenden Kommentare werden durch Redaktionsmitglieder gesichtet und auf der Basis der Netiquette manuell freigeschaltet. Es ist eine Frage der personellen Ressourcen, ob man noch mehr tun kann. Die Medienprofessorin Marlis Prinzing (Hochschule Macromedia Köln) hat sich im Buchaufsatz „Digitaler Stammtisch versus Diskursethik?“ einlässlich mit dieser Problematik befasst. Sie schlägt unter anderem vor, dass einzelne Publikumsbeiträge herausgehoben werden könnten, um den Diskurs zu steuern, und dass die Redaktion selber mit kurzen eigenen Beiträgen korrigierend eingreifen könnte. So schreibt sie:
<Qualitätsfördernd wirken „Incentives“ wie z. B. die „New York Times Picks“: Die Redaktion der New York Times steuert den Diskurs, indem sie als Picks Leser-Kommentare exponiert, die sie für lesenswert hält, die nachdenklich machen, Expertise spiegeln – und fördert so zudem „gut gemachte“ Kommentare. Weitere Privilegien, über die letztlich Diskursqualität gesteigert wird, sind Icons, die sogenannte „trusted commenters“ markieren, welche ohne professionellen Moderator posten dürfen (vgl. Sonderman[2]). Sie müssen Klarname, Profilfoto und Heimatstadt via Facebook-Konto oder anderer Verifizierung angeben. Eine Studie zu Nachrichtenseiten (vgl. Stroud[3]) belegt, wie förderlich es ist, wenn sich ein Redaktionsmitglied im Gesprächsverlauf zu einer Geschichte aktiv einbringt, Fragen beantwortet und stellt, Material ergänzt: Die Gesprächsbereitschaft steigt, die Zahl der unflätigen Kommentare hingegen sinkt.>[4] Und im Fazit hebt Marlis Prinzing hervor: <Moderatoren in Online-Redaktionen steuern und führen einen werteorientierten Dialog mit dem und im Publikum. Das würde zum Beispiel bedeuten, auch redaktionelle Diskussionsbeiträge zu liefern, etwa wenn im Diskurs Fakten fehlen, könnte aber auch Incentives meinen, wie sie – siehe Beschreibung oben im Beitrag – etwa die New York Times anbietet. Empfehlenswert wäre, die Redaktionen überlegten sich eine Art Diskursleitfaden, um wirklich systematisch vorzugehen.>[5]
Wenn Online-Diskurse so moderiert werden, nehmen auch die boshaften Kommentare tendenziell ab. Jedenfalls müsste die Entwicklung in diese Richtung gehen und nicht in Richtung „Funktion gänzlich abschalten“. Aus diesem Grund kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/allgemeines/netiquette-und-user-generated-content-ugc
[2] Sonderman, Jeff (2012): People using pseudonyms post the highest-quality comments, Disqus says. In: Poynter.org, 11.1.2012. http://www.poynter.org/news/mediawire/159078/people-using-pseudonyms-post-the-most-highest-quality-comments-disqus-says/
[3] Stroud, Natalie Jomini / Scacco, Joshua M. / Muddiman, Ashley / Curry, Alexander L. (2015): Changing Deliberative Norms on News Organizations' Facebook Sites. In:Journal of Computer-Mediated Communication, 20/2, S. 188–203.
[4] Marlis Prinzing: Digitaler Stammtisch versus Diskursethik? Medienethische Überlegungen zur Beziehung zwischen Publikum und Journalismus. In: Stapf, Ingrid, Prinzing, Marlis, Filipović, Alexander (Hrsg., 2016): Gesellschaft ohne Diskurs? Digitaler Wandel und Journalismus aus medienethischer Perspektive. Baden-Baden: Nomos, S. 41.
[5] Wie Fussnote 4, S. 46.
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