Radiosendung «Kontext» über liberale Muslime beanstandet

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Mit Ihrem Brief vom 21. Dezember 2016 haben Sie im Namen des Islamischen Zentralrates Schweiz (IZRS) die Sendung „Kontext“ von Radio SRF 2 Kultur und dort den Beitrag „Am Rande der Debatte - Liberale Muslime“ beanstandet.[1] Ihre Eingabe erfüllt die formalen Anforderungen an eine Beanstandung. Deshalb kann ich auf sie eintreten.

A. Sie begründeten Ihre Beanstandung wie folgt:

„Die SRF-Sendung ‚Kontext‘ mit dem Sendedatum 09. Dezember 2016 hat unter Muslimen für Aufsehen gesorgt. Im Folgenden erlaube ich mir, Ihnen folgende Beschwerde fristgerecht zur ausführlichen Begutachtung und Stellungnahme einzureichen.

Die Beschwerde beanstandet einerseits die von der Redaktion eingeführte, unserer Ansicht nach unhaltbare Dichotomisierung des facettenreichen muslimischen Spektrums in ‚liberale‘, sprich gute und ‚radikale‘, sprich böse Muslime, wobei es gemäss Redaktor Raffael Zehnder die Aufgabe der Zivilgesellschaft sei, eben diese ‚Radikalen‘ nicht aus den Augen zu verlieren. Andererseits gibt es inhaltliche Fehler, welche nicht zuletzt aufgrund des fehlenden Widerspruchs beim Hörer verbreitete Stereotypen wie etwa, der Islam sei nicht mit Demokratie zu vereinbaren, schon zu Beginn der Sendung festigt.

Die SRG-Redaktionen als Programmverantwortliche der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt haben sich gemäss Artikel 3 ihrer Konzession nicht nur an die Gesetze halten. Sie müssen über dies in hohem Mass berufsethische Normen respektieren. In Artikel 4 der SRG Programmcharta wird weiter die Forderung nach zuverlässigen Quellen unterstrichen und deklariert, dass falsche Informationen berichtigt werden müssen.

Art. 4, SRG-Programmcharta: <In unseren Informationssendungen sind wir bestrebt, der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Wir bemühen uns, sämtliche Tatsachen zu berücksichtigen, die für das Verständnis des jeweiligen Sachverhaltes relevant sind. Wir verbreiten nur Informationen aus zuverlässigen Quellen. Falsche Informationen berichtigen wir. Wir lehnen jede Form von Manipulation oder Verzerrung der Wahrheit mit Hilfe von Bild, Ton oder Text ab. Unsere Informationen beschaffen wir auf rechtlich zulässige und ethisch korrekte Art und Weise.>[2]

Ein sorgfältiger Umgang insbesondere mit subjektiven Meinungen, besonders in einer Zeit der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung, ist für eine neutrale und unvoreingenommene Berichterstattung unerlässlich. Dies umso mehr, wenn die Sendung einen Themenbereich bearbeitet, dessen Diskussion in der Öffentlichkeit in aller Regel mit starken Emotionen einhergeht. Das Thema Muslime oder Islam gehört zweifelsfrei in diese Kategorie.

Redaktoren und Journalisten müssen sich bewusst sein, dass eine gesellschaftlich kritische Grundstimmung gegenüber dem Islam vorherrscht und sich daher besonders gut überlegen, ob es tunlich sei, jene durch subjektive Sichtweisen, welche eine islamfeindliche Stimmung transportieren, ohne glaubwürdigen Widerspruch noch weiter zu fördern.

So dann sollten sich die Verantwortlichen fragen, was eine solche Sendung zur Meinungsbildung der Zuhörerinnen und Zuhörer beiträgt. Kann angesichts der Aneinanderreihung von subjektiver Islamkritik, falscher Informationen und pauschalisierender Einteilung in gute liberale und böse radikale Muslime eine eigenständige Meinungsbildung durch die Zuhörerschaft überhaupt noch erwartet werden?

Zu Beginn der Sendung rechtfertigt Redaktor Raffael Zehnder möglicherweise im Wissen um die Einseitigkeit des präsentierten Meinungsspektrums seine Auswahl und fällt dabei selbst in die Falle pauschalisierender Schwarzweissmalerei:

<Raffael Zehnder, Sie sind der Redaktor dieser Sendung. Weshalb hört man solche Stimmen wie die hier von Sema so selten?>

RZ: <Ja weil die Kraftparolen und die Kriegsrhetorik der Extremisten so viel lauter sind. Wir wissen zwar, dass sie nur einen kleinen Teil der Muslime ausmachen, aber einen Zugang zu den Meinungen, im Plural Meinungen von Musliminnen und Muslimen, bekommt man selten. Dem wollen wir Gegensteuer geben mit zwei Reportagen aus Berlin und Paris, um ein differenziertes Bild davon zu bekommen, wie Musliminnen und Muslime, die in Westeuropa denken und leben. Denn es gibt nicht nur die lauten, die bösen, die gewalttätigen, sondern es gibt eben auch liberale Musliminnen und Muslime. (...). Aber mit einer Adresse in Saint-Denis oder in Haubertvillier findet man kaum eine Arbeitsstelle im nahen Paris. Vor allem dann nicht, wenn man schwarz ist oder mit Vornamen Nadir oder Jasmina heisst, und in dieser perspektivlosen Situation werden viele kriminell oder islamistisch, was ja oft aufs selbe herauskommt.>

Gemäss dieser Rechtfertigung wird also den Extremisten zu viel Raum in der Berichterstattung über den Islam eingeräumt. Dieser viel beklagten und durchaus auch von muslimischer Seite beanstandeten Tatsache gilt es an sich nicht zu widersprechen, soweit damit gewaltbereite Gruppen wie etwa der ‚IS‘ gemeint sind. Problematisch jedoch erscheint die direkte Gegenüberstellung von ‚lauten, bösen, gewalttätigen‘ und ‚liberalen Musliminnen und Muslime‘. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es dazwischen kein Spektrum mehr gäbe. Diesem täuschenden Eindruck wurde bereits durch die Anmoderation von Brigitte Häring den Weg geebnet. Ausserdem ist es ein weithin bekanntes, häufig und seit langem von Seite der Wissenschaft kritisiertes Faktum, dass der heute negativ konnotierte Begriff ‚Islamist‘ einen inflationären, nicht auf objektiven Kriterien basierenden Gebrauch erlebt. Mit dieser Aussage Brandmarkt Herr Zehnder nun also all jene, die fälschlicher- oder gar korrekterweise als ‚Islamisten‘ bezeichnet werden können als Kriminelle.

Dabei ist ‚Islamist‘ zu sein ist faktisch kein Straftatbestand und auch nicht auf andere Weise juristisch relevant. Hier werden ausserdem die ‚Strenggläubigen‘ im selben Nebensatz mit ‚Radikalen‘ und ‚Extremisten‘ genannt:

<Im Lärm der Diskussionen über islamistischen Terrorismus geht oft vergessen, dass es sie gibt: liberale Musliminnen und Muslime in Westeuropa, die sich gegen die Extremisten wenden. Über sie und ihre Schwierigkeiten berichten wir heute im Kontext mit Reportagen aus Frankreich und aus Deutschland. Musliminnen und Muslime, die sich gegen die Radikalen, die Strenggläubigen, die Extremisten wenden.>

Eine klare Differenzierung zwischen konservativen, strenggläubigen, orthodoxen und extremistisch-gewaltbereiten Muslimen findet nicht statt. Stattdessen wird auch im weiteren Verlauf der Sendung immer wieder der Eindruck geschürt, dass es jenseits des sogenannten liberalen Muslims nur noch gefährlichen Extremismus gebe. Dies ist faktisch falsch bzw. bedient die subjektive Ansicht vieler liberaler Muslime. Auch die grosse Mehrheit der konservativen Muslime lehnt Gewalt und Terrorismus ab, viele definieren sich gar als apolitisch, etwa die allermeisten Sufi-Orden, die Jamä'a Tabligh oder aber auch weite Teile der Neosalafiten. Sie alle fallen aber wohl in die Kategorie der strenggläubigen und konservativen und können nichtsdestotrotz mit Extremismus nichts anfangen. Eine orthodoxe Glaubenspraxis, ob nun bei Juden, Christen oder Muslimen, ist in unserer Gesellschaft durch die Religionsfreiheit geschützt. Entsprechend besteht a priori kein Anlass, solche Menschen pauschal zu problematisieren. .

Wäre man geneigt, der Einschätzung Herrn Zehnders zuzustimmen, wonach liberale Muslime im öffentlichen Diskurs untervertreten seien, müsste seitens der SRG im Einzelfall dennoch sichergestellt werden, dass die Programme nicht auf ein einziges Meinungsspektrum reduziert werden, wobei durch die Parteinahme von Redaktion und Journalistin der Eindruck erweckt wird, dass es sich bei den geäusserten Positionen nicht mehr eigentlich um subjektive handelt.

Allerdings basiert die Einschätzung Herrn Zehnders wohl eher auf Empfinden als auf einer analytischen Auseinandersetzung.

Gerade in der Schweiz wird dem sogenannten ‚Forum für einen fortschrittlichen Islam‘, präsidiert durch die alles andere als unbekannte Saida Keller-Messahli, wesentlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt als etwa den Vertretern der nationalen Moschee-Dachverbänden (FIDS und KIOS) zusammen . Dies lässt sich mit einer Abfrage in der SMD-Datenbank zweifelsfrei nachweisen.

Damit will nicht gesagt sein, dass es unlauter wäre, eine Sendung einzig dem Meinungsspektrum sogenannt liberaler Muslime zu widmen. Allerdings bedarf es in so einem Fall einer entsprechend neutralen Einordnung durch die Redaktion und oder Anmoderation, so dass der Zuhörer versteht, dass hier keine wissenschaftlichen Fakten, sondern subjektive Meinungen ausgebreitet werden. Aussagen wie: <Um liberale Muslime und um die Intoleranz der Gläubigen geht es in der Reportage von Rebecca Hillawer aus Berlin>, lassen die nötige Distanz zum Gegenstand durch die Programmleitung klar vermissen.

Sodann entstehen durch unwidersprochene Wortmeldungen etwa der Kurdin Sema folgenschwere Missverständnisse, welche geeignet sind, praktizierende Muslime zu beleidigen und zu diffamieren:

RH: <Die Kurdin Sema kauft nur noch ungern hier ein>:

Sema: <Wenn ich diese Blicke sehe und diese unterschwellige Selbstbewusstsein und böse Blicken von Muslime, die ich jetzt grade so genommen hatte in dem Einkaufszentrum - richtig verschleiert die Frauen, wo wir vor ein paar Jahren nicht uns vorstellen könnten auf der Strasse und Männer genauso wie ISIS da, die hier mit dem Bart und mit einem Cap und so was. Da hab ich schon ein bisschen Angst, so wow was ich in der Türkei erlebt habe, kommt nach Deutschland.>

Die Kurdin Sema glaubt sich offenbar den ‚bösen Blicken‘ von Muslimen ausgesetzt, während sie einkaufen geht. Verschleierte Frauen und bärtige Männer assoziiert sie mit dem ‚IS‘ und dies mache ihr Angst. Dass ein Kopftuch oder ein Bart in Deutschland salopp mit dem ‚IS‘ in Verbindung gebracht wird, ist problematisch. Ihr unbekannten Muslimen begegnet die Kurdin höchst intolerant und voreingenommen.

Der fehlende Widerspruch durch die Journalistin - sei es während der Aufzeichnung oder danach im Rahmen eines Kommentars - signalisiert dem Hörer, dass es in Ordnung sei, solche pauschalisierenden Urteile in der Öffentlichkeit auszusprechen, die zudem auf den subjektiven Empfindungen einer einzelnen Frau basieren. Ihre einstigen traumatisierenden Erlebnisse in der Türkei mögen erklären, warum die Kurdin so denkt. Allerdings geht es nicht an, dass unbescholtenen Muslimen ihres Bartes oder Kopftuchs wegen eine Nähe zum ‚IS‘ unterstellt wird oder arabische Männer als ‚Paschas‘ auf eine Weise verunglimpft werden, die dem Tatbestand der Rassendiskriminierung doch sehr nahekommt, ohne dass die Programmleitung ihre Distanz zu solchen Pauschalurteilen signalisiert.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Art und Weise, wie etwa das Thema Kopftuch abgehandelt wird. Der ehemalige ARD Korrespondent Samuel Schirmbeck behauptet, in Marokko und Algerien erlebt zu haben, wie sich ‚diese Leute‘ aufführen, wenn sie in der Mehrheit seien.

‚Diktatorisch‘ seien sie. Druck würden sie ausüben auf Frauen, die kein Kopftuch tragen. In einigen Stadtteilen gingen junge Männer mit Feuerzeugen umher und würden unbedeckten Frauen <die Flamme mal schnell ans Haar> setzen.

Der Wahrheitsgehalt dieser Darstellung lässt sich nicht überprüfen, darf jedoch ob den massenhaft unbedeckten Frauen in den beiden nordafrikanischen Ländern zumindest angezweifelt werden.

Problematisch ist die Einbettung solcher Episoden in das vor- und nachher dargestellte: Radikale Videos und Wortmeldungen auf Social Media, insb. genannt wird der deutsche Szenenrapper Deso Dog, welcher sich dem ‚IS‘ angeschlossen hatte. Es entsteht eine eigentliche thematische Verwirrung. Frauen die ein Kopftuch tragen oder sich dafür einsetzen, ein solches in der Öffentlichkeit und bei der Arbeit tragen zu dürfen, erscheinen als Agenten eines sich ausbreitenden gewaltbereiten Islams, dem es quasi von Anfang an Paroli zu bieten gilt. Eine saubere Unterscheidung zwischen dem durch die Religionsfreiheit geschützten Tragen eines Kopftuchs und radikalen Hassbotschaften auf Social Media-Kanälen fehlt und trägt zu einem verallgemeinernden thematischen Wirrwarr bei.

Faktisch unhaltbar ist die Behauptung in Rebecca Hillawers Einführung in die Person Samuel Schirmbecks, wonach die Islamisten in Algerien die Hoffnung auf Demokratie zerstört hätten:

RH: <Samuel Schirmbeck kennt dieses Gefühl. Der ehemalige Nordafrika Korrespondent hat die

schleichende Radikalisierung in Algerien miterlebt. Als er 1990 im Auftrag der ARD nach Algerien kam, waren die Strände voll von Frauen in Badeanzügen und das Land war voller Hoffnung auf Demokratie. Die Islamisten machten beidem ein Ende. Angeblich Ungläubigen drohten sie mit dem Tod.»

Richtig ist, dass im Dezember 1991 die amtierende säkulare Regierung Algeriens den sich abzeichnenden Wahlsiegs durch die islamische Heilsfront (FIS) nicht akzeptieren wollte und die Wahlergebnisse annullieren liess. Am 11. Januar 1992 putschte die Armee den amtierenden Präsidenten Chadli Bendjedid aus dem Amt und stürzte das Land in einen jahrelangen Bürgerkrieg, in dessen Verlauf es auf Seiten der Islamisten (GIA) wie auch auf Seiten der Armee zu schweren Verbrechen und Folter gekommen war. Zu behaupten, die Islamisten hätten die Demokratie in Algerien verhindert, ist schlicht falsch. Das Volk wählte offenbar die islamisch-konservative FIS, welche sich den demokratischen Spielregeln gefügt hatte, dann jedoch mit undemokratischen Mitteln um den Wahlsieg gebracht wurde. Die Floskel <Angeblich Ungläubigen drohten sie mit dem Tod> erscheint ob den durch Amnesty International und weiteren Menschenrechtsorganisationen rapportierten Verbrechen von Seiten der Regierung geradezu als lächerlich verkürzt.

Gerade durch den Einbezug des algerischen Kontextes wird dem Zuhörer das Gefühl vermittelt, dass praktizierende Muslime per se ein Problem für die freiheitliche Demokratie in Mitteleuropa seien.

Eine saubere und detaillierte Aufarbeitung der Situation, wie sie sich in Algerien in den 90er Jahren im politischen Leben manifestierte, wäre aber für einen aussagekräftigen Vergleich mit den stabilen Demokratien in Mitteleuropa unerlässlich. Wie so oft im beanstandeten Programm werden auch an dieser Stelle Kontexte und Situationen auf mehreren Ebenen durcheinandergebracht.

Die SRG verpflichtet sich in ihren publizistischen Leitlinien unter 1.2 den drei Grundsätzen Sachgerechtheit, Vielfältigkeit und Unabhängigkeit. Die Sendung SRF Kultur Kontext hat diese Grundsätze, so wie sie durch die SRG definiert werden, jedoch auf eine Art und in einem Umfang verletzt, die nicht tragbar sind.

Art. 4 Abs. 2 RTVG verlangt von Ihren Medienschaffenden, dass Ansichten und Kommentare als solche gekennzeichnet werden müssen, so dass sich das Publikum eine eigene Meinung bilden kann. Wie angeführt wurden jedoch subjektive Meinungen unkritisch und als Tatsachen gesendet.

Abschliessend muss gesagt werden, dass auf diese Weise gestaltete Sendungen weder zum Verständnis des Gegenstandes beitragen, noch dabei helfen, bestehende Spannungen abzubauen. Vielmehr fühlen sich islamophobe Kreise in ihrer Ansicht bestärkt, dass die natürliche wahrnehmbare Präsenz der Muslime in Mitteleuropa nur die Vorhut einer bedrohlichen lslamisierung sei.“

B. Soweit Ihre ausführliche Begründung. Sie wurde der zuständigen Redaktion zugeleitet, damit sie dazu Stellung nehmen kann. Frau Barbara Gysi von der Programmleitung Radio SRF 2 Kultur antwortete wie folgt:

„1. EINLEITEND

Die Beschwerde, eingereicht vom Islamischen Zentralrat der Schweiz (IZRS) durch ihre Generalsekretärin X, richtet sich gegen eine Sendung, die im Wesentlichen aus zwei Teilen bestand: Erstens eine Reportage über politisch radikale, in der Tendenz gewaltbereite muslimische Extremisten im Umfeld von Berlin und Deutschland (Rebecca Hillauer); zweitens eine Reportage von Bettina Kaps über Aufklärungskampagnen in den Pariser Banlieues, die zum Ziel haben, die Radikalisierung junger Menschen aufgrund ihrer Diskriminationserfahrungen zu verhindern.

Auch wenn sich die vorliegende Beschwerde nur auf die erste Reportage bezieht sowie auf die Zwischenmoderation und die Anmoderation, wird für diese Stellungnahme auf die gesamte Sendung verwiesen; denn es geht um den Gesamteindruck, den eine Sendung hinterlässt.

2. RÜGE

Der Beschwerdeführer rügt, die Sendung KONTEXT ‚Am Rand der Debatte - Liberale Muslime‘ habe in drei Punkten die Programmgrundsätze sowie weitere Gesetze verletzt:

  1. Indem die Sendung eine „unhaltbare Dichotomisierung des facettenreichen muslimischen Spektrums in ‚liberale‘, sprich gute und ‚radikale‘, sprich böse Muslime vorgenommen habe;
  2. indem sie inhaltliche Fehler, namentlich den Gedanken ‚der Islam sei nicht mit Demokratie zu vereinbaren‘, propagiere und festige;
  3. die Redaktion habe mit ihrer Sendung gegen Artikel 3 der Konzession, gegen Artikel 4 der SRG Programmcharta sowie gegen berufsethische Normen verstossen.

Die Redaktionsleitung hat sich mit diesen Vorwürfen intensiv auseinandergesetzt, die Sendung nochmals analysiert und kommt zum Schluss, dass sie in dieser Form nicht gerechtfertigt sind.

3. IM EINZELNEN
3.1. ZUM VORWURF DER UNHALTBAREN DICHOTOMISIERUNG

Die Beschwerde führt an, die Sendung habe eine <unhaltbare Dichotomisierung des facettenreichen muslimischen Spektrums in ‚liberale‘, sprich gute und ‚radikale‘, sprich böse Muslime> vorgenommen. Sie habe mit ‚subjektiver Islamkritik‘, mit ‚falschen Informationen‘ und ‚pauschalisierenden Einteilungen‘ verhindert, dass sich die Zuhörerschaft eine eigenständige Meinung habe bilden können. Dies sei insbesondere in einer Zeit, in der eine ‚gesellschaftlich kritische Grundstimmung gegenüber dem Islam vorherrscht‘, bedenklich, weil damit auch eine ‚islamfeindliche Stimmung‘ transportiert werden kann.

Insbesondere rügt der IZRS, fasst man die Argumentation der Beschwerde zusammen, es fehle in der Sendung eine Differenzierung der Muslime zwischen ‚konservativen, strenggläubigen, orthodoxen und gewaltbereiten Muslimen‘, wodurch der Eindruck erweckt werde, es würden ‚unbescholtene Muslime ihres Bartes oder Kopftuchs wegen eine Nähe zum IS unterstellt‘.

Aus Sicht der Redaktionsleitung sind diese Vorhaltungen unbegründet.

Zur Begründung:

a. Es war aus der Sicht der Programmschaffenden tatsächlich etwas unglücklich, die Sendung mit dem Zitat über ‚bärtige Männer‘ zu eröffnen; das Zitat, das aus dem Zusammenhang gerissen wurde, suggeriert etwas, das sich nachher in der Sendung denn auch tatsächlich nicht wiederholt.

Denn die Sendung insgesamt, und darauf geht Raphael Zehnder in seiner eingehenden Erläuterung gleich zu Beginn der Sendung ein, macht eine grundlegende Unterscheidung zwischen gewaltbereitem, extremistischem, kriegsrhetorischem Islam, wie er in bestimmten, dem IS und anderen Gruppen nahestehenden Kreisen propagiert wird; und auf der anderen Seite geht es um liberale, in diesem Sinne friedfertige, tolerante Muslime, die sich zu den Grundlagen der westlichen Demokratien bekennen.

In der Reportage von Rebecca Hillauer kommen denn als Protagonistinnen zwei Figuren vor: Sema, die sich zu einem sehr offenen, sehr liberalen Islam bekennt, und Sabrina, die ein Kopftuch trägt, also eher der traditionellen Glaubensrichtung des Islams zugehörig ist. Nur schon hier zeigt sich, dass die Sendung differenziert – denn gerade, indem eine der Protagonistinnen selber Kopftuch trägt, wird gezeigt, dass auch Kopftuchträgerinnen zu den liberalen, also toleranten und keineswegs gewaltbereiten Muslimen gezählt werden können. Der Vorwurf der Dichotomisierung trifft also bereits bei der Auswahl der Hauptpersonen der Sendung nicht zu.

Dass die beiden gewissermassen ihre subjektive Sicht auf eine Umgebung liefern, die mehr und mehr geprägt wird von Hass, von Gewaltbereitschaft, von Kriegsrhetorik und von einer Bereitschaft, die Grundlagen der demokratisch verfassten Gesellschaftsordnung anzugreifen, ist von der Anlage der Sendung her sachgerecht und richtig. Dies umso mehr, als Rebecca Hillauer in ihrem Beitrag eine ganze Reihe von fundierten, unbestrittenen Fakten zur radikalen islamischen Szene liefert, die in der Beschwerde denn auch nicht in Zweifel gezogen werden: die Rolle des Rappers Deso Dogg, die Rolle des Predigers Pierre Vogel, die Rolle weiterer radikaler Prediger.

b. Dass durchaus auch Männer, die zum Freitagsgebet gehen, eine tolerante, offene Haltung zeigen, lässt sich anhand der Szene vor der Moschee zeigen. Auch hier, vor der Moschee, spricht sich ein Mann klar gegen jede Form eines radikalen, gewaltbereiten Islam aus; und auch der Experte in der Sendung, der frühere ARD-Korrespondent Samuel Schirmbeck, spricht sich in seinem Statement gegen jede Form vom Islamophobie aus und betont die Vielgestaltigkeit des Islam als Religion und als Praxis.

Die Differenzierung, die in diesem Teil der Sendung gemacht wird, bezieht sich also (nochmals) auf eine Unterscheidung zwischen terroristischer, gewaltbereiter Ausrichtung des Islam und der toleranten Ausprägung, sowohl bei sehr liberalen, wie (im Falle von Sabrina) auch sehr gläubigen Musliminnen und Muslimen. Eine Differenzierung, die übrigens auch der Präsident des IZRS, Nicolas Blancho, vollzieht, wenn er in seinen Reden ausdrücklich die Werte der ‚Freiheit, Toleranz, Pluralismus‘ der radikalen, gewaltbereiten Form des Islam gegenüberstellt.

Zu bemerken ist des Weiteren, dass im zweiten Teil der Sendung, in der Reportage von Bettina Kaps, die strukturelle Aussage des ersten Teils nochmals vertieft und auch differenziert wird. Hier wird gezeigt, wie in einer Pariser Banlieue der Versuch unternommen wird, unterprivilegierte Jugendliche davon abzuhalten, sich jeder Form von gewaltbereiter Ideologie hinzugeben, auch nicht dem radikalisierten, extremistischen Islam. Die Reportage untersucht den Zusammenhang zwischen sozialer Unterprivilegierung und der Selbstaufgabe, sie zeigt aber auch auf, wie viel Zivilcourage es gerade in einem sozial aufgeheizten Klima braucht, um eine eigenständige Position zu bewahren; gerade die Geschichte der Lehrerin, die von extremistischen Kreisen zum Tragen ihres Kopftuchs geradezu genötigt wird, schildert das exemplarisch und sehr deutlich. Umgekehrt wird anhand der Geschichte des ‚Vereins für den Frieden‘, dem Einsatz der Mutter des getöteten Jugendlichen erläutert, dass der Einsatz für Toleranz und Verständigung nicht nur gewaltbereite, extremistische Muslime stört, sondern ebenso auch radikalisierte Franzosen.

c. Beide Beiträge in der Sendung sind, so gesehen, zu verstehen als ein Einblick in die Haltung liberal eingestellter Muslime - orthodoxe, unorthodoxe, bekennende und nicht bekennende – die sich als Bestandteil der Republik sehen. Und damit klar machen, dass Islam und Demokratie nicht nur kompatibel sind, sondern auch heute schon tagtäglich gelebt werden; dort, wo sie sich aus eigenem Antrieb gegen extremistische, gewaltbereite Haltungen im Namen des Islam wende, stellen sie es in eindrücklicher Form unter Beweis.

Sie stehen damit in der gleichen Linie wie die Toleranz, die auch der Präsident des IZRS, Nicholas Blancho, predigt.

3.2. ZUM VORWURF DER INHALTLICHEN FEHLER

Die Beschwerde führt an, die Sendung weise eine Reihe von inhaltlichen Fehlern auf, die namentlich den Gedanken ‚der Islam sei nicht mit Demokratie zu vereinbaren‘, propagierten und festigten. Dies wird insbesondere an den Aussagen des Experten Samuel Schirmbeck in der Reportage von Rebecca Hillauer kritisiert (es gibt keine inhaltliche oder sachliche Kritik am zweiten Teil der Sendung, der Reportage von Bettina Kaps).

Diese Einwände erachten wir als nicht zutreffend.

Zur Begründung:

a. Der IZRS rügt zunächst, es werde in der Reportage von Rebecca Hillauer das Thema Kopftuch inhaltlich falsch abgehandelt. Hier ist klarzustellen, dass sich keiner der Sendungsbeiträge spezifisch mit dem ‚Kopftuch‘ auseinandersetzt, sondern einzig mit dem Phänomen des gewaltbereiten Islam (präziser: der Gewalt im Namen eines falsch verstandenen Islam). Hier nun den Wahrheitsgehalt der Aussage anzweifeln zu wollen, dass gewaltbereite, extremistisch eingestellte Islamisten Druck auf Frauen ohne Kopftuch ausüben, scheint etwas verwegen; und zu behaupten, es gebe solche Fälle von Druck und Einschüchterung nicht auch in Deutschland, ist mit Blick auf eine ganze Reihe von gut dokumentierten Fällen problematisch.[3]

b. Gerügt wird weiter, der Experte Samuel Schirmbeck habe die historische Entwicklung in Algerien falsch dargestellt.

Es ist richtig, dass die Darstellung des algerischen Bürgerkriegs im Beitrag von Rebecca Hillauer verkürzt und sehr kursorisch ausgefallen ist. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Schirmbeck im Beitrag von Rebecca Hillauer keineswegs eine historische Abhandlung zum Besten gibt – angesprochen sind seine persönlichen Eindrücke; und es ist für den Hörer und die Hörerin leicht erkennbar, dass hier Schirmbeck aus einer subjektiven Perspektive spricht ( ‚... kennt dieses Gefühl‘).

Zu bemerken ist aber zweitens, dass der Satz ‚Die Islamisten machten beidem ein Ende‘ (dem Baden in Badeanzügen und der Demokratie) in der Verkürzung zugegebenermassen apodiktisch tönt, dann aber von Schirmbeck in einem Zitat noch ausgeführt wird. Er spricht davon, dass die Islamisten in Algerien einen Gesinnungsterror ausgeübt hätten, dass er sich erst, als er zurück nach Europa kam, bewusst wurde, wie stark dieser Terror gewesen war, ‚dass man nur schon, wenn man als Ungläubiger aus dem Haus trat, mit einem Kopfschuss bedroht wurde‘. Damit spielt Schirmbeck eindeutig auf jenen Teil des FIS an, der sich gewaltbereit, militant und extremistisch verhielt – und der in Algerien die Schari’a anstelle der bürgerlichen Gesetze einführen wollte. Gesetze, die mit Demokratie wohl kaum in Übereinstimmung zu bringen sind, und schon gar nicht mit dem Wunsch nach Sonnenbaden im Bikini.

Insofern trifft der Vorwurf der falschen Darstellung nicht zu.

3.3. ZUM VORWURF DER VERLETZUNG BERUFSETHISCHER NORMEN

Der IZRS wirft der Redaktion vor, sie habe mit ihrer Sendung gegen Artikel 3 der Konzession, gegen Artikel 4 der SRG Programmcharta sowie gegen berufsethische Normen verstossen.

Aufgrund der obigen Darstellung halten wir diesen Vorwurf für haltlos.

Ergänzend sei darauf hingewiesen:

  • Beide Beiträge in der Sendung setzen sich differenziert und mit belegbaren Beispielen mit den verschiedenen Strömungen des Islam auseinander, lassen unterschiedliche Positionen zu Wort kommen und grenzen diejenigen Haltungen (auch die orthodox Gläubigen) sachgerecht gegen diejenigen Formen der Gewalt und des Extremismus ab, die sich islamischer Glaubensinhalte für gewaltsame Zwecke bedienen;
  • beide Beiträge wurden vor Ausstrahlung von der Redaktion auf ihre Richtigkeit hin überprüft. Besonderes Augenmerk wurde dabei darauf gelegt, dass objektivierbare Tatsachen klar gegenüber den subjektiven Meinungen der Protagonisten abgegrenzt und transparent gemacht werden;
  • schliesslich berücksichtigen beide Beiträge die Gebote der Diversität, der Ausgewogenheit und der notwendigen Differenzierung.

C. Soweit die klare Stellungnahme von Frau Gysi. Damit komme ich zu meiner eigenen Bewertung der Sendung. Ich verstehe gut, dass Sie und der Islamische Zentralrat allergisch reagieren, wenn durch eine Radiosendung der Eindruck entsteht, es gebe neben Terroristen im Islam nur noch Liberale. Umgekehrt ist es legitim, die Liberalen im Islam aufzuspüren. Denn die Schlagzeilen beherrschen ja die Fundamentalisten und Terroristen. Und es ist auch legitim, bis zu einem gewissen Grad eine Dichotomie zwischen Liberalen und Fundamentalisten zuzulassen. Denn erstens ist der Islam viel zu vielfältig, um ihn in einer 50minütigen Sendung in allen Facetten zu beschreiben. Da müsste ja nicht nur die Rede sein vom Unterschied zwischen Dschihadisten und Friedfertigen und vom Unterschied zwischen Orthodoxen und Liberalen sowie vom Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten, sondern man müsste bei den Sunniten beschreiben, wodurch sich Hanafiten (dominant in Ägypten, Syrien, der Türkei, Afghanistan, Pakistan oder Kasachstan) von Malikiten (Nordafrika), Schafiiten (Jemen, Sudan, Somalia, Indonesien), Wahabiten und Hanbaliten sowie anderen Salafisten (vor allem Saudi-Arabien, Katar und Mitteleuropa) unterscheiden. Und man müsste bei den Schiiten aufzeigen, was die „Zwölfer Schia“, auch Ithna Heschari oder Jafari (Iran, Irak), die Ismailiten (Libanon, Afghanistan, Pakistan, Indien), die Zaiditen (Jemen), die Alawiten (Syrien), die Aleviten (Türkei) und die Drusen (Libanon, Syrien) auszeichnet. Schließlich müsste man außerhalb von Sunniten und Schiiten auf die Ibaditen (Oman) und die Ahmaditen (Indien, Großbritannien) zu sprechen kommen. Diese Vielfalt kommt auch darin zum Ausdruck, dass selbst in einem traditionell nicht islamischen Land wie der Schweiz, wo es nur 341‘000 Muslime gibt, die zum Islam zählenden Menschen sich in zahlreichen Organisationen zusammengefunden haben, von denen die Föderation Islamischer Dachorganisationen der Schweiz (FIDS)[4], die Koordination Islamischer Organisationen der Schweiz (KIOS)[5], die Schweizerische Islamische Gemeinschaft (SIG)[6], das Forum für einen fortschrittlichen Islam[7] und der Islamische Zentralrat Schweiz (IZRS)[8] die wichtigsten sind, aber die Zersplitterung auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Koordination Islamischer Organisationen nur etwa 5 Prozent und der Zentralrat nur etwa ein Prozent der Schweizer Muslime repräsentieren.

Zweitens ist die Grenze zwischen orthodoxen Muslimen und Dschihadisten fliessend. Es ist bekannt, dass die Terroristen des „Islamischen Staats“ vorwiegend aus dem salafistischen Milieu stammen. Die Al-Qaida und die Dschabat Fatah asch-Scham (in Syrien) stehen ebenfalls der salafistisch-wahabitischen Auslegung des Islams nahe, die Muslimbrüder (in Ägypten, Nordafrika und Syrien), die Hamas (in Palästina), Boko Haram (in Nigeria) und die Taliban (in Afghanistan und Pakistan) folgen ähnlichen traditionellen sunnitischen Glaubensrichtungen, und die Hisbollah vertritt ein fundamentalistisch-islamisches Konzept aus schiitischer Perspektive. So ist es nicht ganz abwegig, strenggläubige Muslime in die Nähe der Dschihadisten zu rücken, weil sie dem Terrorismus sowohl die Ideologie als auch das „Menschenmaterial“ liefern. Wenn daher die Sendung den Eindruck erweckte, Strenggläubige und Extremisten würden in einen Topf geworfen, weil ein Nebensatz dies andeutete, so liegt der Grund dafür nicht bei einer Redaktion, die nicht differenzieren kann, sondern in der Realität.

Sie schreiben in Ihrer Beanstandung zwei wichtige Sätze: „Auch die grosse Mehrheit der konservativen Muslime lehnt Gewalt und Terrorismus ab, viele definieren sich gar als apolitisch, etwa die allermeisten Sufi-Orden, die Jamä'a Tabligh oder aber auch weite Teile der Neosalafiten. Sie alle fallen aber wohl in die Kategorie der strenggläubigen und konservativen und können nichtsdestotrotz mit Extremismus nichts anfangen.“ Der Islamische Zentralrat und die Muslime insgesamt sollten dafür sorgen, dass diese Sätze nicht nur bekannt werden, sondern dass sie auch mit der Realität übereinstimmen.

Frau Gysi ist bereits einlässlich auf die Sendung eingegangen. Ich muss ihre Feststellungen nicht wiederholen. Radio und Fernsehen verfügen in der Schweiz über die Programmautonomie. Artikel 6, Absatz 2 des Radio- und Fernsehgesetzes sagt: Die Programmverantwortlichen „sind in der Gestaltung, namentlich in der Wahl der Themen, der inhaltlichen Bearbeitung und der Darstellung ihrer redaktionellen Publikationen und der Werbung frei und tragen dafür die Verantwortung“.[9] Die Redaktion von „Kontext“ hat mit gutem Grund entschieden, eine Sendung über liberale Muslime zu machen. Sie hat weiter entschieden, sich auf Europa zu konzentrieren und das Thema mit zwei Reportagen aus Berlin und Paris zu bearbeiten. Und sie hat entschieden, vor allem Betroffene reden zu lassen. Wenn Betroffene ihre subjektiven Wahrnehmungen äußern, muss die Redaktion dies nicht dementieren, denn subjektive Wahrnehmungen sind subjektive Wahrnehmungen. Wenn eine Kurdin, die sich in der Türkei verfolgt sah und sich dann in Berlin frei fühlte, neuerdings in Berlin die alten Ängste und Bedrohungen verspürt, so hat niemand das Recht, das zu dementieren, im Gegenteil: Es ist das Zeugnis einer Gefühlslage.

Anders ist es bei Experten. Wenn sie Feststellungen machen, die offensichtlich falsch sind, dann ist die Redaktion gehalten, dies zu korrigieren. Und da haben Sie in einem Punkt völlig Recht: Der Journalist Samuel Schirmbeck erweckt durch sein Statement ein falsches Bild von Algerien. Die Geschichte lief so, wie Sie es schildern. Die Islamische Heilsfront (FIS) war 1991 im Begriff, die Wahlen zu gewinnen, worauf das Militär die Wahlen abbrach, das Resultat widerrief, die legalen Institutionen auflöste und den Notstand verfügte. Ein Jahr darauf wurde die FIS verboten. Es war also die Armee bzw. der Front de Libération Nationale (FLN), der die Demokratie unterband, nicht die FIS. Aber im anschliessenden Bürgerkrieg, der von beiden Seiten unbarmherzig geführt wurde, übten von der FIS abgespaltene islamistische Gruppen schrecklichen Terror aus, und darauf spielt Schirmbeck an. Es gibt eben oft nicht einfach Schwarz und Weiß. Hier hätte die Redaktion mit einem klärenden Satz einhaken müssen.

Ihrem Gesamteindruck, dass die Sendung eine islamfeindliche Stimmung hervorgerufen habe, möchte ich indessen entschieden widersprechen. Im Gegenteil: Die Botschaft war, dass es im Islam nicht nur Fundamentalisten und Dschihadisten gibt. Die Sendung verstieß daher meines Erachtens weder gegen das Sachgerechtigkeitsgebot des Radio- und Fernsehgesetzes noch gegen den von Ihnen angeführten Artikel 3, Absatz 1 (Programmqualität) der SRG-Konzession[10] noch gegen die ebenfalls von Ihnen zitierte SRG-Programmcharta (Wahrheitspflicht). Die Ungenauigkeit in Bezug auf Algerien ist aus meiner Sicht ein Fehler in einem Nebenpunkt, der dem Publikum nicht verunmöglichte, sich frei eine Meinung über das Thema zu bilden. Ich kann daher Ihre Beanstandung nicht unterstützen.

D. Diese Stellungnahme ist mein Schlussbericht gemäß Art. 93 Abs. 3 des Radio- und Fernsehgesetzes. Über die Möglichkeit einer Beschwerde an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio- und Fernsehen (UBI) orientiert die beigelegte Rechtsbelehrung. Für Nachfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

[1] http://www.srf.ch/sendungen/kontext/am-rand-der-debatte-liberale-muslime

[2] http://www.srgssr.ch/fileadmin/pdfs/Programmcharta_de.pdf

[3] Aargauer Zeitung, 11. März 2016, Imam fordert Gewalt gegen Kinder Dänemark;
srf.ch, 9. März 2016, Ein filmischer Beleg für islamistische Hassprediger in Dänemark;
Spiegel, 20. August 2016, Die Islamisten GMbH, Salafisten finanzieren ihre Propaganda über bundesweite Firmennetzwerk; Frankfurter Allgemeine, 18. Juni 2016, Plattformen Facebook, Twitter und Google werden als Terrorhelfer verklagt.

[4] http://www.fids.ch/

[5] http://www.inforel.ch/i21200

[6] http://www.sig-net.ch/

[7] http://www.forum-islam.ch/de/index.php

[8] http://www.izrs.ch/

[9] https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20001794/index.html

[10] Das Programmschaffen der SRG hat hohen qualitativen und ethischen Anforderungen zu genügen. Die einzelnen Programmbereiche orientieren sich am Programmauftrag und zeichnen sich durch Glaubwürdigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Relevanz und journalistische Professionalität aus(...).https://www.bakom.admin.ch/bakom/de/home/elektronische-medien/informationen-ueber-radio-und-fernsehveranstalter/srg-ssr/konzessionierung-und-technik-srg-ssr.html

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