«Tagesschau»-Bericht über Anschlag in Istanbul beanstandet (II)
4460
Mit Ihrem Brief vom 9. Januar 2017 beanstandeten Sie die „Tagesschau“ des Schweizer Fernsehens SRF vom 1. Januar 2017 und dort den Beitrag über den Anschlag in Instanbul, genauer das Verhalten des Moderators Florian Inhauser.[1] Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Folglich kann ich auf sie eintreten.
A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:
„ Seit ich mich erinnern kann, verfolge ich das aktuelle Weltgeschehen jeweils zuerst über SRF Fernsehen oder SRF Radio. Ich verlasse mich dabei auf eine Qualität, die durch professionellen Journalismus geprägt ist.
Auch verlasse ich mich auf Moderatoren und Berichterstatter, die ihre Arbeit seriös, sachbezogen, frei und ohne Ressentiments ausüben.
Am 1. Januar 2017 wurde für die Sendung um 19.30 Uhr ‚Tagesschau‘ aus Istanbul bezüglich des Nachtclub- Anschlags berichtet. Die Reporterin Kristina Karasu berichtete neutral, sachlich und mit den nötigen Hintergrundinformationen. So wie man eben über einen feigen Terror- Anschlag mit vielen Toten berichten kann.
Vom anwesenden Nachrichtenmoderator Florian Inhauser im Studio kann diese Seriosität und neutrale Haltung jedoch in keiner Weise bestätigt werden. Der sonst sehr eloquent und glasklar formulierende, charmant und stilsicher auftretende Herr Inhauser betitelt bewusst den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan als ‚Präsident ErdoWahn‘, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich habe im SRF- Archiv die Sendung mehrere Male angeschaut und komme zum Ergebnis, dass dies bewusst in dieser Art ausgesprochen wurde.
SRF legt offen dar, dass von den jährlich eingezogenen Zwangsgebühren durch die Bevölkerung über 53 Mio. CHF für Nachrichtensendungen, Magazine und Talks aufgewendet werden.
Gerade deshalb erwartet der Zuschauer in solch einer ernsthaften Nachrichtensendung in allen Belangen eine korrekte Nachrichten- und Berichterstattung. Mit der nötigen Professionalität, ohne Vorurteile und ohne Populismus. Dafür muss man weder pro noch contra für den türkischen Staatspräsidenten sein. Es geht um das Prinzip, dass das Schweizer Fernsehen neutral berichten soll. Diese Neutralität wurde in diesem Fall bewusst gebrochen.
Wenn Herr Inhauser sich mittels Politsatire über Staatspräsidenten lustig machen will, kann er jeweils am Sonntagabend die Stelle von Giaccobbo- Müller übernehmen.
Ich verlange, dass Herr Inhauser sich in der Öffentlichkeit von allen Betroffenen sich für diesen Aussetzer ohne Wenn und Aber entschuldigt und versichert, dass so etwas nie wieder passiert. Wir alle wissen, dass Herr Inhauser seinen Job sehr wohl besser machen kann.“
B. Die zuständige Redaktion erhielt Gelegenheit, zu Ihren Argumenten Stellung zu nehmen. Herr Franz Lustenberger, stellvertretender Redaktionsleiter der „Tagesschau“, schrieb:
„Mit Brief vom 9. Januar kritisiert Herr X die Tagesschau-Hauptausgabe vom 1. Januar. Letztlich geht es um die Aussprache des Namens des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
Berichterstattung
Die Tagesschau hat am Neujahrstag umfassend und breit über den Anschlag in Istanbul berichtet. Sie hat dies korrekt gemacht. Sie hat auch im Rahmen ihres Informationsauftrages Stellung bezogen; Moderator Florian Inhauser bezeichnet den Anschlag in der Moderation als ‚mörderische Attacke‘. Im Live-Gespräch mit der Korrespondentin Kristina Karasu in Istanbul werden mögliche Hintergründe besprochen; es wird herausgearbeitet und erläutert, dass mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit islamistische Kreise hinter der Tat stecken könnten.
Aussprache
Dazu drei Vorbemerkungen: Die Tagesschau ist eine Live-Sendung. Alle Moderationen und die meisten Korrespondenten-Gespräche werden live gesprochen. Die Moderatorinnen und Moderatoren sind sprachgewandt; sie sind aber der türkischen Sprache nicht mächtig. Die Tagesschau stützt sich bei der Aussprache von Namen, Orte, Berge, etc. in anderssprachigen Ländern auf die Aussprachedatenbank der ARD.[2]
Gemäss Datenbank wird der Name des türkischen Präsidenten Erdoğan mit einem weichen ‚w‘ ausgesprochen. In der Sendung wird das ‚w‘ etwas härter ausgesprochen, nicht ganz in perfektem Türkisch.
Wenn Herr X dies als ‚ErdoWahn‘ (Hervorhebung durch den Beanstander) gehört und interpretiert haben will, so ist das seine ganz persönliche Wahrnehmung. Sie war vom Moderator nie so gemeint. Die allermeisten Zuschauer haben dies auch nicht so gehört und schon gar nicht so interpretiert.
Keine Politsatire
Florian Inhauser formuliert – wie der Beanstander selber schreibt – sehr eloquent und auf einem hohen sprachlichen Niveau. Florian Inhauser hat am 1. Januar keine Politsatire gemacht und sich keineswegs über den türkischen Staatspräsidenten lustig gemacht; diesen Vorwurf weist die Tagesschau in aller Form zurück. Die Tagesschau hat seriös über den verheerenden Terror-Anschlag berichtet.
Alle Moderatorinnen und Moderatoren, alle Journalistinnen und Journalisten von SRF bemühen sich um eine korrekte Aussprache von Namen und Bezeichnungen anderer Sprachen. Wenn ich manchmal andere Sender in anderen Ländern oder auch lokale Sender hierzulande höre, dann komme ich zum Schluss, dass die Nachrichtensendungen von SRF diesem Ziel sehr nahekommen. Dies sicher auch, weil die Schweiz ein vielsprachiges Land ist, mit vier Landessprachen und wegen der Migration in die Schweiz mit vielen weiteren Sprachen, die in unserem Umfeld gesprochen werden.
Ich bitte Sie die Beanstandung in diesem Sinne zu beantworten.“
C. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung des angesprochenen Problems. Rundfunkmedien stehen – anders als Print- und Onlinemedien – stets vor der Herausforderung, Personen-, Orts-, Landschafts- und Institutionen-Namen aller möglicher Länder und Sprachen richtig auszusprechen. Dabei erlaubt man sich bei deutschsprachigen Sendern, die Namen wichtiger Städte deutsch und nicht in der jeweiligen Landessprache zu benennen. Man sagt also Damaskus und nicht Dismaschq, Aleppo und nicht Halab, Jerusalem und nicht Jeruschalajim oder al-Quds, Kairo und nicht al-Qahira, Prag und nicht Praha, Mailand und nicht Milano. Bei den Personennamen bemüht man sich hingegen, anders als in vielen anderen Ländern, beispielsweise Frankreich, um die korrekte Sprechweise. Dabei werden nicht immer alle Feinheiten beachtet. Nicht immer wurden die Namen der russischen Politiker Konstantin Tschernenko, Juri Andropow oder Michail Gorbatschow so ausgesprochen, dass korrekt Kanstantin Tschernjenko, Juri Andruopow oder Michail Garbatschoff herauskam. Genauso verhält es sich mit dem Namen des türkischen Präsidenten Erdoğan: Es geht um Feinheiten.
Dafür ist die „Tagesschau“ vom 1. Januar 2017 ein gutes Beispiel. Der Moderator Florian Inhauser spricht alle Namen härter und „deutscher“ aus als die Korrespondentin Kristina Karasu. Er spricht vom Nachtclub „Raina“, sie sagt „Rejna“. Er setzt das ğ im Namen des türkischen Präsidenten hörbar als relativ hartes W um, die Korrespondentin verwendet ein ganz weiches, kaum hörbares W. Nachdem ich mir den Beitrag mehrfach angehört habe, komme ich zum Schluss, dass die Aussprache der Unbeholfenheit eines der türkischen Sprache unkundigen Moderators zuzuschreiben ist und nicht einer bestimmten politischen Haltung. Arthur Honegger von „10 vor 10“, der der aktuellen Politik des türkischen Präsidenten genauso kritisch gegenübersteht wie Florian Inhauser und wie vermutlich alle demokratisch, rechtsstaatlich und pluralistisch eingestellten Schweizer Journalistinnen und Journalisten, spricht den Namen des Staatspräsidenten absolut korrekt aus.
Sie verlangen eine Entschuldigung. Es gibt zurzeit nur einen Grund, für den sich Schweizer Journalistinnen und Journalisten im angesprochenen KonteXt entschuldigen müssten: Dann, wenn sie über die derzeitige Entwicklung in der Türkei nicht mehr kritisch berichteten.
Die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) würde in so einem Fall wie dem des nicht ganz korrekt ausgesprochenen Präsidenten-Namens sagen, es handle sich um einen Fehler in einem Nebenpunkt, der die freie Meinungsbildung des Publikums in keiner Weise beeinträchtige. Da ich die Aussprache als marginalen Fehler in einem Nebenpunkt betrachte, kann ich Ihre Beanstandung nicht unterstützen.
D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
[1] http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-01-01-2017-1930?id=ae906b12-2ae1-45a9-a023-a49fcff6109a
[2] http://www.ard.de/home/intern/fakten/abc-der-ard/ARD_Aussprachedatenbank____AusspracheDatenBank__ADB__der_ARD/563650/index.html
Kommentar